A Night to Dismember – Kritik
Sexploitation à la Wishman - Teil 4: Tante Doris auf den Spuren von Michael Myers & Co.: Wie man Genrekino auseinandernimmt und wieder neu zusammensetzt.

Die Zeit von 1973 bis 1983 muss eine sehr schöne gewesen sein. Die letzten Blüten der „Flower Power“-Ära rieselten auf den müllübersäten Rasen von Woodstock und Fillmore East. Die rebellische Jugend machte ihrer angestauten Unzufriedenheit Luft im „No Future“ der Punkbewegung. Zuckerwasser-Stachelfrisuren wurden wieder eingetauscht, um schnieken NDW-Haarschnitten Platz zu machen. Und überm großen Teich rüstete man schon auf für die große Schlacht der Yuppies, Hardbodies und Hollywood-Koksnasen. Und Doris Wishman drehte einen Film.
A Night to Dismember kann man entweder als filmische Totalkatastrophe ansehen oder aber als erstklassiges Beispiel für die besondere Kunst einer überaus persönlichen Filmemacherin. Wenn Doris Wishman einen Film drehte, dann war das Ergebnis kein konventionelles Genrekino, es sei denn, man möchte Wishman-Filme als eigenes Genre annehmen. Grund genug dafür gäbe es.
Zweite Chance für den Axtmörder

Als sich die Regisseurin Anfang der 1970er an einen waschechten Psychothriller wagte – lange bevor Jason seine Eishockeymaske aufsetzte –, orientierte sich das Genre immer noch am Erbe von Hitchcocks Psycho (1960). Mit immer absurder werdenden Begründungen wurden axtschwingende Mörder und Mörderinnen auf die blutige Reise geschickt, und immer lag dem Geschehen eine langweilige Ursache-Wirkung-Kette zugrunde. Es wäre vielleicht ganz interessant gewesen, was Tante Doris aus dem Sujet gemacht hätte, wäre ihr nicht das Schicksal in die Quere gekommen, in Gestalt eines renitenten Laborassistenten. Der nämlich entzündete ein Feuerlein, das kurzen Prozess machte mit einem Großteil des bereits belichteten Materials. Der Film – so schien es – war vernichtet.
Falsch! Denn das Schicksal hatte die Rechnung ohne Tante Doris gemacht. Während sich Chesty Morgan in einigen Wishmans in die Brust warf und zumeist namenlose Darsteller in anderen Wishmans in die Hotelbetten, schrieb die Grande Dame des amerikanischen Exploitationkinos das Drehbuch um, auf Grundlage des noch existierenden Materials. Irgendwann, so dachte sie, würde sie genügend Geld zusammengewirtschaftet haben, um dem Axtmörder eine zweite Chance zu geben.
Das Gefühl, nach Hause zu kommen

Die Zeit war Anfang der 1980er gekommen. Mit dem New Yorker Pornostar Samantha Fox in der Hauptrolle und einigen Verwandten und guten Freunden im Schlepptau drehte Wishman neues Material, das sie mit den alten Szenen verband. Wo Wirrnis herrschte, musste eben eine gute Nachsynchronisation für Klarheit sorgen. Das Ergebnis erblickte 1983 das Licht der Welt, A Night to Dismember, der definitive Über-Slasher. Wer aus diesem Film eine stringente Handlung herausdestillieren kann, verdient eine goldene Brezel. Es geht um die problematische Familiengeschichte der Kents, die in einem herzerwärmenden Prolog mit unzähligen Namen verknüpft ist, die man gleich wieder vergessen kann, denn sie werden im Film nicht mehr vorkommen. Einzig interessant ist Vicki Kent (Samantha Fox), die einige Hippie-Teenager abgeschlachtet haben soll und die darauffolgenden Jahre in der Klapsmühle verbracht hat. Nun ist sie wieder draußen und zieht bei Verwandten ein, die in einem Haus wohnen, das man aus diversen anderen Wishmans kennt.

Und da wäre es wieder einmal, das schöne alte Familiengefühl, das sich beim Betrachten der meisten Wishman-Filme fast unweigerlich einstellt! Die Schauplätze sind einem auf merkwürdige Weise vertraut, die Gesichter kennt man auch. Blitze, die bereits vor Jahren gezuckt haben, kommen erneut zum Einsatz. Blümchen und Tierchen, die mittlerweile längst zu Moos geworden sind, erfahren eine kurzfristige Reanimierung im Dienste des bunten Kintopp. Wo immer Dialogszenen keinen richtigen Anschluss haben, werden einfach Aufnahmen von Füßen eingebaut, die mal von links nach rechts, mal von rechts nach links gehen. Doris Wishman war die einzige Filmemacherin, die erkannt hatte, dass Füße der Leim sind, der Anschluss schafft. Leider spielt Tante Doris selbst nicht mit, aber dafür kann man sie auf der fabelhaften Tonspur hören, da sie nahezu alle (!) weiblichen Sprechrollen selbst übernahm. (Leider nicht die männlichen. Hier kann man u.a. Doris’ langjährigen Kameramann und Mitstreiter Chuck Smith vernehmen.) In einer Szene synchronisiert sie sogar einen Hund. Toll! Da in einigen Szenen wohl noch Geräusche fehlten, musste auf der Tonspur nachgeholfen werden, und zwar mit dem Mund. Am fabelhaftesten gelingt dies in einer Szene, in der der Kopf eines unglücklichen Randcharakters von einem Auto überrollt wird. Das Geräusch, das der Sprecher macht, klingt etwa wie „Pfffrchlllz!“
Ein blutstarrender Wohlfühlfilm

Und ja, dies ist mit Abstand der blutrünstigste aller Doris-Wishman-Filme. Hektoliterweise kommt das – gar nicht mal schlechte – Filmblut zum Einsatz, denn Morde setzt es bis zum Abwinken. Allerdings sieht selbst das Blut irgendwie niedlich aus, drollig, gar nicht anstößig. Es ist freundliches Blut. Würde in einem Wishman-Film eine reißende Bestie aus dem Zoo ausbrechen und Menschen verspeisen, so wäre auch die Bestie niedlich, das ginge gar nicht anders. Es bereitet mir eine gewisse morbide Freude, mir ein Horrorfilmfestival vorzustellen, das von Old-School-Gorehounds bevölkert ist, die dann mit Tante Doris’ Schlachtplatte konfrontiert werden. Ich glaube nicht einmal, dass da Buhrufe erklingen würden. Die angemessene Reaktion wäre ein Wald von Fragezeichen, der auf einmal über den Köpfen der ruppigen Gesellen erscheint. Und dann gäbe es vielleicht Gelächter, aber nicht böses Gelächter, denn über Wishman-Filme lacht man nicht, man lacht mit ihnen. Viel zu liebevoll und einzigartig sind diese Filme zusammengesetzt, im vorliegenden Fall sogar wortwörtlich. A Night to Dismember ist ein blutstarrender Wohlfühlfilm.

Mag sein, dass die 1970er Jahre viele Veränderungen gesehen haben. Manche Dinge verändern sich aber nie. Wie diamanthart Genregrenzen auch immer beschaffen sein mögen – sie kapitulieren vor dem Liebreiz und der Anmut der alten Dame. Man begibt sich in ihre kleine Welt, und sofort wird diese Welt zu der eigenen. 70 Minuten Unbegreiflichkeit, die man gesehen haben muss.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Trailer zu „A Night to Dismember“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (17 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.