Das Schwein von Gaza – Kritik
Wenn die Menschen zu blöd sind, in Nahost für Frieden zu sorgen, muss eben ein Tier ran.

Das einzige Schwein von Afghanistan – um dieses Kuriosum ging es vor wenigen Jahren auf den bunten Seiten der Tageszeitungen. Einzigartig war das Tier, weil Schweine im Islam bekanntlich als unrein gelten und deshalb in muslimischen Ländern kaum vorkommen. Doch für die leidgeprüfte Kreatur kam es noch ärger: Plötzlich war es nicht mehr nur „haram“, sondern auch noch schuld an der Verbreitung der Schweinegrippe. Die arme Sau wurde deshalb schließlich weggesperrt, was für das Tier schlimm genug war, für die beteiligten Menschen jedoch fast noch schlimmer, da sie dabei ja in Berührung mit dem unheiligen Wesen kamen.
Den palästinensischen Fischer Jafaar (Sasson Gabai) ereilt ein ähnliches Schicksal, als er eines Tages ein Schwein in seinen Netzen findet. Voller Angst kauert der ausgewachsene Mann vor dem Tier, versucht es anschließend an einen cholerischen Deutschen (Ulrich Tukur) zu verkaufen und besorgt sich schließlich ein Maschinengewehr, um ihm den Garaus zu machen – dem Schwein, nicht dem Deutschen. Natürlich ergreift ihn schließlich Mitleid mit der Kreatur, und natürlich erschießt er das Schwein nicht. Wie er das Tier erst vergebens loszuwerden versucht und es anschließend profitabel einsetzt, darum geht es in der Komödie Das Schwein von Gaza (When Pigs Have Wings, 2011).

Jafaar hängt zum Beispiel Bilder von Miss Piggy und anderen Schweinedamen auf, um den Eber sexuell zu stimulieren und dessen Samen an eine Jüdin zu verkaufen. Auch Juden halten nämlich insgeheim Schweine, da die Tiere Experten im Aufspüren von Sprengstoff sind. Dass die Israelis den Vierbeinern Socken überstreifen, damit sie den heiligen Boden des Landes nicht berühren, während der Palästinenser Jafaar sein Schwein mit einem Schafsfell tarnt, zeugt davon, wie kreativ Gläubige dabei sind, die oft absurden Vorschriften und Verbote ihrer Religion zu umgehen und sie gleichzeitig pro forma doch einzuhalten.
So viele Differenzen Juden und Moslems sonst auch haben mögen: Beim Verbot des Kontakts zu Schweinen sind sie sich ausnahmsweise einig. Und genau das ist auch die (bisweilen etwas penetrant kommunizierte) Message des Films: Ob Jude, Moslem oder auch Christ – letztlich sind sich alle Menschen ähnlich und werden durch religiöse Gegensätze erst künstlich auseinanderdividiert. Diese Erkenntnis ist weder neu noch kontrovers – vor allem aber vereinfacht sie das Pulverfass Nahost allzu sehr und hofft mit beinahe kindlicher Naivität, ein Film könne etwas an der verfahrenen Situation ändern.

Was Regisseur Sylvain Estibal allerdings gelingt, ist eine Skizzierung der politischen Zustände in Gaza. Dabei geht sein Drehbuch auch darauf ein, wie radikale Palästinensergruppen aggressive Reaktionen der Israelis herausfordern („Das letzte Schwein wurde von einer Rakete getötet.“). Insgesamt aber macht Das Schwein von Gaza keinen Hehl aus seinem Standpunkt, dass das Grundproblem in der Besatzungspolitik Israels bestehe. Jafaars Haus ist direkt betroffen, oben auf dem Dach leben zwei israelische Soldaten. An den Grenzposten herrscht Willkür, jüdische Siedlungen werden auf palästinensischem Gebiet errichtet, und die Besatzer hegen massive Vorurteile gegen die muslimischen Bewohner („Red nicht mit dem Terroristen!“).
Das bisherige Scheitern der seit langem geplanten Zwei-Staaten-Lösung kommentiert der Film mit einem pointierten Dialog: „Dieses Schwein ist eine Bedrohung für unser Land“, ruft ein israelischer Soldat einer Gruppe bewaffneter Palästinenser zu. „Für unser Land auch“, antwortet deren Anführer, bis ihn einer seiner Kameraden verwirrt fragt: „Welches Land?“ Den bewaffneten Kampf für dieses Land lehnt der Film aber offenbar ab. Als eine Mutter Jafaar stolz erzählt, ihr Sohn wolle später Märtyrer werden, ohrfeigt er das Kind.

Der Spagat, den Das Schwein von Gaza mit seiner Mischung aus lowbrow humor und politischem Bewusstsein wagt, ist erstaunlich. Als Komödie versucht der Film mit Klamauk, Overacting und Witzen über Körperflüssigkeiten zu punkten – gleichzeitig aber spürt man den politischen Aufklärungsdrang. Eine zukünftige Lösung des Konflikts visiert Sylvain Estibal an, wenn Jafaars Frau täglich eine brasilianische TV-Soap schaut und sich einer der israelischen Soldaten dazu gesellt. Langsam beginnen die beiden, miteinander über die Sendung zu reden – dabei entspinnen sich Unterhaltungen, die unmissverständlich als doppelbödig angelegt sind. Dass in der TV-Serie ein Mann und eine Frau einen heftigen Konflikt miteinander austragen, kommentiert der israelische Soldat mit den Worten: „Am Ende hören sie auf zu streiten und wohnen zusammen.“
In solchen Momenten, wenn die Sinnlosigkeit der Feindschaft zwischen Israelis und Palästinensern, Juden und Moslems, aufgezeigt wird, ist der Film oft etwas rührselig. Gegen Ende feiern beide Seiten ein gemeinsames Fest, bei dem körperlich behinderte Kriegsopfer Breakdance-Moves vorführen – währenddessen wird das Wort „Frieden“ im Voice-over sowohl auf Hebräisch als auch auf Arabisch eingesprochen. Hier trieft das friedensbewegte Pathos förmlich aus den Bildern. Man kann sich allerdings fragen, ob diese Emphase verzeihlich ist, solange die gegenseitigen Hasstiraden und militärischen Angriffe mit ähnlicher Intensität vorgetragen werden.
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Kommentare
H. Weigel
"Der Spagat, den Das Schwein von Gaza mit seiner Mischung aus lowbrow humor und politischem Bewusstsein wagt, ist erstaunlich."
Erstaunlich sicher in einem deutschen Kommentar. In der Tat lässt der Film keinen Zweifel daran, dass die israelische Besatzungspolitik Schuld an den Wirrnissen hat. Gegen Ende wird nämlich Jafaars Haus von israelischen Bolldozern platt gemacht - ein Mittel, das übrigens schon die Briten in den späten 40ern in Palästina einsetzten.
Durch Humor wird indes Distanz geschaffen, die zu Erkenntnissen führt. Für mich seit entsprechenden Passagen aus Brians Leben eine besonders gelungene Komödie über ein bedrückendes Thema. Das bewusst versöhnliche happy end zeigt eben deutlich, dass angesichts der beiderseits herrschenden fundamentalistischen Borniertheit keine realistische Lösung des Besatzungsproblems möglich scheint.
H. Weigel
Ach ja: Und dann noch die Filmmusik von Bouggie Balagan ...
2 Kommentare