Public Enemy No. 1 – Kritik

Regisseur Jean-Francois Richet verfilmt die Biografie des Berufsverbrechers Jacques Mesrine und versucht, den klassischen französischen Gangsterfilm im aktuellen Erzählkino zu reflektieren.

Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt

Das Biopic ist eine schwierige Disziplin des Kinos. Nicht jeder Filmemacher schafft es, seinen Stoff so aufzubereiten, dass eine neue, eigenständige Sicht auf den Porträtierten entsteht, die nur das Medium Film liefern kann. Viele Biopics neigen dazu, einfach eine historiographisch orientierte Aneinanderreihung von Ereignissen zu bebildern und werden so zu visuellen Chronologien, zu filmischen Nacherzählungen.

Bei Public Enemy No. 1 hat man den Eindruck, dass die Filmemacher sich dieser Problematik durchaus bewusst waren, aber dennoch der Versuchung erlegen sind, Jacques Mesrines Biographie ab einem bestimmten Punkt weitestgehend lückenlos abzubilden. Das mag daran liegen, dass wahrscheinlich so ziemlich jeder Moment im Leben des französischen Gangsters auf die Kinoleinwand passt.

Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt

In einer beispiellosen Karriere avancierte Mesrine vom Kleinkriminellen aus der Pariser Unterwelt in Frankreich zum „Staatsfeind Nr. 1“. Unter seinen Delikten ist von Diebstahl über Bankraub bis hin zu Mord, Entführung und zahlreichen Ausbrüchen so ziemlich alles, was in den idealtypischen Verlauf der schiefen Bahn gehört. In dieser Vita steckt natürlich massenhaft Stoff für einen Actionthriller, soviel Stoff, dass das Team um den Produzenten Thomas Langmann sich entschied, den Film als Zweiteiler zu produzieren und beide Teile – Public Enemy No. 1 – Mordinstinkt (Mesrine : L'instinct de Mort) und Public Enemy No. 1 – Todestrieb (Mesrine : L'Ennemi public n°1) – unmittelbar hintereinander ins Kino zu bringen.


Public Enemy No. 1 – Mordinstinkt

Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt

Angewidert von den Schrecken des Algerienkrieges verlässt Jacques Mesrine (Vincent Cassel) 1959 die französische Armee, kehrt nach Frankreich zurück und taucht in die Pariser Unterwelt ein. Dort wird er zum Sekundanten des Gangsterbosses Guido (Gérard Depardieu). Bei einem Ausflug nach Spanien verliebt er sich in die hübsche Sofia (Elena Anaya), mit der er, zurück in Frankreich, eine Familie gründet. Dem Verbrechen kann und will er aber dennoch nicht entsagen.

Nach einem gescheiterten Bankraub aus der Haft entlassen, trennt sich Sofia von ihm und kehrt zurück nach Spanien. Wenig später lernt Jacques Jeanne Schneider (Cécile de France) kennen und bringt gemeinsam mit ihr fast die gesamte Pariser Unterwelt gegen sich auf. Sie müssen nach Kanada fliehen. Die Entführung eines Millionärs in Québec schlägt fehl und beide werden inhaftiert. Jacques landet in einem Hochsicherheitsgefängnis und kommt in wochenlange Isolationshaft. Die unmenschlichen Haftbedingungen lassen ihn nicht mehr los und gemeinsam mit seinem Freund Jean-Paul (Roy Dupuis) fasst er den Entschluss: „Draußen oder tot.“

Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt

Public Enemy No. 1 – Mordinstinkt will mehr sein als schlichtes Erzählkino. Regisseur Jean-François Richet versteht seinen Film auch als Reflexion auf den klassischen französischen Gangsterfilm. Die Pariser Unterwelt, wie Richet sie zeichnet, ist voll von Archetypen des Genres. Diese Genrespezifika verfremdet er aber, indem der dem Verbrechen das Mythische nimmt, es in eine schmutzige, harte Ästhetik rückt. In diesem Zusammenhang spielt die Narration stark mit dem Begriff des Ehrenkodex in einer von Unmoral beherrschten Verbrecherwelt. Der Film kommt dabei aber über das bloße Zitat meist nicht hinaus und schafft es mit seiner Verquickung von Biopic und Genrereflexion nicht, die Schwelle zum innovativen Kino zu überschreiten..


