A School in Cerro Hueso – Kritik

Kino als Schutzhülle. Betania Cappato steckt ihre autistische Protagonistin in eine Schule, in der man einander hilft. A School in Cerro Hueso ist ein Film nicht der großen Worte, sondern über das Große, das im Kleinen steckt.

Es ist für einen kurzen Moment unklar, wer hinter dem Glas in der Vitrine steckt: die sechsjährige Ema (Clementina Folmer) oder das ausgestopfte Frettchen. Nein, es muss das Tier sein, verrät der Gegenschuss, als Emas Finger über die durchsichtige Oberfläche gleiten. Sorgsam malen sie die Umrisse von dem nach, was hinter der Spiegelung liegt und sich ihren streichelnden Liebkosungen entzieht, bis das schmächtige Mädchen mit den langen Haaren

weiter durch das Museum läuft, um auf die Kugelfische und Schlangen zu schielen. Trotz der Bewegungsfreiheit bleibt das Gefühl bestehen, dass Ema sich wie hinter Glas durch die Welt in A School in Cerro Hueso manövriert. Nicht weil Regisseurin Betania Cappato die autistische Protagonistin ausstellen würde. Eher verwandelt sich das Glas in Cappatos Spielfilmdebüt zu einer schützenden Hülle, einer Umarmung, die Ema kontinuierlich begleitet.

Ein Versprechen, das sich einlöst

17 Bewerbungen haben Julia (Mara Bestelli) und Antonio (Pablo Seijo) an Schulen in Argentinien geschrieben, doch nur eine in der Nähe des Paraná-Flusses will das Kind mit der Entwicklungsstörung aufnehmen. Die Familie zieht also von der Großstadt ins Dorf, wo Vater Antonio fix ein Community-Gardening-Projekt aufzieht und Mutter Julia mit den Anwohnenden das rätselhafte Fischsterben vor Ort untersucht. Das Verhältnis zur eigenen Umwelt und die Frage, wie sich mit ihr umgehen, was sich von ihr wahrnehmen und verstehen lässt, ist das zentrale Thema, um das die Figuren in A School in Cerro Hueso kreisen; nicht nur Emas Eltern, sondern auch das Mädchen selbst, das nicht spricht und dessen Fingernägel die Mutter nur im Schlaf leise abknipsen kann, damit es sich nicht wehrt. „Wir sind eine kleine Schule, hier hilft man einander”, hatte die Direktorin (Carla Rucitti) schon beim ersten Treffen verkündet, ein Satz wie ein Versprechen, das sich in Cappatos Film einlöst. Ema wagt den Schulantritt und wird von ihrer Klasse wie dem Lehrpersonal unterstützt, im Lernen so bestärkt wie im Dranbleiben am sozialen Leben – allen voran durch Mitschülerin Irene (Irene Zequin), die Emas Angewohnheit, während des Unterrichts mit dem Vorhang am Fenster zu spielen, von ihrem Platz aus sehnsüchtig beobachtet.

Alltag und Davonträumen

A School in Cerro Hueso ist kein Film großer Worte; reden, das tun hier eh die anderen. Aber es ist ein Film über das Große, das im Kleinen steckt: die Ermutigungen einer Lehrerin, das Aushalten von Augenkontakten, das Haareschütteln mit der besten Freundin, das vermeintlich unauffällige Küsschen, das Irina Ema in der Pause auf die Wange drückt. Verbales wird bei Cappato nicht ersetzt. In A School in Cerro Hueso verschieben sich bloß die Prioritäten. Gesten und Geräusche werden vergrößert, Vögel schnattern, Kies knirscht, kein stummer, wohl aber ein leiser Film, bei dem es aufmerksam hinzuschauen und hinzuhören gilt. Eine Widmung am Anfang und eine Einblendung am Ende markieren, dass der Film auf biografischen Erfahrungen der Regisseurin beruhen. Und das ist spürbar, so sympathisch und empathisch sind die Figuren, so zärtlich und behutsam beschäftigt sich Cappato mit dieser Familie, so genau erzählt ihr Film vom Alltag, nur um sich wieder schnell davonzuträumen.

Plötzlich stoppt ein Pferd eine Autofahrt der Familie. Endlich ein echtes Exemplar, nicht die olle Plastikfigur, mit der Ema am Esstisch ihre Tasse umkreist. Als das Mädchen beim Anblick des Tieres grinst, zum ersten Mal in diesem Film, da lächeln die Eltern auch. Sie müssen fast weinen vor lauter Lächeln, weil solch eindeutige Gefühlsregungen des Kindes rar und die eigene Mimik fremd geworden sind. Ich lächle auch. Es ist das, was A School in Cerro Hueso schafft: Bilder ohne Pathos zu finden für Dinge, die die Sprache übersteigen. Wo die Wörter aufhören, fängt das Kino an.

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