Panik im Needle Park – Kritik

Die Zerstörung des eigenen Selbst. Jerry Schatzbergs Drogen-Klassiker Panic im Needle Park ist zum ersten Mal in Deutschland auf DVD erhältlich.

The Panic in Needle Park 1

1971 war das berüchtigte Jahr der „X-rate movies“. Die BBFC brandmarkte in dieser Zeit viele Spielfilme mit der sonst pornografischen Inhalten vorbehaltenen Klassifizierung, darunter John Schlesingers Asphalt Cowboy (Midnight Cowboy, 1969), Mike Hodges’ Jack rechnet ab (Get Carter, 1971) und Kubricks Uhrwerk Orange (A Clockwork Orange, 1971). Manche wurden gänzlich beschlagnahmt, so etwa Peckinpahs Wer Gewalt sät (Straw Dogs, 1971) und auch der hier besprochene Panik im Needle Park (The Panic in Needle Park).

Viele dieser damals verbotenen Werke sind schon lange unbestrittene Klassiker der Filmgeschichte, und trotzdem dauert es hierzulande mitunter eine Ewigkeit, bis sie unzensiert und in vernünftig restaurierter Qualität erscheinen. Das liegt in erster Linie daran, dass neue Masters im europäischen Handelsraum auf den Originalkopien basieren – in diesem Fall aus den USA. Bevor eine solche Kopie nicht den Weg ins britische Empire mit anschließender Veröffentlichung geschafft hat, ist im deutschen Sprachraum erst einmal Warten angesagt. Ein Beispiel: Peckinpahs Straw Dogs war bereits 1998 in den USA in einer beachtlichen DVD-Edition im Handel (Criterion Collection). Doch erst 2002 konnte der Anbieter Freemantle Media den Film auch in Großbritannien auf den Markt bringen. Zwei Jahre später erschien er dann auch in Deutschland – vom Index gestrichen, erhielt die erstmals ungekürzte Fassung sogar eine Jugendfreigabe.

The Panic in Needle Park 2

Wo bei Wer Gewalt sät aufgrund die (angeblich) verstörende Darstellung von Gewalt und Sex zur Beschlagnahmung führte, da war es bei Panik im Needle Park die analytisch genaue Beobachtung des Drogenkonsums und -handels, die laut Angaben der BBFC „anstiftend“ wirkte. Bis in die 1990er schnitt die Behörde gerade auch aus diesem Film Bildmaterial heraus, das expliziten Umgang mit Heroin, Tabletten oder Marihuana zeigte. Es sind aber genau jene Bilder, die dem Zuschauer das Grauen der Sucht deutlich vor Augen führen: von Einstichlöchern übersäte Unterarme, die erschlafften, fast leblosen Körper der Junkies in Kellerwohnungen und Korridoren und nicht zuletzt – die größte Leistung des Films – die gezeichneten Gesichter der Protagonisten, im einen Moment noch voller Wut und Panik wegen der Entzugserscheinungen, im nächsten nur noch apathisch und resignierend.

Es war diese Rolle des heroinabhängigen, Drogen vertickenden Bobby, die dem noch jungen Al Pacino den Weg zur Starkarriere ebnete. Francis Ford Coppola engagierte ihn daraufhin für sein Meisterwerk Der Pate (The Godfather, 1972) – der Rest ist Filmgeschichte. In Panik im Needle Park kommt Pacinos Schauspielweise des method acting deutlich zum Tragen. Bobby, von Grund auf hitzköpfig und unberechenbar, erhält zwischen seinen verbalen Attacken und körperlichen Gewaltausbrüchen durchaus sehr ruhige, ja zärtliche Momente, wenn seine Liebe zu Helen (Kitty Winn) stärker ist als seine Drogensucht. Eindringlicher als Pacinos durchaus überzeugendes Spiel ist jedoch die häufig subtile Mimik seiner Kollegin. Winn, deren erste Performance leider auch ihre einzige erwähnenswerte bleibt, zeigt ein erstaunliches Spektrum des seelischen und körperlichen Schmerzes, oft nur in minimalen Abweichungen voneinander.

The Panic in Needle Park 3

Mit den weichgespülten, vage sozialkritischen Bildern einer aktuellen, thematisch verwandten Produktion wie Tag und Nacht (2011) hat Schatzbergs raues 1970er-Jahre-Kino nichts gemein. Panik im Needle Park wirft einen unbeschönigten Blick auf die Bronx während ihres wohl dunkelsten Kapitels, des Drogenkriegs 1970-73, mit dreckig-grauen Straßen, fixenden Schwangeren und Schülerinnen auf dem Strich. Gerade hier zeigt sich Schatzbergs Beeinflussung durch den cinéma vérité-Stil.

The Panic in Needle Park 6

Schatzbergs Film ist ein eindringliches Meisterwerk über Sucht und den damit einhergehenden Verlust der Selbstachtung. Beides führt unwiderruflich zu Gewalt – an sich selbst und am Nächsten. Mit Bobby und Helen zeigt er uns zwei verlorene Seelen, die durch Zufall zueinander finden, deren Schicksal aber unausweichlich ist. Das Schlussbild kann in diesem Zusammenhang zuerst durchaus irritierend wirken, ist aber im Nachhinein nur konsequent. Bobby und Helen können nicht voneinander weichen, egal wie viel Leid sie sich schon gegenseitig zugefügt haben. Die Sucht nach dem weißen Gift weicht einer krankhaften gegenseitigen Abhängigkeit, die mit Liebe nichts mehr zu tun hat. Am Ende steht der völlige Verlust von allem, was einem einst lieb und teuer war.

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