Patti Cake$ - Queen of Rap – Kritik
Wunsch, Wirklichkeit und die Anarchie dazwischen: Patti Cake$ bringt eine weiße Gangsta-Rapperin auf die Bühne und gefällt sich dabei ganz schön in seiner Indie-Smartness, spannt aber auch einen netten musikutopischen Horizont auf.

Im hippen Musikvideo-Style geht es los, aber das ist zum Glück nur Wunsch und nicht Wirklichkeit. Ein ultracooler Ansager mit Goldzahn präsentiert den neuesten Star am Hip-Hop-Himmel, grelles Neonlicht überall auf der Bühne, aufwändige Visuals im Hintergrund, dann rastet die Crowd aus, als Killa P ihre ersten Rhymes droppt. Schon aber klingelt das Telefon, das neben dem Bett steht, die Affekte rasen vor die Wand, und eine Stimme erinnert die aufgewachte Patti (Danielle Macdonald) an die Schulden, die sie und ihre Mutter noch zu begleichen haben. Exakt nach diesem Schema – das Begehren nach dem anderen Leben wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt – funktioniert jede Szene im ersten Teil von Geremy Jaspers Patti Cake$. Mit riesigen Kopfhörern spaziert Patti auf der Straße ihrer Heimatstadt in New Jersey und hebt bald im wahrsten Sinne des Wortes ab, sky’s the limit, aber dann hupt der von Patti bewunderte Rapper Danny (McCaul Lombardi) hinter ihr, weil die dicke Pseudo-Rapperin ihm die Straße versperrt, und ruft ihr beim Vorbeifahren in seiner dicken Karre noch ein „Dumbo“ hinterher, den verhassten Spitznamen. Und als Patti ihren besten Kumpel Jheri (Siddharth Dhananjay) von der Arbeit abholt, haben die beiden genau so lange Spaß, bis Jheris Vorgesetzte stört und die beiden ermahnt: „Make-belief only at lunch-time!“
Patti Cake$, eine praktische Übung im „make-belief“

Das ist natürlich irgendwie platt, nicht gerade originell. Aber mitunter auch ganz erfrischend, wie dieser Film seine Grundstruktur so naiv und den Glauben an das Kino als Wunschmaschine so offen und stolz vor sich herträgt wie Patti ihren voluminösen Körper. Schon das Setting – die suburbane Tristesse New Jerseys, in deren Hintergrund Manhattans Wolkenkratzer als Versprechen aufscheinen – erzählt von der exorbitanten Kluft zwischen Ideal- und Real-Ich. Und mit all dem kündigt Patti Cake$ natürlich an, dass diese Kluft im Laufe des Plots verkleinert, wenn nicht gar geschlossen werden wird. Auch deshalb ist es gut, dass der Film gar nicht erst subtil heuchelt, seine Funktion als praktisches „make-belief“ nicht groß verschleiert, uns keine Anstrengung vorgaukelt: Dass Patti irgendwann, ob in den bereits bekannten Bahnen oder über indie-smarte Umwege, tatsächlich und nicht nur in ihren Träumen auf einer Bühne stehen wird, das wissen wir, und der Film weiß, dass wir es wissen.
Bekannte Bahnen, indie-smarte Umwege

So here we go: Eine bereits bekannte Bahn ist das erste Battle auf der Straße, ausgerechnet mit dem bewunderten Gangsta. Ganz schön ist diese Szene deshalb, weil sie ziemlich exakt den Diss von der Hate Speech zu unterscheiden weiß. Begegnen sich Danny und Patti zunächst noch auf Augenhöhe – die ersten Rhymes ließen sich auf „Du hast keine Ahnung vom Rappen“ vs. „Hab ich wohl“ herunterbrechen –, flüchtet sich Danny bald in billigen Sexismus und Body Shaming, als er merkt, dass er eine ernst zu nehmende Gegnerin vor sich hat. Patti ist getroffen, schluckt einmal runter, und verletzt dann so wuchtig, wie es geht, Männerstolz, was ihr – weil die Besetzer sogenannter hegemonialer Subjektpositionen davon eben auch viel zu verlieren haben – eine gebrochene Nase beschert.

