After the Storm – Kritik
Drama zu entspanntem Pfeifen: Noch so eine dysfunktionale Familie im Zentrum eines Festivalfilms, aber Hirokazu Koreeda kommt da wunderbar drauf klar.

Am Schluss ist die Familie versöhnt, wenigstens für ein paar Einstellungen. Vater, Mutter und Kind gehen gemeinsam über den Hof in Richtung Straße, die Oma winkt ihnen aus dem Fenster noch einmal zu. Der Sturm ist schuld daran, dass es dieses Bild überhaupt gibt. Der 24. Taifun des Jahres hat geschafft, was die Figuren ohne Eingriff von außen wohl nicht geschafft hätten. Denn die Voraussetzungen für eine Familienheilung im Bild waren eigentlich denkbar schlecht. Der Ehemann von Yoshiko (Kirin Kiki), der winkenden Oma, ist kürzlich verstorben, ihr Sohn Ryota (Hiroshi Abe) lässt sich selten blicken und macht der Mama nicht nur wegen seiner versandeten Schriftstellerkarriere Sorgen. Vor allem bedauert die alte Frau, dass Ryota sich von Kyoko (Yoko Maki) hat scheiden lassen und seinen Sohn Shingo (Taiyo Yoshizawa) kaum noch sieht.
Brise statt Taifun

Doch all diese Dinge sind für Hirokazu Koreeda kein wirkliches Problem. Schon der Tod ist es nicht. In der ersten Szene kümmert sich Yoshiko mit ihrer Tochter nüchtern um die schriftliche Beileids-Kommunikation und erinnert sich dabei weniger wehmütig als amüsiert an den Verstorbenen. So richtig habe ich ihn ja nie verstanden, sagt die frischgebackene Witwe, und zum Entsetzen ihres Sohnes hat sie seine persönlichen Gegenstände gleich am Tag nach seinem Ableben weggeschmissen. 40 Jahre habt ihr zusammengelebt, sagt Ryota konsterniert. Ja eben, entgegnet Yoshiko. Ein sehr feiner, sehr sanfter Humor zieht sich durch diesen ganzen Film; selbst für Koreedas Verhältnisse sind die Konflikte hier gedämpft, setzen keinen Taifun in Gang, eher eine leichte Brise an einem lauen Sommerabend. Die Familienmitglieder nehmen sich gegenseitig weniger in die Pflicht als auf die Schippe. Große Gefühle und Enttäuschungen sind Vergangenheit, höchstens nachwirkender Kontext von After the Storm. Das musikalische Leitthema wird manchmal am Piano intoniert, zwischendrin aber auch mal ganz entspannt gepfiffen.
Ein wahrer Tollpatsch

Echte Talente blühen erst spät auf, das ist so eine Art Leitmotiv, das vor allem Ryota äußerst gern zitiert. Seine Mutter macht sich darüber mittlerweile nur noch lustig, und dieser Film lacht mit ihr, beide lachen sie Ryota aber nicht aus. Obwohl er ein wahrer Tollpatsch ist, dieser Ryota, der sich langsam in den Vordergrund der Handlung arbeitet. Als er Yoshiko bei der Balkonbepflanzung helfen will, macht er erst mal ein Fenster kaputt. Und er ist vor allem keiner, mit dem man das „Spiel des Lebens“ spielt, schlägt seiner Ex-Frau einmal ein Angebot zum Zeitvertreib aus, als die Geschiedenen einen awkward moment zu zweit überbrücken müssen. Der Literaturpreis ist schon wieder 15 Jahre her, mittlerweile arbeitet Ryota als Privatdetektiv. Aus Recherchegründen, wie er sagt. Aber die Recherche zieht sich. Einen gesamten mittleren Akt lang begleiten wir ihn, wie er mit seinem jüngeren Partner untreue Eheleute verfolgt. Und untreue Ex-Eheleute. Denn Ryota nutzt die Verdienste seines Jobs nicht nur, um jener Wett- und Spielleidenschaft zu frönen, die ihn diese Ehe gekostet hat; er nutzt die Arbeitszeit auch noch, um Kyoko nachzuspionieren.
Nachts im Tunnel

Genügend Dinge zu klären also für einen Abend mit Ausgehverbot wegen Sturmwarnung. Ryota war mit seinem Sohn unterwegs, gemeinsam sind sie bei der Oma gelandet, Kyoko kommt dazu – und dann müssen sie alle gemeinsam in derselben Wohnung übernachten. Kyoko erahnt dahinter bald einen perfiden Plan, aber auch das ist eigentlich kein Problem, sie hat ja ohnehin längst einen Neuen. Da geht nichts.
Mitten in der Nacht laufen Vater und Sohn durch den Taifun, hinein in ein Tunnelsystem, das für junge Labyrinthfans auf einem Spielplatz steht und vor dem sich der Papa schon früher immer vor dem Regen versteckt hat. Auch Kyoko kommt irgendwann dazu, auf der Suche nach Sohn und Ex. Der Sturm konstituiert einen Ort, wo dann eben doch was geht, wo Familie nicht als Lebensinhalt, aber als solidarische Praxis kurz aufscheinen kann. Nach dem Sturm ist nichts geheilt, aber vieles einfacher. Man sieht sich in einem Monat wieder. Und die Oma darf noch einmal ihren Liebsten zuwinken, so als wäre alles gut, und deshalb ist ja schon alles gut, zumindest für einen so im besten Sinne großväterlichen Regisseur wie Hirokazu Koreeda im Sommerbrisenmodus.
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