Tage und Wolken – Kritik
Luxuriöser Lebensstil, privilegierte soziale Stellung, liebgewonnene Vorurteile: Alles hinüber, wenn der Job weg ist. Silvio Soldinis neuer Film porträtiert eine Ehe in Zeiten der Arbeitslosigkeit.

Elsa (Margherita Buy) hat gerade den Doktortitel in Kunstgeschichte erworben und feiert dies mit ihrem Mann Michele (Antonio Albanese) und Freunden. Tags darauf eröffnet ihr Michele, dass er seit Monaten arbeitslos ist. Herausgeschmissen wurde er aus der eigenen Bootbaufirma von den Mitbesitzern. Noch ist er guter Dinge, dass sich bald eine neue Anstellung finden wird. Die Hoffnung trügt.
Wochen um Wochen, Monate um Monate ziehen ins Land, ohne dass sich etwas tut. Ein erstes Jobangebot lehnt Michele ab, weil es seinen Gehaltsvorstellungen nicht entspricht, doch die Angebote werden in der Folge nicht besser, sondern nur weniger. Währenddessen schwinden die finanziellen Reserven. Elsa, die mit den Restaurierungsarbeiten in einer mittelalterlichen Kapelle keinen Cent verdient, muss nebenher jobben, im Callcenter zunächst, später auch als Sekretärin. Das Boot muss weg, die teure Wohnung wird gegen eine billigere eingetauscht, jedes Abendessen außer Haus verschlimmert die finanzielle Situation erheblich.

In gemächlichem Tempo und ausgedehnt über eine beachtliche Laufzeit von 115 Minuten zeichnet Silvio Sodinis Tage und Wolken (Giorni e nuvole) einen sozialen Abstieg in all seinen Aspekten nach. Mit den materiellen Gütern schwindet die gesellschaftliche Stellung. Alte Freundschaften können – schon aus Scham – nicht aufrecht erhalten werden, statt dessen nimmt Michele Kontakt zu seinen, aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen der ehemaligen Mitbesitzer ebenfalls arbeitslosen, früheren Angestellten auf und renoviert gemeinsam mit ihnen Wohnungen in der Nachbarschaft. Die Klassenhochmut gegenüber dem Freund ihrer Tochter, der nicht studiert hat und einen Handyladen betreibt, wird immer schwieriger zu rechtfertigen und muss bald ganz aufgegeben werden.
Elsa kommt mit der neuen Situation besser zurecht als Michele. Obwohl sie die geliebte Kunst im Stich lassen muss, hält sie durch Kleidung und Auftreten die bourgeoise Fassade aufrecht. Schnell fasst sie in der für sie neuen Position als Lohnempfängerin Fuß und kommt den Vorgesetzten bald näher, als es ihrem Mann lieb sein kann. Währenddessen verwahrlost dieser zusehends, gibt die Hoffnung auf Besserung nach und nach auf, sitzt schließlich lethargisch auf dem Fußboden des ärmlich eingerichteten neuen Appartements und zerquetscht Pfandflaschen. Der Ehe kann das alles natürlich nicht gut tun.
Soldini inszeniert seinen Film nüchtern, trocken realistisch und hält sich weitgehend fern von Weinerlichkeit oder Melodrama. Der Einsatz von Musik bleibt sparsam, das Schauspiel angenehm zurückgenommen, die Bildsprache mit ein paar Ausnahmen – Michele weinend in der Dusche – frei von visuellen Klischees.

Wenig gibt es auszusetzen an diesem Film, aber auch wenig zu bewundern. Man kann Soldinis Film mögen für das, was er nicht macht, für seinen Verzicht auf offen manipulatives Gefühlskino, auf Sozialromantik und Proletarierkitsch. Weniger jedoch für das, was er stattdessen macht. Tage und Wolken fehlt es in den entscheidenden Momenten an Konsequenz und an Mut. Vage bleibt der Film zum Beispiel in Bezug auf die Frage, warum Michele denn nun ganz konkret auf dem Arbeitsmarkt Probleme hat: Liegt's am Selbstmitleid und an der unüberwindbaren Arroganz? Oder an mangelnder Risikobereitschaft? Oder doch ganz prosaisch am Alter? Auch die zahlreichen sozialen Konflikte, die der Film zunächst sehr genau konstruiert, versanden im Verlauf der fast zwei Stunden in banalem Humanismus. Letzten Endes läuft alles darauf hinaus, dass der Freund der Tochter ein guter Kerl ist, dass die ehemaligen Angestellten Micheles ebenfalls gute Kerle sind und dass Michele selbst, wenn erstmal die bourgeoise Schale abgeschält wird, irgendwie auch ein guter Kerl ist. Nur, wenn ganz Italien angefüllt ist mit guten Kerlen, warum ist dann überhaupt irgendjemand arbeitslos?
Zurück bleibt solides, souverän inszeniertes Stimmungskino mit wenig Plot und Überlänge irgendwo zwischen Seifenoper und Autorenfilm, von dem man nicht so recht weiß, warum man es sich anschauen soll.
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