Abuse of Weakness – Kritik

Gelähmte Regisseurin trifft Betrüger in Topform: Catherine Breillats bislang letzter Film beruht auf Selbsterlebtem. Auf angenehm sachliche Art erzählt Abuse of Weakness, wie ein gesunder muskulöser Körper einen kranken Körper missbraucht.

Body Horror: Eine Frau erleidet einen Gehirnschlag. Isabelle Huppert spielt Regisseurin Maud Schoenberg, die ihren Körper eines Tages nicht mehr im Griff hat. Es beginnt ihre langsame Arbeit an der Genesung, bei der sie Laufen, Sprechen und Zählen, im Grunde alles neu lernt. Mit der Dehnung der Laute „e“ und „o“ erkämpft sie sich mühsam die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen.

Ohnmachtsanfälle wie Ekstasen

Nach dem Krankenhausaufenthalt ist Maud auf fremde Hilfe angewiesen. Sie bewegt sich mithilfe eines Gehstocks, die linke Hälfte ihres Körpers ist paralysiert, eine Hand ist starr, gekrümmt in der Geste des Greifens. Hupperts Spiel ist von eindrucksvoller Glaubhaftigkeit und körperlicher Intensität, wenngleich sie auch in der Rolle einer Gelähmten ihr graziöses Selbst bewahrt. Einknicken, hinfallen, auf dem Boden ausgebreitet liegen bleiben – Maud Schoenberg erinnert ein wenig an Hupperts Erika Kohut aus Die Klavierspielerin (La Pianiste, 2001) von Michael Haneke. In Abuse of Weakness (Abus de faiblesse, 2013) haben ihre Ohnmachtsanfälle etwas von Ekstasen, die sich trotz Unterdrückung den Weg bahnen.

Der französische Rapper Kool Shen (in Die Lebenden reparieren (Réparer les vivants, 2017) war er an der Seite von Emmanuelle Seigner der Vater des verstorbenen Jungen) spielt Mauds Konterpart. Vilko Piran – ein skrupelloser Gauner, der mit Knastaufenthalten in Paris und Hongkong prahlt. Ein Mann bereut nichts. Ein unverbrauchtes Gesicht, rechteckige Statur, null Manieren – faszinierend, findet Maud und will Vilko für eine Hauptrolle in ihrem Film engagieren. Der Plot rund um eine berühmte Schauspielerin und ihren proletarischen Liebhaber, der ihr die Aufmerksamkeit der Paparazzi zu einem blutigen Preis stiehlt, schmeichelt der Eitelkeit eines kriminell Veranlagten, der in einem Restaurant die Beine auf den Tisch legt. Ich kriege immer alles, sagt er. Und warum sollte er für Maud eine Ausnahme machen? Im Laufe des Films wird Maud Vilko Schecks ausstellen, mehrfach, auf runde Summen.

Kontrast und Konzentration

Für Abuse of Weakness hat Catherine Breillat ihre eigene Geschichte zuerst in einem Roman gleichen Titels und 2013 noch einmal fürs Kino fiktionalisiert. Der autobiografische Bezug lässt staunen. Von niemand Geringerem als von Christophe Rocancourt, einem in internationalen Betrüger-Charts ganz oben stehenden Hochstapler, wurde Breillat um ihr Erspartes gebracht. Getarnt als französischer Adliger, Erbe der Rockefeller-Familie oder als Neffe von Sophia Loren zog Rocancourt wohlhabenden Menschen immense Summen aus der Tasche und lebte lange Zeit wie ein König. Als Catherine Breillat den Hochstapler kennenlernt, ist er bereits wieder auf freiem Fuß, hat Fans, seine Biografie („Ich, Christophe Rocancourt, Waisenkind, Playboy, Knacki“) geht in Frankreich weg wie warme Semmeln. Diesen Mann will Autorin und Regisseurin Breillat als Hauptdarsteller in ihrem nächsten Film, die beiden sind befreundet – bis sie ihn für den Missbrauch ihrer vom Schlaganfall bedingten Schwäche vor Gericht verklagt. Abus de faiblesse, dann ist Schluss. Ein Artikel aus dem Jahr 2008 ist eine aus heutiger Sicht skurrile Momentaufnahme ihrer Beziehung: Sie lobt den Betrüger in hohen Tönen, ist von ihm angetan, präsentiert dem Journalisten ihre diamantbesetzte Cartier-Uhr, ein Geschenk von Christophe.

Auf diesen Ereignissen beruht Abuse of Weakness: Leben im Film im Film. Man sieht, wie ein gesunder muskulöser Körper einen kranken Körper missbraucht. Und noch mehr: Die Geschichte einer gelähmten Regisseurin und eines Betrügers in Topform handelt von gegenseitiger Abhängigkeit, vom Verfallensein und -sein-Wollen, vom Genuss des Verfügens und Loslassens, von Manipulation, die sich bei Maud auch darin äußert, dass sie ihre Schuhe mit großem Genuss von Vilko zuschnüren lässt. Die Stilmittel des Films: Kontrast und Konzentration. Maud und Vilko entstammen verschiedenen Welten. Auch die Farbgestaltung der raffiniert ausgestatteten Räume und dezent schicken Kostüme unterliegt dem Prinzip der Gegensätze. Keine Nebenplots – konzise und aufgeräumt, in einer angenehm sachlichen Art lässt Breillat die Ereignisse dieser Chronik aufeinanderfolgen: und, und, und. Trotz seines simplen Aufbaus ist Abuse of Weakness keinesfalls langweilig, alleine schon wegen seines Hochstapler-Sujets. Das uneindeutige Beziehungsgemenge zwischen Maud und Vilko bleibt zu jeder Zeit reizvoll und bewegend. „Als mir das im echten Leben passierte, wusste ich nicht wirklich, was geschah. Dennoch wusste ich, dass es sich sehr filmisch anfühlte“, so Breillat in einem Interview.

Kämpferischer Geist

Als Porn flick bezeichnet die Regisseurin Maud ironisch ihre Genre-Spezialität, während sie in einem großformatigen Bondage-Fotobuch blättert. In Abuse of Weakness sieht man – untypisch für Catherine Breillats Werk – keine sexuellen Darstellungen, nichts in der Art. In ihrem bisher letzten Film erzählt Breillat die Geschichte einer Verführung, die man durchaus fatal nennen kann. Das Repetitive des Machtspiels – die Telefonate (häufig, aber kurz, auf das Wesentliche beschränkt), die Schecks (auf immer steigende Summen), die Begegnungen (die immer ähnlich ablaufen) – transportieren das Sexuelle in verhüllter Weise.

Bemerkenswert, wie Maud, wenngleich von der Kamera zu jeder Zeit begleitet, keinen Einblick in ihr Inneres erlaubt. Was geht in dieser Frau vor? Ist sie bei Sinnen? Verfolgt sie womöglich ein perverses, masochistisch angehauchtes Ziel? Am Ende kullert eine Träne ihre Wange herab. Und doch gelangt man zu dem Schluss, dass Maud auf den Betrug willentlich einging. In der Ambivalenz dieses Machtverhältnisses scheint der kämpferische Geist der außergewöhnlichen Filmemacherin Breillat unverkennbar durch. Eine Frau bereut nichts.

Den Film kann man in der Mediathek von TV5Monde streamen.

Zur Einführung und Übersicht unserer Catherine-Breillat-Reihe geht es hier.

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