Eine Geschichte von drei Schwestern – Kritik
Ein alter Patriarch aus Anatolien will für seine Töchter ein besseres Leben. A Tale of Three Sisters sieht seinen Figuren gerne beim Reden zu. Und lässt sie manchmal auch Purzelbäume schlagen.

Reden ist in Emin Alpers A Tale of Three Sisters keine einfache, alltägliche Handlung: Es erfordert immer eine Art von rituellem Rahmen. Meistens ist das die Familienversammlung um den Kamin, aber es gibt auch die Männerrunde im Freien oder das gemeinsame, gleichmäßige Schwenken eines Ayran-Fasses. In dem abgelegenen Dorf mitten in den massiven Bergen Zentralanatoliens, in dem der alternde Patriarch Şevket (Müfit Kayacan) mit seinen drei Töchtern lebt, müssen sich die Menschen immer in eng abgezirkelte Konstellationen begeben, um sich miteinander austauschen zu können. So entfaltet sich auch ein Großteil des Dramas von Alpers Film nur in Erzählungen und persönlichen Schilderungen: Die entscheidenden Ereignisse liegen bereits in der Vergangenheit, und man kann nur mehr dadurch auf sie Einfluss nehmen, dass man ihnen diese oder jene sprachliche Form gibt.
Raus aus der Einöde

Dabei kreist das Schicksal von Şevket und seiner Familie ganz um ihre Beziehung zur nächsten größeren Stadt, genauer: um ihr Verhältnis zu dem dort lebenden Arzt Necati (Kubilay Tunçer). In dessen Obhut hat Şevket nacheinander seine zwei ältesten Töchter übergeben, damit sie das Leben außerhalb der bergigen Einöde kennenlernen können. Doch sowohl Reyhan (Cemre Ebüzziya) als auch Nurhan (Ece Yüksel) werden bereits nach kurzer Zeit ins Dorf zurückgeschickt – die eine wegen einer plötzlichen Schwangerschaft, die andere wegen ihres Hangs zu körperlicher Aggression. Nun soll also Havva (Helin Kandemir) an die Reihe kommen: Bei einem Besuch des Arztes will Şevket ihn von dem fleißigen und zahmen Naturell seiner jüngsten Töchter überzeugen, auf dass er sie bei sich aufnehme. An den Rändern dieses Familiendramas streichen in A Tale of Three Sisters mehrere verlorene Figuren umher: der verzweifelt-unbedarfte Hirt Veysel (Kayhan Açıkgöz), mit dem Reyhan nach ihrer Rückkehr verheiratet wurde, zwei Bergarbeiter, die die letzten Kohlereste aus einer längst aufgelassenen Mine kratzen, und ein stummes Dorf-Faktotum.
Ein Melodram der leise weinenden Gesichter

Kein Melodram der offenen Streitereien oder der sichtbaren Grausamkeiten ist A Tale of Three Sisters in erster Linie, sondern vor allem eines der leise weinenden Gesichter. Die großen Wendepunkte und emotionalen Ausschläge bestehen in Alpers Film meistens darin, dass etwas zum ersten Mal offen ausgesprochen oder geschildert wird, über das sich ohnehin schon alle längst im Klaren sind. Trotz der teilweise wilden Abfolge von Schicksalsschlägen spart der Film somit bewusst alle Momente der Spontanität, der Unkontrolliertheit oder der Überschwänglichkeit aus – wodurch aber das Übermaß der emotionalen Verwicklungen irgendwann auch etwas Gleichförmiges, gar Gleichgültiges bekommt.
Tatsächlich funktioniert Alpers Film dann am besten, wenn er die Figuren beim Reden nur beobachtet und es gar nicht so sehr darauf ankommt, was genau gesagt wird. Immer wieder blickt etwa die Kamera lange in das nervös und hilflos zuckende Gesicht Veysels, während er vergeblich versucht, seine Ängste und Begehrlichkeiten in Worte zu fassen. Oder es wird beobachtet, wie der Arzt, der Vater und der Dorfälteste um ein Lagerfeuer geschart über Havvas Zukunft verhandeln, im Hintergrund eine massive Bergwand und zu drei Seiten ein steiler Abgrund – eine um Leichtigkeit bemühte Unterhaltung, die ganz buchstäblich die Gefahr eines tödlichen Absturzes in sich zu tragen scheint.
Das Ritual des Lyrischen
Auf dieses überwältigende Bergpanorama greift Alper vielleicht etwas zu oft zurück, in seinem Bemühen, den dramatischen Wirrungen eine poetische Klammer zu geben. Die Mauer aus Geröll und Gestein, die sich um die Menschen des Dorfes schließt, und der dichte Nebel, der sich in diesem Kessel festsetzt, lassen zwar jeden Spaziergang wie eine existenzielle Sinnsuche erscheinen – aber eine wirkliche gegenläufige Ebene oder zusätzliche Perspektive eröffnen sie nicht.

Wie schwerfällig dieses Kippen in einen lyrischen Modus in A Tale of Three Sisters oft ist, zeigt sich an einem immer wiederkehrenden Motiv: eine ältere Frau, die unablässig durch das Dorf streunt und dabei stumm die Leiden und Mühen der Bewohner beobachtet, geht am oberen Ende des immer selben Hanges in die Hocke und lässt sich dann in wilden Purzelbäumen die Böschung hinabrollen. Die eigenschaftslos-unschuldige Außenseiterfigur, die betont kindliche Bewegung und die sofort aufwallende Streichermusik fordern vom ersten Moment an eine poetische Rührung ein, noch bevor sich dieses Bild im Einzelnen entfalten konnte – und noch bevor es in eine Beziehung zu den restlichen Eindrücken des Films gesetzt werden konnte. So wird der lyrische Einschlag in Alpers Film selbst zu etwas Rituellem: Er markiert eher das Verlangen nach Bedeutsamkeit, als diese tatsächlich herzustellen.
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