God Bless America – Kritik
Ein zynischer Film, der sich dem Zuschauer als fiktiver Stellvertreter anbietet, um ihm auf moralisch fragwürdige und dadurch umso unterhaltsamere Weise seine Aversionen gegen den verdummenden Medienwahn abzunehmen.

Frank (Joel Murray) ist ein typischer White-Collar-Angestellter am Ende seiner Vierziger, der vom Leben nicht mehr viel erwartet. Träume, die es zu erstreben gäbe, hat das Fernsehen, wie wir es zu Beginn des Plots zusammen mit dem angewiderten Frank verfolgen dürfen, bereits alle vorweg genommen und bis zur völligen Perversion getrieben. In Sendungen wie „American Superstars“ werden junge Menschen mit Hoffnungen auf eine Gesangskarriere für das fun-orientierte Publikum in einer zeitgenössischen Forms des Kolloseums „zerfleischt“, und Formate wie „My Super Sweet 16“ zerstören den Traum vom Familienglück, wenn Töchter erkennen müssen, wie hassenswert ihre Eltern doch sind, weil sie ihnen statt dem Wunschauto nur einen Lexus schenken. Als dann noch persönliche Umstände wie der nicht mehr zu ertragende Egoismus seiner Mitmenschen, eine Kündigung aus völlig absurdem Grund, die Diagnose eines Gehirntumors und die bittere Einsicht, dass seine bei seiner geschiedenen Frau lebende Tochter nur noch eine seelenlose Kopie jener TV-Jugendlichen ist (in diesem Fall ist es ein statt eines IPhones geschenktes Blackberry, das zum Tobsuchtsanfall führt) und jeglichen Draht zu ihm verloren zu haben scheint, legt sich bei Frank der Schalter um, und er beschließt die Welt von dem Übel zu befreien, das zum zivilisatorischen Niedergang Amerikas geführt hat.

Wenn Regisseur und Drehbuchautor Bobcat Goldthwait seinen Helden im weiteren Verlauf einen blutigen Feldzug gegen all jene führen lässt, die die neue Grundverfassung des Landes aus Selbstsucht, Rücksichtslosigkeit und idiotischer Berieselung verkörpern, bedient er sich einer sensationalistischen Political-Incorrectness-Strategie, die der von Frank kritisierten Medienlandschaft nicht unähnlich ist, und kaum zivilisierter: Er lässt Frank schlichtweg jeden, der ihn aufregt, niederschießen. Doch würde man es sich zu leicht machen, God Bless America hier als inkonsequent zu brandmarken. Sicherlich lässt sich zwischen Franks Weltsicht und seinen gewalttätigen Handlungen sowie deren filmischer Gestaltung ein Kontrast ausmachen. Mit seinen an die Vernunft appellierenden Ansichten, die wie eine Zusammenfassung der klassischen Kulturkritik und der Simulationstheorie erscheinen (zwischen den Menschen finde keine wirkliche Kommunikation über ihr Leben mehr statt, sondern alle würden lediglich die Geschmacklosigkeiten der Unterhaltungsindustrie wiederkäuen), stößt Frank bei seinen Mitmenschen auf schieres Unverständnis. Insofern wäre die makabere Übertreibung seines Widerstands sogar eine konsequente Umsetzung der These, dass sich die vom Modus Vivendi des Entertainments geprägte Mediengesellschaft gegen jede Kritik nach traditionellen ethisch-moralischen Maßstäben längst immunisiert habe. Stattdessen müsse sich immanenter Vorgehensweisen bedient werden, die das gängige System auf die Spitze treiben. Goldthwait tut dies, indem er die Gewalt der Massenmedien an Geschmack und Verstand in direkte physische Gewalt gegen eine enthumanisierte Gesellschaft als Reaktion übersetzt.
So stellen Franks Opfer keine wirklichen Menschen mehr da, sondern sind lediglich überzogene Karikaturen selbstsüchtiger Medienproduzenten wie -konsumenten oder rechtskonservativer Aktivisten, für die man, so falsch Franks Selbstermächtigung, ihnen das Leben zu nehmen, auch sein mag, kein Mitgefühl verspüren kann. Die Gewaltakte zelebriert der Film, indem diese zweifelsfrei sein zentraler Schauwert sind. God Bless America ist dabei die meiste Zeit in so kräftigen, warmen Farben gehalten, dass er der problematischen Thematik zum Trotz durchgängig unterhaltsam ist. Die Morde sind leicht konsumierbar, da nicht unnötig brutal inszeniert, sondern in ihrer Darstellung auf Sekundenbruchteile reduziert, und ereignen sich meist offscreen oder am Bildrand.