Public Enemy No. 1 – Todestrieb

Public Enemy No. 1 - Todestrieb

Der rote Faden, der sich durch beide Teile der Jacques-Mesrine-Biographie zieht, ist sein Geltungsbedürfnis. Der Film erklärt die Lust nach Ruhm zum dominierenden Motiv im Leben des „Public Enemy No. 1“. Im zweiten Teil, Public Enemy No. 1 – Todestrieb, wird Mesrines Spiel mit den Medien zum Hauptthema.

Politischer Terrorismus, in den 70er Jahren das bestimmende Medienthema, wird im Film mit dem konventionellen Kapitalverbrechen verwoben. Mesrine will in der Liga des sozialrevolutionären Terrorismus mitspielen und stilisiert sich in zahlreichen Interviews zu einem modernen Robin Hood. Dabei bleibt er aber völlig apolitisch. Auch sein vorgebliches politisches Leitmotiv, der Kampf gegen die unmenschlichen Haftbedingungen in staatlichen Gefängnissen hat sich aus seinen Erfahrungen generiert und ist nicht der Ausdruck einer politischen Ideologie. Ein Staatsfeind ist er dennoch, aber sein Antrieb ist die Lust am Verbrechen und das Bedürfnis nach Ruhm. „Du willst das System stürzen.“, sagt Mesrine zu seinem zeitweiligen Weggefährten, dem Linksradikalen Charlie Bauer (Gérard Lanvin), „Ich will es erhalten, um es zu erpressen.“

Public Enemy No. 1 - Todestrieb

Die Konzentration auf das egomanische Geltungsbedürfnis Jacques Mesrines gibt dem Plot zwar eine gewisse Stringenz, wirkt aber zu eindimensional, um ein differenziertes Porträt zu zeichnen. Die psychologischen Leerstellen könnten dem Zuschauer einen breiten Assoziationsraum eröffnen, der aber durch das übergeordnete Narrativ zu stark eingeengt wird. Bis in die Dialogebene hinein wird Mesrines Narzissmus als einzig entscheidende Triebkraft seiner Kriminalität benannt. Über andere Anknüpfungspunkte der Geschichte fegt der dichte Plot einfach hinweg.

Vor allem aus den interessanten Konstellationen der Geschlechterrollen ergeben sich Konflikte, deren Thematisierung das Reflexionsniveau erhöhen, eine neue Perspektive auf Mesrines Biographie und das Genre des französischen Gangsterfilms hätten einnehmen können. Diese Konflikte werden zwar angedeutet, aber nicht ausführlich verhandelt. Der Grund dafür ist die Perspektive des Films. Aus Jacques Mesrines Sicht lernen wir Jacques Mesrine kennen. Über die anderen Figuren erfahren wir kaum etwas.

Public Enemy No. 1 - Todestrieb

Das konstante Maß an Handlung hat aber auch sein Gutes. Wirklich langweilig werden beide Teile von Public Enemy No. 1 nie. Auch die kernigen Dialoge vermögen die epische Länge der Erzählung angemessen zu überbrücken. Am Ende des zweiten Teils fragt man sich dennoch: Warum braucht Richet für diese Geschichte mehr als vier Stunden?

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Kommentare


hanna schigulla

Das Zitat „Du willst das System stürzen. Ich will es erhalten, um es zu erpressen.“ stammt NICHT von Mesrine, wie in diesem Artikel behauptet. Ganz im Gegenteil, Mesrine wollte in seiner pseudo-revolutionären Phase das System stürzen.
Nicht sich einfach alles so hindrehen, wie man es braucht - immer schön bei den Fakten bleiben!


hanna schigulla

PS:
Das Zitat stammt eigentlich von seinem Kompagnion Francois Besse...


Felix Frieler

Die Stelle im Text bezieht sich auf den Film, in dem Mesrine diesen Satz sagt.






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