Ganz Junge Kritik in Cannes - Altiplano

Drei Frauen, drei Wiederauferstehungen

Semaine de la Critique 2009

Altes wird durch Neues ersetzt, Traditionen müssen dem Fortschritt weichen. Mit den Traditionen geht die Spiritualität, der Glaube an eine übersinnliche Ebene, verloren. Die Regisseure Jessica Woodworth und Peter Brosens erzählen vom Verlust des Glaubens durch den Einfluss der Industrialisierung. Als zentrales, metaphorisches Motiv wird die Madonna dargestellt, welche im Laufe des Films drei verschiedene Gestalten annimmt.

Die Madonna, sie steht  in einer Dorfkirche im peruanischen Hochland. Sie zerbricht bei einer traditionellen Zeremonie. Die Kinder rennen auf eine silbern glitzernde Pfütze zu und reißen in ihrem freudigen Lauf den kränklichen Träger der Statue mit sich. Durch seinen Fall zerbricht das heilige Symbol des Dorfes. Durch die Silber-Pfütze, Quecksilber-Abfälle der nahen Goldmine, zerbricht seine Gesundheit genauso wie die Skulptur und die Liebe seiner Verlobten Saturnina.

Die Madonna, sie trauert um ihren getöteten Verlobten, stirbt aus Rache und setzt somit ein Zeichen. Saturnina hat die Schlüsselrolle des Filmes „Altiplano“ inne, obwohl ihre Darstellerin Magaly Solier dieser in ihrem Spiel nicht immer gerecht wird. Die für diesen Film nötige Bandbreite an Emotionen kann sie nicht immer umsetzen und es fehlt an weiteren Varianten zwischen totaler Emotionslosigkeit und hysterischen Gefühlsausbrüchen.  In ihrer Rache an den Industriellen tötet sie nicht nur sich selbst, sondern auch den belgischen Arzt Max.

Die Madonna, sie zerbricht am Verlust eines geliebten Freundes und ihr Ehemann Max wird in einem peruanischen Dorf gesteinigt, weil ihnen die Einheimischen die Schuld an den Todesfällen zuweisen. Um ihre Trauer zu verarbeiten begibt sie sich in das Dorf, in dem Saturnina und ihr Mann gestorben sind. 

Semaine de la Critique 2009

Die Madonnenstatue des Dorfes wird im Verlauf des Films aus ihren Einzelteilen rekonstruiert, während Saturnina auf einer spirituellen Ebene aufersteht und Grace ihren Platz in der irdischen Welt einnimmt. Alle drei Madonnen stehen für  zerstörten Glauben der auf einer neuen Basis wieder aufersteht.

Einziger Wehrmutstropfen des politisch und künstlerisch interessanten Films sind die zu langen Endsequenzen, in welchen hauptsächlich dramatische Blicke getauscht werden, durch die überflüssige Längen entstehen. Doch die gut erarbeitete Atmosphäre rundet das Werk ab.

Kritik von Antonia Kölbl und Benedikt Hösl (Rudolf Steiner Schule, Gröbenzell)

 


