A Fábrica de Nada – Kritik
Die Leere füllen: Der portugiesische Regisseur Pedro Pinho fragt nüchtern, was von einer stillgelegten Fabrik aus geträumt, bewirkt und gefilmt werden kann. Dabei veranstaltet er Wettrennen auf Gabelstaplern und klopft das utopische Potenzial der Selbstverwaltung ab.

In der ersten – menschenleeren – Szene wird ein Silo abgerissen. Maschinen ziehen die Wände in Streifen ab wie Kleider vom Leib; übrig bleibt ein erstaunlich menschliches Gefühl von Nacktheit und Verletzlichkeit. Die zweite Szene versetzt uns in eine Fabrik. Diesmal gibt es Menschen: behandschuhte Hände im harmonisch getakteten Zusammenspiel mit Maschinen. Dann, wieder, Stille. Die Fabrik schläft, nicht aber der Mensch: Auf das Zusammenspiel von Mensch und Maschine folgt das Zusammenspiel der Körper in einer Sexszene. Arbeit, Familie. Ein Anruf unterbricht die Liebenden: Zé (José Smith Vargas) soll in die Fabrik fahren. Dort trifft er auf seine aufgewühlten Kollegen: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion räumen Unbekannte die Fabrik, allem Anschein nach auf Befehl der Geschäftsführung.
Die Fabrik der Utopie

Es ist eine Abwandlung der anfänglichen Siloszene: Der Zuschauer, die Fabrikarbeiter werden vor vollendete Tatsachen gestellt, die Vollstreckung einer Entscheidung, deren Aushandlung, Findung, Durchsetzung im Verborgenen bleibt, weder zeitlich noch räumlich zu verorten ist; eine Entscheidung, die im Film nicht aufgedröselt, sondern lediglich in ihrer äußersten Konsequenz gezeigt wird, dort, wo sie Gestalt und Form annimmt: dort nämlich, wo Maschinen weggetragen werden, wo Arbeiter arbeitslos gemacht werden, im bildlichsten Sinne ihrer Arbeit beraubt: Zé, Hermínio (Hermínio Amaro), Rui (Rui Ruivo) und die anderen irren durch die Fabrik und stellen den Verlust der „beiden Halbautomatischen“, der „laminierten mit 6mm“ fest. Übrig bleibt wohl die titelgebende Fabrik des Nichts in ihrer Uneindeutigkeit: eine Fabrik, deren Arbeit für nichtig erklärt worden ist, die nichts herstellt, die vor dem Nichts steht. Doch ähnlich der Utopie, die ja ein Nicht-Ort ist, bietet sich die Nicht-Fabrik zum Träumen an. Es fehlen nicht nur Maschinen, auch die Geschäftsführung ist desertiert. In dieser hierarchischen Tabula rasa richten sich also die Arbeiter ein und versuchen, etwas Neues zu gestalten.

Die Freiheit in der Gestaltung nimmt sich auch Regisseur Pedro Pinho. Zunächst die Freiheit mit der Wahrheit: A Fábrica de Nada schwankt zwischen der Fiktion und dem Dokumentarischen. Dann die Freiheit mit der Form: Es gibt allerlei Genreanleihen, und dass A Fábrica de Nada ein „neorealistisches Musical“ sei, wie es ein Protagonist am Ende suggeriert, als der Film quasi aus sich selbst heraustritt und damit der Fiktion nochmal einen draufsetzt, ist eine unzulängliche Beschreibung. Da ist, natürlich, das Dokumentarische (oder zumindest dessen Anschein), besonders dann, wenn die Arbeiter diskutieren. Es sind lange Szenen, in denen sich die Kamera unter die Diskutierenden mischt und ihre Achtung vor dem, was sie zu sagen haben, spürbar wird. Ihre Rede wird nicht in die Schranken gewiesen, sie wird nicht formatiert, nicht gekürzt, sie entsteht hier vor unseren Augen und schöpft eben daraus ihre Legitimität. A Fábrica de Nada sucht keine direkte Konfrontation, inszeniert nicht den Aufprall von Diskurs und Gegendiskurs, sondern schaut zu, wie der Gegendiskurs in einem geschützten Raum, ehe er sich seinen Widersachern konfrontieren muss, geboren wird; wie er sich gegen die Kritik aus den eigenen Reihen behaupten muss.
Dekonstruktion statt Aufschwung

Es geht in A Fábrica de Nada darum, die Stille und die Leere zu füllen: in der Fabrikhalle wie auf der Diskursebene. Bei Ersterem rutscht Pinho gern in die Komik, bringt Verspieltheit und Verträumtheit in die Fabrik: Wettrennen auf Gabelstaplern, Fußball, Musik; die Revolution als Volksfest. Bei Letzterem geht es harscher zu, wird die angedeutete Utopie abgeklopft: Bedeutet Selbstverwaltung letztlich nicht, sich auf eigene Faust den Gesetzen des Marktes auszuliefern? Und wie stellt man den Kindern eigentlich was zu essen auf den Tisch, während man große Worte macht? Die Theorie wird hier in erster Linie von den Betroffenen erarbeitet, besser: ausgehandelt. Im Film gibt es aber auch eine Szene, in der eine Gruppe von polyglotten Menschen am Tisch über Selbstverwaltung diskutiert. Das Bindeglied zwischen den Fabrikarbeitern und der Gruppe ist ein bärtiger Regisseur (Daniele Incalcaterra), der um die Arbeitergruppe kreist und sie dazu ermutigen möchte, in die Selbstverwaltung zu gehen. Die Fabrik soll – so der zweite Regisseur in diesem Film – eine politische Antwort sein, die die europäischen Linken nicht liefern konnten.

Mit der Figur des Regisseurs fällt A Fábrica de Nada in den Selbstbezug. Zum einen verweist er auf seine eigene Gemachtheit. Zum anderen stellt er den Deus ex machina infrage, der urplötzlich den Weg zur Selbstverwaltung ebnet: ein Großauftrag aus Argentinien, von einer anderen selbstverwalteten Fabrik. Den Auftrag, so stellt sich heraus, hat der Regisseur orchestriert, doch was genau daran? Hat er ihn in die Wege geleitet oder gänzlich vorgetäuscht? Es ist bezeichnend, dass der Film in diesen Selbstbezug flüchtet, als es konkret um die Machbarkeit der Selbstverwaltung geht. Die Figur des Regisseurs stellt auch die Frage nach der Darstellung von sozialen Konflikten und ihrer Instrumentalisierung: Dass sie nur Darsteller seien für seine französischen Filmfreunde, wirft Zé dem Regisseur vor. Darsteller einer orchestrierten Bewegung, auf die sie eigentlich keine Lust mehr haben? Die letzte Szene in diesem dreistündigen Film liest sich jedenfalls wie eine knallharte Absage an den Traum der Selbstverwaltung. Und an die Revolution ohnehin: In A Fábrica de Nada bleiben die Waffen begraben.
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