Everybody Wants Some – Kritik

Ein Schritt vor, drei Jahrzehnte zurück: Richard Linklater rückt nach dem Coming-of-Age mit Boyhood in Richtung College vor, reist dafür aber ins Jahr 1980 zurück. Und stellt mal wieder ganz unverblümt ein paar Fragen ans Leben.

Everybody Wants Some 03

Noch ein paar Tage bis zum Beginn des ersten College-Semesters, wenn nicht nur für Jake (Blake Jenner) das Leben erst so richtig losgeht. Die Zeit der fremdbestimmten Jugend liegt hinter ihm – und es war eindeutig nicht diejenige, die Richard Linklater in seiner famosen Langzeitstudie Boyhood (2013) porträtiert hat. Jake will nicht Fotograf werden, sondern Baseballprofi, und ohnehin schreiben wir das Jahr 1980, „My Sharona“ tönt in den ersten Szenen von keiner selbstgebrannten CD, sondern aus dem Autoradio. Ein kleines Nostalgiestück für zwischendurch ist Everybody Wants Some geworden, eine Art Wiederaufnahme und Fortführung weniger von Boyhood als von Linklaters Highschool-Film Confusion – Sommer der Ausgeflippten (Dazed and Confused, 1993), der ein paar Jahre zuvor spielt.

Sportskanonen und ihre Platzpatronen

Everybody Wants Some 09

Everybody Wants Some zählt die Tage bis zum Beginn der Vorlesungen und hört dann auf, will eigentlich nur mal schauen, wie Jake so reinkommt ins Collegeleben. Schon die erste längere Sequenz ist ein ausgedehntes Hereinkommen: in die schnieke Villa, die aufgrund akuter Überfüllung der Campus-Dorms zum Wohnheim umfunktioniert wurde. Im Gang durch das Haus lernt Jake seine künftigen Teamkameraden kennen, ein Gang wie durch ein Museum der Männlichkeiten: nervige Männer, skurrile Männer, nette Männer, etwas langweilige Männer, potenzielle Kumpels, potenzielle Feinde, Humorbomben und Spaßbremsen, Spötter und Bespottete. Alles Männer oder was? Irgendwie schon. Jakes Flirt mit Beverly (Zoey Deutch) spielt höchstens als Fluchtpunkt des Films eine Rolle, ähnlich wie der Vorlesungsbeginn.

Everybody Wants Some 04

Everybody Wants Some ist also ein Männerfilm; allerdings nicht so, wie Multiplexe das meinen. Eher im Sinne einer wohlgesinnten fiktionalisierten Ethnographie. Das Alphatum einiger Exemplare untergräbt Linklater dabei schon mit seinem unaufgeregten Modus der teilnehmenden Beobachtung, durch den er behutsam freilegt, was verdrängt wird, bloße Platzpatronen in den Sportskanonen findet, Nebenflüsse im Testosteron-Strom, männliche Subjektbildungen in sexistischer Objektivierung. Wie immer bei Linklater werden die großen dramaturgischen Bögen dabei clever umschifft, emotionale Höhepunkte zugunsten einer gedämpften, aber stetigen affektiven Einbindung aufgegeben.

Wer sind wir denn nun wirklich?

Everybody Wants Some 10

In diesem Modus geht es auf die Suche nach den Mikro-Identitäten innerhalb der Makro-Identität Baseball-Star: der Pumper, der Nerd, der Kiffer, der Philosoph, der Baseball-Streber. Alles in dem Maße Stereotype, wie so ein Campusleben seine Stereotype eben ständig herstellt. Das wird allmählich auch zum eigentlichen Sujet des Films. Mit großer Selbstverständlichkeit lavieren sich die Sonnyboys durch die unterschiedlichsten sozialen Rollen. Da geht’s mal ins Disco-Outfit, mal zum Rodeo, und bei allem hat man so lange Spaß, wie man nichts davon als Teil des eigenen Selbst zu verstehen braucht. Im Nachtleben genießen die Sportler das Privileg der ironischen Aneignung.

