1917 – Kritik

Der Krieg als souveräne One-Shot-Performance: Schon vor dem Dreh von Sam Mendes’ Erstem-Weltkriegs-Film mussten alle Zufälle ausgeschlossen werden. 1917 verleitet deshalb zu einem Trugschluss.

1917 stellt gleich in doppelter Hinsicht eine Tour de Force dar. Denn zum einen wird die Handlung von der gefährlichen Mission zweier junger britischer Soldaten bestimmt, die im Titeljahr an der französischen Front eine Nachricht überbringen sollen, die Hunderten Kameraden das Leben retten kann: Blake (Dean-Charles Chapman) und Schofield (George MacKay) müssen vor Anbruch des nächsten Tages eine vom Funkverkehr abgeschnittene Kompanie erreichen, der Blakes Bruder angehört und deren Kommandant von einem geplanten Sturmangriff abgehalten werden muss.

Zum anderen ist im ganzen Film, während über den Protagonisten Luftkämpfe toben oder vor ihnen Minen hochgehen, kein einziger Schnitt (oder genau genommen: höchstens einer) zu erkennen. Dieser Eindruck eines durchgehenden Bilderflusses verdankt sich zwar dem diskreten Einsatz von Tricks; wie Kameramann Roger Deakins in Interviews einräumt, wurde nämlich keine Einstellung gedreht, die länger als neun Minuten dauerte. Damit eine unsichtbare Montage suggerieren kann, dass eine einzige Einstellung fast zwei Stunden dauere, war dennoch ein Höchstmaß an generalstabsmäßiger Umsicht nötig.

Zufall ausgeschlossen

Da beim Dreh und in der Postproduktion von 1917 Änderungen nur im engsten Rahmen möglich waren, wurde dem Drehbuch von Regisseur Sam Mendes und der schottischen Ko-Autorin Krysty Wilson-Cairns im Vorfeld eine noch festere Verbindlichkeit abverlangt als gewöhnlich. Außerdem waren viermonatige Proben in den Londoner Shepperton Studios erforderlich, bei denen nicht nur die Darsteller, sondern auch Deakins üben mussten, die vom Filmemacher gewünschten kontinuierlichen Bewegungsabläufe aufeinander abzustimmen. Noch mehr als bei einer knapp 100 Millionen Dollar teueren Produktion ohnehin üblich, galt es also, Zufälle auszuschließen, bevor an diversen Schauplätzen in Großbritannien die Dreharbeiten begannen.

Das Ergebnis ist nun ein Film, der in seiner Perfektion und Durchkomponiertheit ähnlich luftdicht abgeschlossen wirkt wie die James-Bond-Spektakel, die Mendes zuletzt inszeniert hat. Jedes handwerkliche Detail stimmt. Doch während die Kamera den Hauptfiguren folgt oder ihnen vorangeht, durch Verlagerung des Blickwinkels bald den einen und bald den anderen ins Zentrum rückt und beiläufig Gegenstände im Vorder- oder im Hintergrund hervorhebt, bleibt nichts unbestimmt. Die scheinbar ungeschnittene Inszenierung leitet unsere Aufmerksamkeit letztlich kaum weniger, als das herkömmliche Schnitte und ihre Akzentwechsel getan hätten.

Echte Helme auf stereotypen Figuren

Mendes sagt in Interviews, dass sich die Zuschauer mit den Protagonisten seines achten Spielfilmes „auf ihrer Reise gefangen fühlen“ sollen. Entsprechend mitreißend wirken die Thrillerdramaturgie und die elegante Bewegtheit der Kamera. Das schließt jedoch im Gegenzug die schönste Wirkung aus, die eine Ästhetik langer Einstellungen im Kino entfalten kann: nämlich jene reizvolle Ambiguität, die Filmbilder annehmen, sobald wir unseren Blick darüber schweifen lassen können. Paradoxerweise bewahren hier ausgerechnet jene Motive, die unübersehbar Symbolcharakter haben, noch am ehesten Mehrdeutigkeit: Bilder eines Flusses oder gefallener Kirschblüten verweisen gleichermaßen auf den Tod, der den Hauptfiguren droht, wie auf die Aussicht einer spirituellen Wiedergeburt.

Wie zu lesen war, ließ Mendes zwei Historiker und einen Militärexperten Details überprüfen, um Anachronismen auszuschließen. So wurden nicht, wie offenbar sonst bei Filmen über den Ersten Weltkrieg üblich, Helme aus dem Zweiten Weltkrieg wiederverwertet, sondern eigens Nachbildungen in großer Zahl und Vielfalt angefertigt. Allerdings wollte Mendes ausgerechnet jene Aspekte relativieren, die wohl zurecht als charakteristisch für den Ersten Weltkrieg gelten – selbst wenn sie, wie der Filmemacher findet, längst „Klischees“ sein mögen: Schützengräben, das dazwischen liegende Niemandsland, der allgegenwärtige Schlamm. Umgekehrt hatte Mendes offenbar keine Vorbehalte dagegen, stereotype Figuren auftreten zu lassen, die man aus Filmen über die unterschiedlichsten Kriege kennt: den naiven sowie den desillusionierten, latent traumatisierten Gefreiten, einen aufgeblasenen Oberst und allerlei Personifikationen von Überforderung, Zynismus und Geltungsdrang zwischendrin (u.a. gespielt von Colin Firth, Benedict Cumberbatch und Andrew Scott).

Souveräner Krieg

Da uns kein Abstand zum dramatischen Geschehen gewährt wird, können wir kaum einen klaren Gedanken zum abgebildeten Krieg (oder zu aktuellen Kriegen) fassen. Man bekommt es stattdessen einmal mehr mit einer mythischen Abstraktion des Krieges schlechthin zu tun. Und so verleitet die Perfektion von 1917 womöglich zu dem Trugschluss, dass der Krieg, der vermeintlich zur conditio humana gehört, wenigstens mit ebenso sicherer Souveränität geführt werden möge, wie Mendes sie bei der scheinbar reibungslosen Umsetzung seines Stoffes beweist. Da sollte man, zumal (vorgebliche) One-Shot-Filme – siehe Birdman, Victoria, Son of Saul – allmählich Mode werden, vielleicht an Alfred Hitchcock erinnern, der 1948 mit Cocktail für eine Leiche den Prototyp dieser Ästhetik schuf. Über die zugrundeliegende formalistische Idee stellte er jedenfalls nachträglich in dem berühmten Interviewbuch mit seinem Kollegen François Truffaut fest, dass es dafür keine treffendere Bezeichnung gebe als: „Masche“.

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Kommentare


Leander

Was ist ein "Deakin"?


Leander

Ah, jetzt versteh´ ich - das ist der Kameramann :-)


Michael

Genau :-)






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