Der fremde Sohn – Kritik
Eine Frau kämpft um ihr Kind und gegen den korrupten Polizeiapparat im Los Angeles der 1920er Jahre. Clint Eastwoods Der fremde Sohn ist Drama und Serienkillerfilm, Institutionskritik und Gerichtsthriller.

Das Erstaunliche zuerst: „A true story“ erscheint in kleinen Lettern zu Beginn des Films. Drehbuchautor J. Michael Straczynski, Erfinder und Chefschreiber der Sci-Fi-Serie Babylon 5 (1993-98), recherchierte ein Jahr lang den bizarren Fall der Christine Collins. Die alleinerziehende Mutter hatte 1928 ihren neunjährigen Sohn Walter als vermisst gemeldet. Das Police Department der Stadt Los Angeles, kurz LAPD, gefürchtet als korrupt, mafiös und gewalttätig, benötigte dringend positive Schlagzeilen und präsentierte nach fünf Monaten einen Ermittlungserfolg: Das verlorene Kind sei gefunden worden. Christine Collins jedoch behauptete, dieser Junge, der sie als „Mama“ umarmte, sei nicht ihr Sohn. Da sie drohte, das LAPD als inkompetent bloßzustellen, ließ man sie in eine psychiatrische Anstalt einweisen – ein Schicksal, das viele Frauen teilten, die der Polizei unbequem geworden waren. Doch mit Hilfe eines Radiopredigers konnte Collins befreit und ihr Fall vor Gericht verhandelt werden. Eine gesetzliche Einschränkung von Polizeiwillkür war das Ergebnis. Walter Collins wurde vermutlich, wie zahlreiche weitere Kinder, Opfer des Serienmörders Gordon Northcott, dessen Taten als „Wineville-Hühnerstall-Morde“ bekannt geworden sind.

In dieser wahren Geschichte steckt Stoff für mehrere Filme. Der fremde Sohn (Changeling) will sie alle zeigen. Da ist zunächst das Mutterdrama um Christine Collins. Trotz ihres kämpferischen Mottos „Never start a fight – always finish it“, das sie auch ihrem Sohn mitgegeben hat, erscheint die von Angelina Jolie verkörperte Heldin, gerade angesichts vieler starker Nebenfiguren, eher blass. Die Szenen in der Psychiatrie wecken Erinnerungen an Jolies Rolle in Durchgeknallt (Girl, Interrupted, 1999), wo sie Winona Ryder an die Irrenhaus-Wand spielte. Doch hier bleibt mehr dick aufgetragene Schminke als eindrucksvolle Charakterrolle an ihr haften.
Während der Film sein erschreckendes zeitgeschichtliches Panorama institutioneller Gewalt gegen Frauen entwirft, tritt ein zweiter Handlungsstrang in den Vordergrund. Hier berichtet ein Junge von den Morden auf der Hühnerfarm. Kurze Flashbacks des blutigen Geschehens erweitern die Erzählung überraschend um Horrorelemente, die Eastwood allerdings bewusst nicht exploitativ einsetzt. Kino-Newcomer Jason Butler Harner macht den Kindermörder Gordon Northcott zur interessantesten Figur des Dramas. Sein Spiel zeigt einen selbstbezogenen, regressiven Charakter, dessen letzter Auftritt im Gedächtnis haften bleibt. Nach Collins’ Entlassung aus der Psychiatrie wird die Gerichtsverhandlung gegen Northcott mit dem Prozess gegen das LAPD parallel geschnitten – eine Entscheidung, die davon zeugt, dass Der fremde Sohn auf keinen der Bestandteile der historischen Geschichte verzichten mag. Wer nach den Urteilsverkündungen auf das Filmende wartet, das nach gefühlter Erzählzeit nun hinreichend fällig wäre, wird durch zwei weitere Handlungswendungen mit zusätzlichen Rückblenden überrascht.

Obwohl sich die Dramaturgie in ihrem reichhaltigen Stoff verliert, lässt sich dieser neue Eastwood nach den Weltkriegs-Zwillingen Flags of Our Fathers und Letters from Iwo Jima (beide 2006) auch in mancher Hinsicht genießen. Als period piece zeigt Der fremde Sohn ein atmosphärisch glaubwürdiges Amerika der 1920er Jahre mit Straßenbahnen, zeitgenössischen Automobilen und entsprechender Hutmode. Digitale Bearbeitungen der Bilder und Hintergründe fügen sich unauffällig in den Film, und Kameramann Tom Stern arbeitet viel mit weicher Beleuchtung, warmen Farben, aber auch mit kräftigem Schwarz. Trotz des melodramatischen Potenzials der Story gleiten weder die Bilder, noch die von Eastwood komponierte Musik oder das Schauspiel in Richtung Kitsch ab. Der fremde Sohn berührt spannende zeitpolitische, aber auch zeitlose Themen wie Machtmissbrauch der Staatsgewalt, unrechtmäßige psychiatrische Inhaftierung, überkommene Geschlechterrollen und Frauenemanzipation, zuletzt die Frage nach dem Sinn der Todesstrafe. Hinter jeder der einprägsam gespielten Nebenfiguren scheint eine eigene Geschichte zu stecken, die ebenfalls lohnend zu erzählen wäre: sei es die des von heiliger Wut getriebenen Radiopredigers Gustav Briegleb (John Malkovich), die des machtgewissen Polizei-Captains (Jeffrey Donovan), der Christine Collins als hysterisch erklären ließ oder einfach nur die jener Krankenschwester der psychiatrischen Abteilung, die den Stromhebel für die Elektroschock-Behandlung umlegt.
Doch all diesen Teilen fehlt ein starkes Zentrum, und so bleibt das Werk des oscar-prämierten Altmeisters ohne Sog, ohne Feuer und Flamme.
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Kommentare
Monja
Ich war einfach nur geschockt...
Ich habe schon viele Krasse Filme gesehen, das dieser grausame Film ab 12 Jahre freigegeben ist kann echt nicht wahr sein.
Als ich aus dem Kino rauskahm hat mein ganzer Körper gezittert..
Nichts für schwache Nerven..
Erika
Jeder, der den Film kritisiert, hat keine Ahnung. Der Film ist der beste Film, den ich je gesehen hab. Und übrigens der Promi Filmkritiker sieht es ganz anders, als der Spezialist da oben! Wie gesagt, keine Ahnung die Leute! Aber als Filmkritiker muss man auch mit Kritik die man von anderen bekommt umgehen können!
Mit freundlichen Grüßen
Erika
2 Kommentare