Im moralischen Zwielicht
An den Rändern Hollywoods drehte die Schauspielerin Ida Lupino in den 1950er Jahren dunkel schimmernde B-Movie-Juwelen. Das Berliner Arsenal zeigt im Juli die meisten von Lupinos Regiearbeiten sowie einige Filme, in denen sie ihren spröden Charme als Schauspielerin versprüht.
Believe me, I’ve fought to produce and direct my own pictures.

Als die Schauspielerin Ida Lupino 1949 das erste Mal hinter der Kamera stand, schien das reiner Zufall zu sein. Eigentlich war sie beim Melodram Not Wanted nur am Drehbuch und an der Produktion beteiligt, Regie führen sollte aber Routinier Elmer Clifton, für den der Film nicht mehr als eine Fingerübung war. Doch als Clifton am dritten Drehtag einen Herzinfarkt bekam, musste Lupino für ihn einspringen – und lieferte ein Werk ab, in dessen Credits sie zwar nicht genannt wurde, das aber schon deutlich ihre Handschrift trägt. Wie alle frühen Regiearbeiten Lupinos ist Not Wanted auf den ersten Blick typisches Schlagzeilenkino. Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die durch eine uneheliche Schwangerschaft ins gesellschaftliche Abseits gerät. Hinter der reißerischen Prämisse offenbart sich jedoch ein sanfter und differenzierter Blick auf eine mitleidlose Welt und die gepeinigten Seelen, die in ihr leben müssen. Das Verständnis für sozial stigmatisierte Figuren, für ihr unabwendbares Schicksal und ihre Zwickmühlen bewahrte sich Lupino denn auch in den dunkel schimmernden B-Movie-Juwelen, die sie in den folgenden Jahren für ihre Produktionsfirma The Filmakers inszenieren sollte. Das Berliner Arsenal bietet im Juli die seltene Gelegenheit, die meisten von Lupinos Regiearbeiten zu sehen sowie einige Filme, in denen sie ihren trockenen Charme als Schauspielerin verprüht.
My agent had told me that he was going to make me the Janet Gaynor of England – I was going to play all the sweet roles. Whereupon, at the tender age of thirteen, I set upon the path of playing nothing but hookers.

Dass die gleichermaßen streng und verführerisch wirkende Darstellerin zur Regie gekommen ist wie die Jungfrau zum Kinde, ist eine schöne Anekdote, hat mit der Wirklichkeit aber wenig zu tun. Lupino ist im Showbiz groß geworden. Ihre Eltern waren Schauspieler, ihre ersten Rollen übernahm sie als Teenager, und wenig später arbeitete sie bereits mit namhaften Regisseuren wie Henry Hathaway, Raoul Walsh, Allan Dwan und Charles Vidor zusammen. Doch obwohl Lupino eine profitable Schauspielkarriere hinlegte, war sie unzufrieden, vor allem mit ihren Rollenangeboten. Als sie dem Studio Warner Brothers schließlich zu wählerisch wurde, bescherte ihr das eine Zwangsbeurlaubung – sie nutzte diese Zeit, um sich mit dem Handwerk des Filmemachens vertraut zu machen. Schon ein paar Jahre später gründete sie mit ihrem damaligen Mann, dem Produzenten Collier Young, die Produktionsfirma Emerald Productions, aus der 1949 dann The Filmakers wurde.
I started as the poor man’s Jean Harlow. Then I became the poor man’s Bette Davis. Now I’m the poor man’s Don Siegel.

In nur sieben Jahren entstanden dort am Rande der Industrie Hollywoods zehn düstere, brutale, aber auch sehr zärtliche und formbewusste Filme, von denen Lupino allein bei fünf Regie führte. Es geht darin um publikumswirksame Themen, die den großen Studios meist zu heiß waren, etwa um die traumatische Erfahrung einer Vergewaltigung (Outrage, 1950), um einen durch und durch bösartigen Serienmörder (The Hitch-Hiker, 1953) oder einen Bigamisten, der nur durch seine Passivität zu dem wurde, was er ist (The Bigamist, 1953). Lupino verstand es, sich im moralischen Zwielicht einzurichten, nicht nur als Regisseurin. Als Schauspielerin kultivierte sie die Haltung, anrüchigen Figuren eine fast aristokratische Würde zu verleihen. Gerade hinter der Kamera zeichnete Lupino sich aber durch einen sympathischen Pragmatismus aus. Ihr Ziel war es zwar, nur das zu machen, woran sie auch glaubte, zugleich war es ihr aber wichtig, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Und großartige Filme innerhalb ihrer Möglichkeiten drehen, das konnte sie. Schon bei Not Wanted hielt sie trotz der ungünstigen Bedingungen nicht nur den Drehplan ein, sondern blieb auch unter dem vorgegebenen Budget. Künstlerischer Hybris setzte sie Kalkulation und Vernunft entgegen.
Often I pretended to a cameraman to know less than I did. That way I got more cooperation.

Lupino nimmt zweifellos eine Pionierrolle ein. In einer Zeit, in der es kaum Regisseurinnen gab, setzte sie eine kleine, aber gut geölte Filmmaschinerie in Gang. Doch während allein ihre Existenz auf die Abwesenheit von Frauen im Filmbusiness hinwies, ist es müßig, nach dem spezifisch Weiblichen oder gar Feministischen in ihrer Arbeit zu suchen. Gewiss, vereinfacht lassen sich die ersten drei Filme als Melodramen mit weiblichen Hauptfiguren, also sogenannte Frauenfilme bezeichnen. Aber zum einen haben auch viele männliche Kollegen Ähnliches inszeniert, und zum anderen greift die Kategorie des Melodrams – außer vielleicht bei dem Sportdrama Hard, Fast and Beautiful (1951) – für Lupinos Filme zu kurz. Zu irritierend ist die Film-noir-Atmosphäre, die sie sich darin ausbreitet. Die Schatten wirken bei Lupino immer besonders hart. Sie zerschneiden Menschen und Räume – und erinnern uns daran, wie finster es im Inneren der Figuren aussieht. Und so wie die starken Hell-Dunkel-Kontraste verhalten sich auch die Filme zu ihren Protagonisten: Sie schicken sie auf kräftezehrende Höllenfahrten, bleiben dabei aber stets solidarisch mit ihnen.
Im Rahmen unseres Lupino-Specials aus dem Jahr 2015 haben wir mehrere Filme der Berliner Reihe besprochen. Hier gibt es die einzelnen Texte sowie ein Video-Essay über Leitmotive in Lupinos Arbeit:
Never Fear (1949)
Outrage (1950)
Hard, Fast and Beautiful (1951)
The Hitch-Hiker (1953)
The Bigamist (1954)
Hölle 36 (1954)
Video-Essay: Die Grenzen des Paradieses
Der Text ist ursprünglich im Rahmen unseres Specials „Hinter den Schlagzeilen – Ida Lupino und The Filmakers“ erschienen.
Hier gibt es das gesamte Programm der Filmreihe im Arsenal.
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