Everybody Wants Some 01

Jake ist dabei vor allem deshalb als Protagonist geeignet, weil ihm noch viel mehr als den anderen Figuren jede eigentliche Bestimmtheit abgeht. Er bewegt sich jenseits der Stereotype, gerade nicht, weil er besonders stark, sondern weil er besonders schwach gezeichnet ist, zunächst nur Resonanzraum ist für die unterschiedlichen sozialen Imperative, mit denen er in der neuen homosozialen Umgebung konfrontiert ist. So kann er auch das Spiel mit den Identitäten weiter treiben als seine Freunde, deren Souveränität stets am seidenen Faden hängt, wenn sich unterschiedliche Anforderungen an eine gelungene Männlichkeit plötzlich in die Quere kommen, wenn in einem Raum steht, was man eigentlich lieber voneinander getrennt hätte. Das love interest und die buddies zum Beispiel.

Everybody Wants Some 05

Authentizität ist für Linklater keine positive Größe, sondern das Aushalten dieser Spannung, die Annahme des Rollenspiels. Das ist Jake: der seine Baseball-Kumpels ohne Scham auf die Performance-Arts-Party seiner angehenden Freundin mitbringt und guckt, was passiert. Und der auf dem Campus einen zum Punk mutierten alten Freund aus der Highschool wiedertrifft und seine zwei zunächst etwas befremdeten Sportfreunde zum spontanen Konzertbesuch überredet. Und dann stehen die drei Jungs im Hintergrund, während die Punks vorne auf eine Weise abgehen, die sich kaum ironisch aneignen lässt. Jake sinniert ganz offen darüber, dass der ständige Identitätswechsel die Frage, wer man denn nun wirklich sei, ad absurdum führt. Das Alpha-Männchen neben ihm hält biologistisch dagegen: Du bist halt auch nur ein Typ, bei dem es ums Wesentliche geht – getting laid, natürlich – und der sich auf dem Weg dorthin verschiedener Kostüme bedient.

Das Brechen der Wellen

Eine klassische Linklater-Szene ist das. Seine Filme sind eine präzise Erarbeitung solcher Kino-Momente, in denen explizit zur Sprache kommen kann, was im jeweiligen Sujet ohnehin schon angelegt ist. Dabei legt er keiner Figur etwas in den Mund, ohne vorher genauestens den Weg nachgezeichnet zu haben, über den dieses Etwas in den Mund ausgerechnet dieser Figur gekommen sein könnte. (So kann man Boyhood schließlich auch verstehen: ein dreistündiges filmisches Manöver, um sich einen Satz wie „The moment seizes us“ auch wirklich verdient zu haben.)

Everybody Wants Some 02

So brechen die Deutlichkeiten auch in Everybody Wants Some niemals von außen in den Fluss des Films. Sie kommen zum Vorschein, wenn jene Wellen brechen, die sich einen ganzen Film lang aufgebaut haben. Die Fragen ans Leben, deren sich Linklater nicht schämt, entstehen mit und im Vergehen der Zeit, sind nicht bloßes Ergebnis einer Erzählung, das dieser äußerlich wäre. Sie entstehen im Denken der Figuren, nicht bloß im Denken eines Films, für den diese Figuren nur Material der eigenen Reflexion wären. Und deshalb dürfen sie dann ruhig auch mal ausgesprochen werden, bevor das College-Leben dann so richtig losgeht.

Neue Kritiken

Trailer zu „Everybody Wants Some“


Trailer ansehen (2)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare


ule

Was für ein Scheiß ! selten so etwas untalentiertesU uninspiriertes gesehen. Darüber eine solche Kritik zu schreiben , das fordert mir Respekt ab :-)

und noch einmal.. was für ein Scheiß Film !






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.