Augen zu und durch

Ein LKW zieht eine Staubwolke hinter sich her. Den kleinen Menschen am Straßenrand wird die Sicht genommen. Die Fahrzeuge sind unterwegs zu einer Miene. Es sind Gringos. Doch die Sicht nimmt den Einheimischen eines kleinen peruanischen Dorfes noch etwas ganz anderes: das "flüssige Silber", das die Ausländer aus den Mienen holen. Es lässt sie erblinden und den Hass gegen die Fremden wachsen. Diesen blinden Hass projizieren die Einheimischen nicht nur auf die, die die staubigen Ungetüme fahren, sondern auch auf "weiße" Ärzte, die ihnen helfen wollen. Aber Gott sei Dank gibt es da ja Peter Brosens und Jessica Woodworth, die mit ihrem zweiten Langfilm "Altiplano" mehr als penetrant zeigen, dass es genügt, mit Herz und Seele zu sehen. Mehr noch: man fühlt sich geradezu, als werde man missioniert. Man wird konfrontiert mit diesen immer wieder kehrenden Symbolen, die die beiden Regisseure dem Zuschauer so lang auf die Nase binden, bis er diese nicht mehr spürt: eine Marienstatue, die gleich zu Beginn einen sauberen Abgang hinlegt und wieder zusammengebaut werden muss; Tote, die wie Jesus am Kreuz daliegen; sowie die ständige Bedrohung durch maskierte Möchtegern-Dämonen. Hauptsache man baut so viele Kontraste zwischen Gut und Böse auf, wie es nur irgend geht. Man hätte so viel über die Lebensart der Peruaner auf die Leinwand bringen und dem Publikum einen weit gefächerten Blick auf eine andere Kultur bieten können, aber die Regisseure vergeben diese Chance. Sie setzen stattdessen lieber auf bedeutungslose Spielereien, wie beispielsweise die immer wiederkehrenden Kreisfahrten, um zu zeigen, dass sich auch eine Kamera um sich selbst drehen kann.

Semaine de la Critique 2009

Dass am Ende eine Europäerin von den Einheimischen noch bekehrt wird, darf natürlich nicht fehlen, will man den Zuschauern deutlich machen, dass in der modernen Welt der Europäer spirituelle Werte zu klein geschrieben werden. Es ist nicht nur ein moralischer Fingerzeig der Macher, sondern eine erdrückende Lawine von Symbolen, die da auf den Zuschauer zurollt. Will man ihr entkommen, sollte man es den kranken Peruanern schnellstmöglich gleichtun und die Augen schließen, bevor der Film überhaupt begonnen hat.

Kritik von Sebastian Dziallas und Frauke Lahmsen (Hölty-Gymnasium, Wunstorf)

 


Eine Sonnenfinsternis über Peru

In der Realität können sich Sonne und Mond nie treffen. Sie sind zwei Himmelskörper, die weit voneinander entfernt im Weltraum schweben, jedoch durch unsichtbare Kräfte verbunden sind.

Semaine de la Critique 2009

Wie die Sonne leuchtet Saturnina vor Lebensfreude. In ihrem peruanischen Bergdorf lebt sie in Einklang mit der Natur und den uralten Traditionen ihres Volkes. Sie strahlt, denn sie liebt Ignacio, den sie bald heiraten wird. In einer ganz anderen Welt lebt Grace, die nach einem Mord traumatisiert ist und sich isoliert, nachts nicht schlafen kann. Wie der Mond um die Erde, so kreisen ihre Gedanken um immer denselben Alptraum. Die belgische Fotografin will ihren Job aufgeben, droht sich selbst aufzugeben. Auch ihre Beziehung zu dem Arzt Max wird auf die Probe gestellt. In Peter Brosens und Jessica Woodworths Film „Altiplano“ begegnen sich Sonne und Mond. Es ist ihr ähnliches Schicksal, ihr kaum auszuhaltender Schmerz, der die zwei sich fremden Frauen vereint.

Der Ausgangskonflikt des Filmes ist ein real existierendes Problem: Die Förderung von Bodenschätzen in Peru durch westliche Firmen führt zur Zerstörung der Natur, zu einer Intrusion in die mit dem Land fest verankerte Kultur und einem respektlosen Umgang mit den Einheimischen. „Altiplano“ vermittelt ein umfassendes Bild einer vielen Zuschauern noch unbekannten Gesellschaft. An die indianische Lebensweise wird der westliche Zuschauer durch das belgische Pärchen herangeführt, das ihm eine Identifikationsbasis bietet. Die Spiritualität der Indios wird durch eine surreale Darstellung der Erdgeister verbildlicht. Durch ästhetische Landschaftsaufnahmen wird der Glaube an Mutter Erde untermalt. Die Protagonistinnen, Sarturnina, sehr überzeugend von Magaly Solier gespielt, und Grace, verlieren beide ihre Partner an die Gier der nach Gold Suchenden. Ihr Schmerz und ihre Verzweiflung werden in einigen Szenen ergreifend dargestellt.

