Aaltra – Kritik

Zwei verfeindete Nachbarn trampen im Rollstuhl nach Finnland: nach einem Traktorunfall querschnittsgelähmt, wollen die beiden den finnischen Hersteller verklagen. Das Regieduo Delépine und Kervern versucht sich an einer Roadmovie-Komödie im Stil von Aki Kaurismäki.

Aaltra

Kultregisseure ziehen ihre Epigonen an. Ganze Filmschulgenerationen haben Idolen wie David Lynch oder Quentin Tarantino nachgeeifert und sich an ihren Stilen versucht. Mit seinem ersten Spielfilm Aaltra, einem skurrilen Roadmovie, schafft das französische Regieduo Benoît Delépine und Gustave Kervern eine Hommage an den finnischen Regisseur Aki Kaurismäki.

Zwei verfeindete Nachbarn in einem gottverlassenen Landstrich nördlich von Paris kettet ein unglückliches Ereignis aneinander: bei einer Prügelei geraten sie unter einen Traktoranhänger der Marke Aaltra und sind von nun an durch eine Querschnittslähmung an den Rollstuhl gebunden. Die beiden namenlosen Helden, die von den Autoren selbst gespielt werden, brechen gen Skandinavien auf, um den finnischen Hersteller des Traktors zur Rechenschaft zu ziehen. Eine Reise quer durch Europa beginnt, während der die beiden behinderten Protagonisten niemals Mitleid bei ihrem Publikum erzeugen. Der Zuschauer schwankt vielmehr zwischen amüsierter Komplizenschaft und irritierter Befremdung.

Aaltra

Der Film folgt der klassischen episodenhaften Struktur eines Roadmovies: Begegnungen mit komischen Nebenfiguren, unerwartete Komplikationen und Hindernisse reihen sich aneinander, sowie eine Trennung wegen Streits und das zufällige erneute Zusammentreffen. Die Geschichte als solche wirkt eher platt, was wohl daran liegt, dass dramaturgisch für die Protagonisten bei ihrer Reise irgendwie nichts auf dem Spiel steht. Schadensersatz? Da kann man sich auch einen Anwalt nehmen. Versöhnung? Ihre sich langsam in Freundschaft wandelnde Feindschaft ist zu nebensächlich dargestellt um bedeutend und nachvollziehbar zu sein. Auch die Figurencharakterisierung bleibt oberflächlich, so dass die beiden Helden seltsam hohl wirken. Der Film lebt vor allem von der paradigmatischen Reihung unzähliger frecher, vielfach politisch höchst inkorrekter Gags – nicht von ungefähr sind die beiden Filmemacher in Frankreich recht erfolgreiche Comedians.

Genauso wie Kaurismäkis Figuren sind auch die Helden von Delépine und Kervern ziemlich einsilbig. Die Komik konzentriert sich in Aaltra hauptsächlich auf visuelle Gags. Und wenn geredet wird, sind es meist absurde Dialoge, Anekdötchen, die man sich erzählt und zur Haupthandlung nicht viel beitragen. Zur wortkargen Verschrobenheit der Figuren passt der Eindruck von Behäbigkeit und Askese, der durch die filmische Narration vermittelt wird. Der langsame Erzählduktus entzieht sich bewusst jeglicher künstlicher Spannungserzeugung. Zum einen wird konsequent auf einen Soundtrack verzichtet. Zum anderen ist die Kamera zum überwiegenden Teil statisch. Die filmischen Einstellungen sind häufig frontal und symmetrisch um die vertikale Bildachse konstruiert, was insbesondere den vielen Totalen einen regelrechten Tableau-Charakter verleiht – die schwarzweiße Fotografie verstärkt diesen Effekt noch. Visuell bietet der Film wirklich schönste Independant-Ästhetik.

Aaltra

Der Minimalismus der Inszenierung, die harten Schnitte und gedehnten Totalen: Die gemächliche, fast lakonische Erzählweise ist Markenzeichen des Aki Kaurismäki. Requisiten wie die schwarze Sonnenbrille à la Leningrad Cowboys, die Delépines Figur trägt, sowie einzelne Szenen, wie die in Kaurismäki-Filmen fast obligatorische Gesangseinlage, zitieren dessen filmisches Universum. Auch das Rockkonzert, wo die beiden Hauptfiguren stoisch mitten unter dem tobenden Publikum weilen, kennt man in ähnlicher Form aus La vie de bohème (Das Leben der Boheme, 1991).

In Aaltra sind die Details oft gut gelungen, nur im Ganzen will die Geschichte irgendwie nicht wirken. Sie bleibt für ihre Autoren bedeutungslos, bloßer Anlass zum Erzählen einzelner frecher Einfälle. Schade, dass Delépines und Kerverns Helden deshalb auch die existentialistische Tiefe der Kaurismäki-Figuren nicht erreichen. Schließlich wirkt der Film nicht mehr als eine Pilgerreise, die die beiden Filmemacher in der Rolle ihrer Hauptfiguren zum großen finnischen Meister unternehmen. Am Ende des Films treffen die beiden Protagonisten endlich auf den Aaltra-Chef, der von Aki Kaurismäki höchstpersönlich gespielt wird. Beim Anblick der beiden Rollstuhl-Helden greift dieser kameradschaftlich zur Schnapsflasche und kommentiert: „Apparemment vous connaissez bien mon matériel!“ („Sie kennen mein Material wohl gut!“)

 

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