Abbitte – Kritik
Ian McEwans Bestseller schreit mit seinen großen Gefühlen nach großem Publikum. Regisseur Joe Wright ist das nicht genug.

Dünkirchen. Robbie (James McAvoy) erblickt das Chaos des Krieges von einem hügeligen Dünenvorsprung aus. Am Strand bieten sich ihm absurde Bilder zwischen träumerisch, traumatisch und traumhaft. Pferden wird der Gnaden- oder Todesschuss versetzt. Ein Mann turnt am Barren. Engländer singen auf einem Pavillon. Im Hintergrund dreht sich ein Riesenrad. Robbies Spaziergang endet in einer Hafenkneipe, einer Spelunke. Vor der übergroßen Leinwand-Projektion von Jean Gabin und Michèle Morgan bleibt er stehen.
Das traumwandlerische, staunende Schlendern am Strand von Dünkirchen ist in einer einzigen, ellenlangen Plansequenz gefilmt. Und bringt damit das Hauptproblem dieser Literaturverfilmung auf den Punkt.
Regisseur Wright wird Opfer seiner eigenen Visualisierungs- und Inszenierungsgeilheit.

Natürlich kann es einer Romanadaption schnell passieren, als „zu literarisch“ zu gelten. Will wohl heißen, der Text drängt sich in den Vordergrund und das Erzählte findet keine filmische Form. Joe Wright bekämpft diese Gefahr mit allen nur denkbaren Mitteln – und dies sind in diesem Falle die audiovisuellen Gestaltungsmöglichkeiten.
Abbitte (Atonement) beginnt als Period Picture, doch von vornherein als ein ungewöhnliches. Die erste Einstellung ist nur vermeintlich ein Establishing Shot. Das gezeigte Anwesen ist nur eine Pappimitation – innerhalb des eigentlichen Herrenhauses. Dort herrscht rege Betriebsamkeit: Der Besuch des Stammhalters und dessen Freundes wird erwartet und vorbereitet. Die vorpubertäre Briony (Saoirse Ronan) hat ihr erstes Stück abgeschlossen und will es nun zur internen Aufführung bringen. Besonders gerne hätte sie Robbie, den ambitionierten älteren Bedienstetensohn, als Zuschauer. Der seinerseits hat nur Augen für Brionys ältere Schwester Cecilia (Keira Knightley). Das Konfliktpotential auf der Plotebene ist also schnell klar, schließlich ist hinlänglich bekannt, wie grausam unglücklich erstverliebte und eifersüchtige 13 jährige Mädchen sein können. Auf Ebene der Inszenierung prägt sich zu allererst die Tonspur ein. Wright verweist im reflexiven Gestus auf die literarische Vorlage, indem er den Klang von Schreibmaschinentippen als Motiv etabliert, das schnell und rhythmisch in ein musikalisches Thema übergeht. In den nächsten zwei Stunden wird der Klangteppich bohrend präsent sein.

Nach über einer halben Stunde hat Wright nicht nur einige technische, optische und narrative Spielereien hinter sich, sondern auch das Drama angeschoben: Robbie muss ins Gefängnis, Cecilia bleibt zurück und Briony wird von nun an in Schuld leben. Was folgt, ist der Wechsel aufs Schlachtfeld und in die Kriegszeit.
Ab jetzt erzählt Abbitte von den Folgen der Tat und von der Schuld, die Briony auf sich geladen hat. All das ist im Kern tragisch und soll als großes Gefühlskino daherkommen, doch der große Aufwand verpufft ohne Wirkung.
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Kommentare
Felix
Der Film des Jahres und ein ganz larer Favorit für den Oscar. Nominierungen für Knightley und McAvoy als beste Hauptdarsteller sind sicher!Ronan (Beeindruckend) und vielleicht Redgrave als beste Nebendarstellerinnen können ebenfalls nominiert werden. Verdient hätten sie es auf jeden Fall.
Bianca
Das ist bei Weitem der beste Film des Jahres! Wunderschöne Bilder, grandios gespielt von Knightley, McAvoy und Ronan (junge Briony), mit einem fantastische Drehbuch von Christopher Hampton und einem experiementierfreudigem Regiestil von Joe Wright (nach "Stolz und Vorurteil" ist Abbitte erst sein zweiter großer Film). Der Twist am Ende ist erschütternd, nahezu herzerfetzend.
Leider kann der Film dem Buch was bspw. die Tiefe der Charaktere angeht nicht ganz das Wasser reichen.
Trotzdem Oscar-reif!!!
Dominik
Ein wunderschöner Film mit ergreifenden Bildern und einem bitteren Ende...
Und doch: Wie viel mehr hätte man aus diesem Stoff noch machen können? Nur eine halbe Stunde mehr Film und einen größeren Einblick in die inneren Qualen der Briony und die verheerende Wirkung der Lüge auf das Leben der Liebenden...
Welches Meisterwerk hätte dann entstehen können!
Ferrero
Ich kann der hier veröffentlichten Einschätzung nicht in einem einzigen Punkt folgen.Die Kritik ist vollkommen überzogen. Beim Autor bricht sich peinlicher Neid Bahn.
In jedem Satz seiner pepitaesken Analyse schwingt die Sehnsucht mit, Film so zu begreifen und gestalten zu können wie Mr. (W)right. Was ist los mit jemandem, der selbst an den wenigen Lichtblicken des modernen Kinos keinen Gefallen mehr finden kann?
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