Unter Strom – Kritik
Zoltan Paul erzählt eine temporeiche Entführungsgeschichte in Screwballtradition, mit erfahrenen Schauspielern und irritierendem Ergebnis.

Unter Strom orientiert sich an der Screwball-Komödie: Es wird also viel und schnell, laut und hektisch gesprochen. Ab der ersten Minute legt Zoltan Pauls Film ein hohes Grundtempo vor, welches fast ausnahmslos gehalten wird. Die Charaktere sind formvollendete Klischees, eindimensionale Abziehbilder ohne erkennbare verinnerlichte Entwicklungen – mithin regelrechte Schießbudenfiguren. Die Story ist abstrus, mal mehr, mal weniger vorhersehbar und durch Situationskomik und schnellen Wortwitz unterschiedlichster Güte verdichtet.
Frankie Huber (Kleinganove) wird zu 15 Jahren Haft verurteilt. Als laute Unschuldsbeteuerungen nichts nützen, türmt Frankie mit Waffengewalt aus dem Gerichtssaal, um auf dem Gang die frisch geschiedenen Ex-Eheleute Anna Trieb (Karrierefrau) und Daniel Trieb (Hausmann) zu kidnappen. Auf der Flucht zum Waldhaus der Triebs bringt Frankie noch den konservativen Wirtschaftsminister van Möllerbreit (eine Kombination aus Möllemann, von Boyst und Wowereit) in seine Gewalt, da dieser – wie Frankie ahnt – hinter dem Mordkomplott steckt, für das Frankie büßen soll. Indes hat Kommissar Kaminski die Verfolgung aufgenommen, welcher in Wahrheit schwul und mit dem entführten Minister klammheimlich liiert ist. Davon wiederum keine Ahnung hat die auf Kaminski nymphoman fixierte Kommissarin Freesmann. Weiterhin treten auf: Reuter (Annas Liebhaber), der ob erotischer Vorfreude und Viagra-Überdosierung an einer Dauererektion leidet, Gloria Huber (Ganovenbraut) und Cheesie (Ganovenkumpel).

Schon nach den ersten 5 der 81 Minuten Laufzeit beschleicht einen das Gefühl, dass hier grundsätzlich etwas nicht stimmt und zwar von der untersten narrativen Ebene an: Beat für Beat, Einstellung für Einstellung wird klar, dass zwischen den Figuren szenisch kaum Beziehungen entstehen, dass es am Anspielen auf den Dialogpartner irgendwie hapert weil jedes gesprochene Wort hölzern am geschriebenen Dialog zu haften scheint. So baut sich eine Theatralität auf, die jeglichen filmischen Fluss konterkariert und durch das hohe Tempo kaum zu verbergen ist.
Das irritiert, denn das Ensemble ist mit namhaften und erfahrenen Filmschauspielern wie Harald Krassnitzer, Catrin Striebeck oder Ralph Herforth sowie mit Jungstars wie Robert Stadlober, Anna Fischer oder Hanno Koffler besetzt. Einzig Sunnyi Melles als grenzwertig lüsterne Kriminalkommissarin überragt hier das ganze Ensemble indem Sie eine durchgehend überzeugende tragikomische Figur erschafft. Das wiederum gelingt, weil das Buch der Figur den wenigsten Text, die geringste Aktion und somit den größten Freiraum für Gestaltung überlässt. So liegt der Verdacht nahe, dass es Unter Strom vor allem an Spielleitung und an filmischem Gespür mangelt.

Es könnte aber auch sein, dass Zoltan Paul genau diesen ungelenken Duktus anstrebt. Hierfür sprächen etwa die irritierenden Montagefehler bei der Verfolgungsjagd mit der Polizei oder unmotivierte Achssprünge bei Inserts von Sunnyi Melles, wenn sie sich zum Ende hin über den angeschossenen Reuter beugt, um verzückt dessen Erektion zu betrachten. Hierfür spräche auch, dass mit Sebastian Thümler (Deutscher Filmpreis 2009: Bester Schnitt für Chiko, 2008) und Ben von Grafenstein (Blindflug, 2007) zwei erfahrene Filmeditoren an dem Projekt beteiligt waren. Dann wäre der Ansatz zumindest experimentell. Doch für einen willentlich gestalteten Trash-Film fehlt die Konsequenz der ästhetischen Brüche und – bei allem gleichförmigem Tempo – letztendlich die Dynamik.
Neue Kritiken

Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes

Kung Fu in Rome

Dangerous Animals

Versailles
Trailer zu „Unter Strom“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (7 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.