Ein indie-smarter Umweg nennt sich Basterd (Mamoudou Athie), nicht nur Nebenfigur, sondern auch Exempel für die race politics des Films – und dafür, wie sich Regisseur Jasper kulturelle Produktion insgesamt vorstellt. Während Patti nämlich klassischer „white trash“ ist, mit Alki-Mom Barb (Bridget Everett), die einer ihr versagt gebliebenen Karriere als Country-Sängerin hinterherweint, so ist Basterd schwarz, interessiert sich aber weder für Rap noch für Gangster-Gehabe: Er macht experimentellen Metal, lebt als eine Art Hippie-Anarchist auf den Straßen Amerikas, introvertiert und wortkarg, leicht zu verletzen, sich dann zurückziehend. Deutlich macht Jasper mit dieser Figur also, dass er nicht einfach vom struggle einer weißen, dicken Rapperin erzählt, sondern dass er die, jawohl, kulturelle Aneignung von Musik- und Verhaltensstilen durch Gruppen, die im kollektiven (Unter-)Bewusstsein nicht mit diesen Stilen identifiziert sind, für extrem wichtig hält.
Die Basterdisierung eines ganzen country

Problematisch ist das etwa dann, wenn der unverhohlene Rassismus von Pattis Mutter – „why can’t you act your race?“ – mit der Ablehnung Pattis durch einen arroganten schwarzen Plattenfirmenboss – „get a different hobby, white girl!“ – wenn nicht gleichgestellt, so doch sehr in die Nähe gerückt wird. Und dass die Vitalität des Hip-Hop in der dramaturgischen Logik des Films als Ressource erscheint, die letztlich für eine weiße Mutter-Tochter-Versöhnung ausgebeutet wird – wenn Barb beim ersten großen Gig nämlich aus dem Publikum heraus von Patti in den Refrain eingebunden wird –, dann kommt Patti Cake$ als einer jener Indie-Filme daher, die weniger ein kritisches Bewusstsein zu formen suchen als nach dem schon vorhanden geglaubten kritischen Bewusstsein der noch immer überwiegend weißen Sundance-Besucher schielen. Andererseits sticht der Film aus dieser Reihe auch wieder heraus, weil er nämlich ein aufrichtiges Interesse an den ästhetischen Zwischenräumen beweist, die sich um Identitäten nicht scheren – wenn Patti, Jheri, Basterd, und Pattis grantelig-sweete Oma eine Band gründen und mit fescher Hybrid-Musik ziemlich abgehen.

Als Patti Basterd bei einer ersten Probe anweist, seinen für Gitarrengeschrammel optimierten ultraschnellen Beat so anzupassen, dass sie dazu rappen kann, ohne ihm damit gleich einen Strich durch die Schrammelrechnung zu machen, wird die graduelle Natur vermeintlich klarer Stilgrenzen sehr schön deutlich. Das Metal-Geschrei ein wenig in den Background gedrängt, der Grundbeat verlangsamt, sodass das schrille Gitarrenriff auf einmal zum perfekten Beat fürs Rhymen wird, alles ist ja so relativ und fließend! Nach dieser Logik ließe sich die ja schon ein bisschen rührende Versöhnungs-Szene beim Konzert dann eben auch denken: Da macht der Metal-Hip-Hop im Refrain noch ein bisschen Platz für die Country Queen frei, ohne dass dafür irgendwas anderes weichen müsste, heraus kommt keine neue Abrechnung im identitären Nullsummenspiel, sondern einfach geilere, gar nicht mehr benennbare Musik. Weißer Gangsterrap und schwarzer Metal wären dann vielleicht doch mehr als ein Gag oder ein unique selling point für den neuesten heißen Scheiß aus Sundance, nämlich ein Angebot der Basterdisierung eines ganzen country. Dass heißer Scheiß aus Sundance weiterhin an chronischer Indiesmarteritis leidet, seinen Grundelementen viel zu wenig vertraut, um sie nicht mit allerlei originellen Ideen vollzukleistern, gehört dann allerdings schon auch noch zur ganzen Wahrheit über Patti Cake$.
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