Obwohl es den Regisseuren nur bedingt gelingt, den Film schlüssig zu Ende zu führen und dabei die Spannung zu halten, bauen sie einen mitreißenden Konflikt auf, der mit einer Begegnung von Sonne und Mond abgerundet wird: Sonnenfinsternis über Peru.

Kritik von Moritz Kobler und Nora Heidorn (John F. Kennedy Schule, Berlin)

 


Geheimnisvolles Kunstwerk?

Semaine de la Critique 2009

„Geschichte gibt es nur dort, wo es Bilder gibt.“ Auf diesem Zitat beruht der konstruierte Spielfilm, der mit übertrieben vielen Metaphern und Symbolen verziert ist.

Die Regisseure Peter Brosens und Jessica Woodworth beschreiben in ihrem Spielfilm „Altiplano“, einen peruanischen Bilderreigen im Spannungsfeld von Kultur, Geschichte, Leid und unbeschreiblicher Schönheit.

Der Film beinhaltet kaum eine Handlung im eigentlichen Sinne. Inszeniert wird die Geschichte der Kriegsfotografin Grace, und die des peruanischen Mädchens Saturnina, zwei Lebensläufe, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten und doch tief miteinander verwoben sind. In der Geschichte der Grace verzahnen sich Gegenwart und leidvolle Vergangenheit, die effektvoll durch Schwarzweiß inszenierte Rückblenden den Zuschauer über ein traumatisches Erleben aufklären.

Saturnina hingegen, eingebunden in die uralten Traditionen und dörflichen Strukturen ihres Volkes, verliert kurz vor ihrer Hochzeit ihren Verlobten aufgrund einer Quecksilbervergiftung – Folgen einer gnadenlosen Ausbeutung der Rohstoffe durch westliche Konzerne. Das wie kostbares, schweres Wasser leuchtende, todbringende Metall bedroht die Menschen auf dem peruanischen Hochplateau, („Altiplano“) und lässt sie erblinden. Einmal mehr bringen die abendländischen Fremden den Tod.

Grace – in Gefangenschaft von irakischen Terroristen – wird gezwungen den Todesschuss ihres Teamkameraden mit ihrer Kamera festzuhalten – ihn mit ihrem Werkzeug geradezu auszulösen. Sie „drückt ab“ – gleichzeitig fällt der Schuss. Sie überwindet ihr Trauma, als sie in Peru die Videobotschaft der Saturnina, die einen Selbstmord begeht, auf der Videokamera ihres toten Ehemannes entdeckt. Die beiden Frauen verbindet aber noch etwas: Beiden kamen die Männer vom jeweils anderen Volk ums Leben. Grace gelingt es schließlich die Botschaft, die in diesem qualvollen Video verborgen ist, anzunehmen.

Der Zuschauer wird überhäuft von Bildern, die keine zusammenhängende Handlung darstellen und die ihn mit an den Haaren herbeigezogenen Interpretationen überfordern. Insgesamt wirkt der Altiplano überfrachtet an Symbolen und allzu nachdrücklich inszenierten Anspielungen.

Kritik von Merve Gökalp und Esra Kacan (Ottheinrich Gymnasium, Wiesloch)

Diese Kritiken sind entstanden im Rahmen von La Toute Jeune Critique
Semaine internationale de la Critique de Cannes 2009.



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Kommentare zu „Ganz Junge Kritik in Cannes - Altiplano


Gildet

Hallo Jungkritiker,
Glückwunsch zu den vielen spannenden Kritiken, es hat viel Spass gemacht diese zu verfolgen, insbesondere bei dem letzten Film hat die unterschiedliche Sichtweise der Gruppen Spannung erzeugt und auch die sehr eindeutige sehr negative Kritik der Wunstorfer war sehr erfrischend. Ehrlich in einer Kritik schreiben was man empfindet und auch einmal wirklich negativ sein ist auch für die Leser sehr schön.
An alle: Weiter so.
Gildet






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