Lady Chatterley – Kritik
Pascale Ferran widmet sich in ihrem ersten Film seit neun Jahren Regieabstinenz D. H. Lawrences wahrscheinlich berühmtestem Roman. Ihre Lady Chatterley-Version zeichnet sich gleichermaßen durch ungewöhnliche Komplexität und überwältigende Sinnlichkeit aus.

Der Beginn des Films: Connie Chatterley (Marina Hands) verabschiedet einen Bekannten, der mit seinem Auto in den Wald des Anwesens ihres Mannes Clifford (Hippolyte Girardot) davonfährt. Kaum ist der Wagen verschwunden, beginnt ein langsamer Kameraschwenk, der die Bäume, Teiche und Sträucher des herrschaftlichen Anwesens in den Blick rückt. Vogelgezwitscher sowie das Rauschen des Wassers und der Bäume im Wind überschwemmen die Tonspur. Viel Zeit lässt sich diese Einstellung, wie sich überhaupt der gesamte Film viel Zeit lassen wird mit seiner Geschichte, mit seinen Figuren und vor allem mit der Erkundung seines Schauplatzes.
Bereits in der Eingangssequenz findet sich eine Art Öffnung oder Hinwendung zur Natur, aber auch zur reinen Sinneswahrnehmung. Immer wieder tauchen solche Szenen in Pascale Ferrans Werk auf, Momente, in welchen die Natur selbst in den Film einzudringen scheint. Nicht nur die Charaktere der Erzählung, sondern auch die Kinozuschauer werden mit optischen und akustischen Signalen konfrontiert, die sich nicht vollständig an die Handlung zurückbinden lassen und auf ihrem Eigenwert beharren.

Pascale Ferrans Lady Chatterley basiert auf John Thomas and Lady Jane (1927; posthum erschienen), einer weniger bekannten Alternativfassung von D.H. Lawrences berühmtem erotischen Roman Lady Chatterley’s Lover (1928). Seiner literarischen Herkunft bekennt sich der Film durch einige aus der Vorlage entnommene Zwischentitel, einmal findet sich auch ein kurzer Voice-Over Kommentar. Ansonsten jedoch entwickelt Ferrans Adaption eine ganz eigene Interpretation des inzwischen klassischen Stoffes, eine Interpretation, die dem Stoff, der fast schon zum öden Klischee geronnen zu sein schien, neues Leben einhaucht. Insbesondere mit den bisherigen, oft im Bereich des Softpornos angesiedelten Verfilmungen hat diese neue Version wenig gemeinsam.
Mit den diversen Vorlagen teilt Lady Chatterley die Ausgangssituation: Die Titelheldin ist unglücklich mit dem zynischen, körperlich behinderten Sir Clifford verheiratet und beginnt nach Wegen zu suchen, dem drögen Alltag und ihrem unerfüllten Sexualleben zu entfliehen. So macht sie schließlich die Bekanntschaft von Parkin (Jean-Louis Coullo’ch), dem Wildhüter des Anwesens.

Sowohl Connie als auch Parkin lernen, vor allem in den zahlreichen, sinnlichen und teilweise recht expliziten Sexszenen, sowohl den jeweils anderen als auch sich selbst kennen – und bei weitem nicht nur in körperlicher Hinsicht. Ferrans Regie ist subtil und vielschichtig genug, um diese Erweckungsgeschichte nie auch nur in die Nähe einer banalen oder esoterischen Erlösungsphantasie zu rücken. Auch die scheinbar unüberbrückbare gesellschaftliche Schranke, die die beiden Hauptfiguren trennt und die die Grundlage für die meisten bisherigen Verfilmungen bildete, stellt sich hier um einiges komplexer dar.
Als Connie Parkin zum ersten Mal sieht, wäscht dieser seinen nackten Oberkörper. Als die beiden zum ersten Mal miteinander schlafen, behält er jedoch seine Kleider an. Parkin ist in Ferrans Version, anders als in fast allen vorherigen Leinwandadaptionen, nie die Verkörperung der reinen, ungestümen Lust oder einer noch nicht von Schamhaftigkeit gehemmten Unterklasse, die mit der kalten, desexualisierten Welt der Aristokratie kontrastiert wird. Im Gegenteil: Die Affäre ist für Parkin eine mindestens ebenso große Befreiung wie für Connie. Lady Chatterley ist auch ein Film über die Freiheit. Vor allem jedoch über die Schwierigkeiten, dieselbe zu erlangen.
Nicht, dass Lady Chatterley die sozioökonomische Dimension des Romans ausklammern würde. Die Ungleichheit der Liebenden ist stets präsent und wird durch Cliffords zynische Monologe zu politischen Fragen aller Art noch einmal zusätzlich verdeutlicht. Parkin freilich ist kein latent revolutionärer Proletarier, sondern ein bescheidener, zurückhaltender Kleinbürger, der versucht, in dem ihm anvertrauten Wald und seiner kleinen Hütte mit sich selbst ins Reine zu kommen. Nur sehr zögerlich lässt er sich auf Connie ein, und stets geht die Initiative von ihr aus, nicht von ihm. Erst ganz am Ende, in einer der eindrücklichsten Sequenzen des Films, öffnet er sich ihr ganz. Längst ist aus der körperlichen Beziehung eine Liebesgeschichte geworden. Und zwar eine der schönsten, die es in diesem Jahr im Kino zu sehen gibt.
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