A Young Man with High Potential – Kritik

Nach einer Abfuhr zieht ein zorniger junger Mann eine Spur sexueller Gewalt durch ein Studentenwohnheim. A Young Man with High Potential lässt dabei offen, ob wir einem Sündenfall oder der Schaffung eines Übermenschen zusehen.

Eine der unzähligen Figuren in Stephen Kings Roman The Stand ist ein junger Erwachsener, dessen vielseitiges Wissen und praktische Fähigkeiten ihn für die wenigen Überlebenden einer Supergrippe unersetzbar machen. Harold Lauder heißt er, „Hawk“ wird er irgendwann voller Anerkennung genannt. Aber es gibt auch die andere Seite. Er ist dick und picklig, und die Erfahrungen der Highschool sitzen tief in ihm, er war und ist ein Außenseiter. Trotz (oder wegen) seines intellektuellen Potenzials ist er auf dem Feld des Sozialen ständig am Scheitern. Dieses Ungleichgewicht aus Überlegenheits- und Demütigungsgefühlen nagt an ihm – besonders, wenn es um Frauen geht. Lust und das Bedürfnis nach Zuneigung machen ihn mehr als alles andere hilflos. Zu den atemberaubendsten Momenten von The Stand gehören die Ausführungen Kings über Harolds (Masturbations-)Fantasien. Wie ein wahnsinniger römischer Kaiser herrscht er da über die ihm Untergebenen der Welt, über ihm ausgelieferte Leiber.

Tadellose Oberfläche, selbstgerechter Zorn

Informatikstudent Piet Carnell (Adam Ild Rohweder) ist in A Young Man with High Potential auf dem besten Weg, ein Wiedergänger dieses Harold Lauder zu werden. Die Koordinaten des Ungleichgewichts, das ihn mit Kings Figur verbindet, sind schnell gesetzt. Wenn die Rückblende einsetzt, die den größten Teil des Films ausmacht, dann thront er vor drei Bildschirmen, die mittig in seinem Wohnzimmer stehen; das potente Bild eines technokratischen Herrschers. Dazu hören wir das Urteil seines Professors über seine letzte Arbeit: brillant, aber er solle sich nicht zu viel darauf einbilden, noch nicht. Fast unmittelbar kommt aber auch seine Scheu hinzu: Kaum traut er sich aus seinem Zimmer, er lässt sich alles Lebensnotwendige liefern, und indirekt offenbart der erzwungene Kontakt mit Klara (Paulina Galazka) – sein Professor möchte, dass er mit ihr gemeinsam eine Arbeit verfasst – seine ihn verbitternde Jungfräulichkeit.

Wo sich The Stand aber zuweilen weit in die Gefühlswelt Harolds begibt, da bleibt A Young Man with High Potential an der Oberfläche. Mehr noch, das Innere Piets wird hermetisch weggeschlossen. Immer wieder schaut die Kamera in sein zumeist verschrecktes Gesicht, und sie dokumentiert kalt seine Taten. Als Klara seine sich offenbarende Zuneigung ziemlich ruppig abwürgt, entlädt sich eine Wut, in der viel mitschwingt. Die eine – so liegt es zumindest nahe – muss für alle tatsächlichen oder nur erwarteten Abfuhren einstehen. Piet scheint kein schlechter Mensch zu sein; was er von seiner akademischen Arbeit erzählt, lässt auf einen Idealisten schließen. Aber sein selbstgerechter Zorn zieht schon bald eine Spur sexueller Gewalt und zerstückelter Körper nach sich. Bald bleibt nur noch die Frage – auch für Piet –, wer er unter seiner tadellosen Oberfläche ist. Einer Oberfläche, die er zuweilen wie Norman Bates durch das penible Reinigen einer Dusche bewahren muss.

Pinselstriche des Individuellen

In einem Studentenwohnheim lebt Piet, in dem sich alle Zimmer gleichen. Die drei Wohnungen, die wir zu sehen bekommen, haben den gleichen Schnitt, die gleichen markanten schwarzen Wände, und die Küchen scheinen geradezu identisch. Nur die Ausstattungen geben ihnen einen individuellen Touch, wie Pinselstriche auf normiertem Hintergrund. Es ist ein klaustrophobischer Ort, der die Abstraktion widerspiegelt, in der sich Piet vor der Konfrontation mit Menschen schützt. Es ist aber auch ein klaustrophobischer Ort in einem klaustrophobischen Film.

Durch seine Rahmung wird A Young Man with High Potential zu einer Detektivgeschichte, die die Bedeutung der Pinselstriche und anderen Zeichen entschlüsseln will. Zu Beginn trifft Piet auf eine Detektivin (Amanda Plummer), die nach der verschwundenen Klara sucht. Wir sehen hier einen offenen, zugewandten Protagonisten in einer von Leben erfüllten Wohnung. Sein Computertisch steht in der Ecke. Die folgende Geschichte über sein Aufeinandertreffen mit Klara in der Vergangenheit zeigt dann die Figur, wie sie oben beschrieben wurde, in einem spartanisch eingerichteten Raum, der Computertisch klobig in der Mitte.

Konzentrierter Blick ohne Ablenkungen

Die naheliegende Frage ist dabei weniger, wie sich die Veränderung vollzog – das wird erschöpfend gezeigt, weil es das Einzige ist, was von außen zu sehen ist –, sondern welcher Natur diese Veränderung ist. Geht es um eine in einem Sündenfall begründete Menschwerdung oder um die Schaffung eines Übermenschen, der nun nach der Opferung des Moralischen auch das Soziale meistert? Wenn die Kamera immer wieder Piets voluminöse Lippen zeigt, wie sie zucken und beben, wie sie von einem inneren Kampf künden, dann sehen wir seine Unsicherheit, aber nicht wessen Unsicherheit es ist. Ist Klara an jemanden geraten, der sich in den Irrungen und Wirrungen seines Lebens verlaufen hat, oder an jemanden, der die in ihm steckenden Potenziale abruft?

Am Ende bleibt der konzentrierte Blick auf einen jungen Mann, der sich in sich eingeschlossen hat. Es gibt keine Nebenstraßen, keinen comic relief, keine Ablenkung. Nur Piet, die Dinge um ihn, auf die er reagieren muss, und das Antlitz seiner Handlungen. Konsequent und bohrend ist das. Ohne einen moralischen Zeigefinger. Das Unsagbare, über das King in The Stand so wortreich sprach, bleibt fern jeder übergriffigen Erklärung. Nur wird diese geballte Aufmerksamkeit auf den einen Konflikt der einen Figur mit einer gewissen Eindimensionalität bezahlt, die es ziemlich einfach macht zu sagen, dass Piet Carnell eben jemand wie Harold Lauder ist.

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