Dass die Handlung dabei nie zu sehr in Exploitation abrutscht, verhindert nicht zuletzt Joel Murrays grandiose Darstellung des Frank. Tiefgründig gerät diese eigentlich so zynisch angelegte Figur nicht nur dadurch, dass Frank der Einzige ist, dessen Aussagen tatsächlich noch einen Inhalt haben, sondern auch über seinen körperlichen, sehr sensibel umgesetzten Ausdruck und seine persönliche, wenn auch überzogen skizzierte Hintergrundgeschichte. Obwohl Killer, ist er keineswegs in Gefühlskälte erstarrt. Mimik und Körperhaltung vermitteln in jedem Moment, dass in diesem Mann noch etwas vorgeht. Besonders ausdrucksstark ist seine Art zu sprechen. Allein über den melancholischen Grundton seiner Stimme schafft es Murray, den Zuschauer in Bann zu nehmen. Frank wirkt stets ruhig und bedacht und changiert überzeugend zwischen desillusionierter Verzweiflung und erfrischender Entschlossenheit. Er ist gewissermaßen die einzig reale, in diesem Sinne menschliche Figur im sonst den Gesetzen des Oberflächenrausches gehorchenden Filmkosmos.
Nicht ganz so überzeugen kann hingegen sein Sidekick Roxy (Tara Lynne Barr). Die Teenagerin beobachtet Franks ersten Mord an ihrer verhassten Mitschülerin Chloe, einer verzogenen Highschoolzicke und Protagonistin oben benannter Reality-TV-Sendung, voller Entzückung und schließt sich ihm daraufhin an. Damit reiht sich God Bless America in die Reihe von Killer-Pärchen-Filmen ein, von Bonny und Clyde (1967), die von Frank und Roxy offen als Vorbild benannt werden, über Natural Born Killers (1994), mit dem ihn der als Medienkritik versehene Exzess verbindet, bis hin zu Super (2010). Letzterer ist zwar kein Killer-Film im eigentlichen Sinne. Doch auch hier hat gerade der weibliche Part des Duos Crimson Bolt / Boltie über den selbst erteilten Auftrag der Verbrechensbekämpfung hinaus sichtlichen Spaß am Leute-Abschießen, sodass Parallelen zwischen Roxy und Boltie unübersehbar sind. Aber mit Ellen Pages wunderbar überdrehten und äußerst charmanten Anarchismus kann Tara Lynne Barrs Performance trotz aller Bemühungen nicht mithalten.

So überzogen die meisten Figuren in God Bless America auch sind, das Bild der Medienlandschaft ist nicht allzu wirklichkeitsfern. All die Formate des Reality-TV, auf die Goldthwait Bezug nimmt, kennen wir in sehr ähnlicher Form auch hierzulande. Ob man dem Film nun eine kritische Haltung zusprechen, ihn einfach als bissige Satire genießen oder sich an der dargestellten Selbstjustiz stoßen will, eines dürfte bei allen drei Rezeptionshaltungen erschrecken: Man kann nicht umhin, sich bei Franks und Roxys Gewalttaten gegen all die verdummenden oder hetzerisch-demagogischen Fernseh-Manipulatoren, Ultraegoisten und Rechtsradikalen zumindest ein bisschen aus der Seele gesprochen zu fühlen, es ist ja schließlich nur ein Film.
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