2551.01 – Kritik
UNDERDOX Filmfestival: Mit dem No-Budget-Lumpenproletariats-Neostumm-Experimental-Gruselfilm 2551.01 ist Norbert Pfaffenbichler ein bildgewaltiges Werk gelungen, das sich kaum in Worte fassen lässt.

2551.01 ist ein Film, den man von der ersten bis zur letzten Sekunde in einem Zustand angsterfüllter Anspannung erlebt. Gleich, so scheint es während der gesamten 65 Minuten Laufzeit, gleich wird etwas ganz Schlimmes passieren, etwas besonders Heftiges auf das eigene Nervensystem einprasseln. Doch, so viel sei zur allgemeinen Beruhigung schon mal über diesen furchteinflößenden Film verraten: Regisseur Norbert Pfaffenbichler hat das gar nicht nötig.
Pfaffenbichler verdient sich diese zittrig bebende Erwartungshaltung durch einen Prolog, der mit stroboskopischem Dauerflackern, harter Metal-Musik und Pyrotechnik über das Publikum hereinbricht: In bläulich angehauchten Schwarz-Weiß-Bildern sehen wir, wie sich eine Einheit klinisch weiß gekleideter Polizisten und eine aufgebrachte Menge aus grässlichen Gestalten erst gegenüberstehen und schließlich aufeinander einprügeln. Ein Mann mit Affengesicht und Nasenring (Stefan Erber) rettet dabei ein Waisenkind (David Ionescu), das einen Sack über den Kopf gestülpt trägt, vor den Schlagstöcken der Staatsgewalt und kümmert sich anschließend aufopferungsvoll um es – eine Referenz auf Charlie Chaplins The Kid (1921).
Ein Neostummfilm mit Gameboy-Musik

Zwar ist 2551.01 nicht frei von brutalen oder ekelerregenden Szenen: In den Folterkellern der Polizei werden menschliche Augen rausoperiert und in den Mixer gesteckt, und in den Elendsbehausungen des Lumpenproletariats gibt es Embryo-und-Penis-Suppe. Doch im Kern setzt Pfaffenbichler nicht auf shock and awe, sondern auf Ambiente und Ausstattung. Fast die gesamte Handlung findet in einer tageslichtlosen Unterwelt statt, die aus düsteren Katakomben, matschigen Gängen und dreckigen Bunker-Quartieren besteht.
Der Regisseur und sein Kameramann Martin Putz zeigen diese klaustrophobische Welt in Stummfilm-Ästhetik: herrlich verrauschtes 16-mm-Material, mitunter ruckelnde Bilder im engen 4:3-Format, irisförmige Vignetten, psychedelische Verzerrungen und Farbfilter von Sepia über Lila bis hin zu Rot. Statt Dialogen hören wir nachvertonte Geräusche von Foley Artists – hier reißt ein Stofffetzen, da knackt ein Knochen, dort quackert der Schlamm. Dem Metal aus dem Prolog folgt später eine Klavierbegleitung, die gelegentlich von Industrial-Techno oder gar Gameboy-Klängen kontrapunktiert wird.
Maskenball in der Unterwelt

Die größte Sinnesfreude dieses Films ist aber seine schier unfassbare Ausstattung. Was Pfaffenbichler und sein Team allein mit Masken für Bilderfluten entfesseln, ist – gerade angesichts der offensichtlichen Budgetgrenzen – ein wahres Wunder. Keine Figur hat hier ein Gesicht, 2551.01 ist ein einziger Maskenball: Harlekin-, Weihnachtsmann-, Affen-, Monster-, Virologen-, Sadomaso-, Strumpf- und Gasmasken mag man ja im gut sortierten Kostümhandel noch einfach kaufen können. Aber all die grauenhaften Fratzen mit ihren schreienden Mündern, durchlöcherten Knochen und der weggeätzten Haut sind in liebevoller – und vermutlich jahrelanger – Handarbeit entstanden. Hinzu kommt ein ganzes Arsenal an schauerlichen Puppen, ausgestopften Präparaten aus dem Kuriositätenkabinett und sonstigen grotesken Fundstücken, die den Hintergrund bis ins kleinste Detail füllen.
Pfaffenbichler wählt hier nicht den vergleichsweise einfachen Weg des Horrors, sondern den ungleich schwereren des Grusels: Er schockt nicht, sondern verstört – mit den überwältigenden Schauwerten ebenso wie mit boshaftem Gelächter aus der Konserve oder der Verrohung und Niedertracht der Unterdrückten, die sich nur selten in proletarischer Solidarität begegnen, sondern einander eher überfallen, bestehlen und demütigen. In 2551.01 verfliegt der Schrecken nicht nach wenigen Sekunden, sondern kriecht einem unaufhörlich über den Rücken. Wie der kryptische Titel andeutet, handelt es sich hierbei nur um den ersten Teil. Der zweite soll Orgy of the Damned heißen – welch fürchterliche Vorfreude!
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