Cold War - Der Breitengrad der Liebe – Kritik
Ein Liebespaar, das nicht nur von Ort zu Ort, sondern von einer musikalischen Ausdrucksform zur nächsten geworfen wird. Davon erzählt Cold War auf eine Weise, die jeden menschlichen Wildwuchs beharrlich zurechtstutzt.

Am Anfang von Pawel Pawlikowskis Cold War (Zimna wojna) steht ein ungeordnetes Herumstreunen: Ein Suchtrupp durchkämmt mit einem ratternden Lastwagen die karge Landschaft Nachkriegspolens, auf der Suche nicht nach Orten, Menschen oder Besitz, sondern nach Klängen und Musik. Ein heulender Dudelsack, ein dröhnendes Akkordeon, der einsame Gesang eines jungen Mädchens: Alles wird mit einem Tonbandgerät eingefangen, oder eher: abgebaut, wie ein wertvoller Rohstoff. Doch der ist in seiner vielgestaltigen Masse zu formlos, um eine klare Bedeutung zu entfalten und einem eindeutigen Zweck dienen zu können. Deshalb soll nun ein Chor ins Leben gerufen werden, der nach den Verheerungen des Krieges die traditionelle Musik der polnischen Land- und Bergbevölkerung publikumswirksam in die Städte und ins Ausland trägt.
In einem einst herrschaftlichen, nun halb zerstörten Gutshaus werden Tänze einstudiert, Kostüme anprobiert und die verschiedenen in der Recherchearbeit eingefangenen Stile zu einer Chormusik eingeschmolzen, die trotz der Vielzahl der beteiligten Stimmen immer nur auf Gleichklang und harmonische Verstärkung abzielt. Aus all den eigenständigen klanglichen Eindrücken, die ganz unterschiedliche Lebenswirklichkeiten widerspiegelten, wird so Schritt für Schritt die Fiktion eines einförmigen Nationalcharakters geformt, ein gemeinsames Volkstum inszeniert und eine Ursprünglichkeit behauptet, die es nie gegeben hat.
Figuren, die nicht wissen, dass sie das Entscheidende bereits getan haben

Die Schilderung dieses wie mechanischen Vorgangs, in dem politische, kulturelle und geschichtliche Kräfte und Zwänge am Werk zu sein scheinen, die die Entscheidungen und den Willen der einzelnen an ihm beteiligten Personen übersteigen, ist der bei Weitem interessanteste und wirkungsvollste Aspekt von Pawilkowskis Film. Ähnlich wie in seinem letzten Film Ida (2013) ist auch Cold War in engen, fast quadratischen Schwarz-Weiß-Bildern gestaltet, in denen die Figuren oft verloren gehen in den starren Linien und Formen ihrer Umgebung. Auch der Rhythmus ist wieder ein geraffter, elliptischer: Szenen brechen oft unvermittelt ab, werden durch den abrupten Wechsel und die stakkatoartige, oft große Zeitsprünge miteinschließende Abfolge auf einzelne Blicke, Gesten und Sätze reduziert.
So entwickelt der Film einen abgeklärten, abgehärteten Gestus, der stets zu verstehen gibt, dass zwar die Figuren vielleicht meinen, noch allerlei erzählen und tun zu müssen, in Wahrheit aber alles Entscheidende bereits gesagt und getan wurde. Es ist ein Stil, der sich nicht groß aufhalten will mit der Unordnung und den vielfältigen Formen des Selbstbetrugs, die das menschliche Handeln bestimmen – ein Stil, der dazu angetan ist, die unpersönlichen Strukturen offenzulegen, die sich hinter diesem vermeintlich selbstbestimmten (oder zumindest von individuellen Gefühlen und Erfahrungen bestimmten) Handeln verbergen.
Liebesgeschichte ohne Anschauungsmaterial
Es sind dann aber doch nicht derart breit gefasste Strukturen und Prozesse, denen das eigentliche Interesse von Cold War gilt. Die Schilderung der Entstehung des Mazurek-Chors verdichtet sich bald zu einer Romanze zwischen dem musikalischen Leiter und einer der Sängerinnen, die sich über mehrere Jahrzehnte entspinnt und ruhelos zwischen Ost und West, zwischen Warschau, Paris und der polnischen Provinz hin und her schweift. Eine solche Liebesgeschichte lebt jedoch von der nervösen Unsouveränität menschlichen Verhaltens, von der Unbegreifbarkeit der Gedanken und Gefühle, von den Frustrationen und kurzen Augenblicken der Euphorie, die sich aus dem Widerspiel von Vorstellung und Realität ergeben – also gerade von jenem menschlichen Wildwuchs, den Pawilkowskis Erzählweise beharrlich zurechtstutzt.

Wenn sich Wiktor und Zula nach Jahren der Trennung in Paris wiedersehen, dann sieht man die beiden Liebenden nur kurz durch die Straßen spazieren, gefolgt von einem plötzlichen innigen Kuss und Wiktors Bemerkung, dass Zula die Frau seines Lebens sei. In der Knappheit dieser szenischen Abfolge muss Pawilkowski somit die Entwicklungen und Wendungen seiner Geschichte eher heranzitieren, als sie wirklich ausgestalten zu können. So erklärt Zula in ihrem Pariser Exil, dass ihr Leben in Polen um ein Vielfaches glücklicher war. Doch fehlt einem dabei schlicht das Anschauungsmaterial – die Beobachtungen und die sinnlichen Eindrücke –, um diese Aussage einordnen oder sich irgendwie zu ihr verhalten zu können – sie hängt, wie so vieles in Pawilkowskis Film, als bloße Behauptung im Raum.
Die permanenten Wandlungen der Musik
Doch hinter den kargen Formen der Liebesgeschichte schimmert in Cold War dann doch noch ein anderes Drama, eine andere Struktur hervor: eine abstrakte, ungreifbare Serie von Verwandlungen, die sich auf musikalischer Ebene vollziehen, oder eher: die durch die Musik vollzogen werden. Denn in ihrem unsteten Leben werden Wiktor und Zula nicht nur von Ort zu Ort, sondern vor allem auch von einer musikalischen Ausdrucksform zur anderen geworfen. Auf die gemeinsame Zeit im polnischen Nationalchor folgen für Wiktor kurze Episoden als Jazzmusiker und Filmkomponist, während Zula zunächst zu einer Interpretin französischer Chansons und dann schließlich zur Sängerin polnischer Schlager wird, begleitet von einer Bigband im Mariachi-Outfit und verkleidet mit einer theatralischen Perücke. Nicht nur die verschiedenen Kulturen und politischen Systeme geben den Figuren in Cold War also keine Heimat, sondern auch (oder vor allem) die unterschiedlichen Rhythmen und Klangwelten der Musik. Das eigentliche Drama von Cold War besteht somit in einem großen Missverständnis: Die Musik wird von den Menschen in Pawilkowskis Film als der Träger für allerlei Versprechen behandelt, von denen sie jedoch keines wirklich einlöst. Doch ist das auch gar nicht ihre Aufgabe – sie kann und soll diese Versprechen nur bewahren und immer wieder aufs Neue aussprechen.
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