Bye Bye Berlusconi! – Kritik
Wollen Sie, dass ich Ihnen sage, wen Sie wählen sollen? Die fiktionale Inszenierung der Dreharbeiten an einer Satire über Silvio Berlusconi weiß, was sie Italien raten soll.

Politik gehört zu den wenigen Bereichen, in denen man sich nicht gerne überzeugen lässt. Fast jeder möchte selbst entscheiden, für wen er seine Stimme hergibt. Und dennoch brechen die Versuche nicht ab, anhand von Dokumentarfilmen, Archivmaterialkollagen oder inszenierter Realität die Wählermeinung zu beeinflussen. Nur ist es in Italien alles andere als einfach, einen Film gegen den Ministerpräsidenten zu drehen. Selbst wenn er aus eigener Tasche finanziert wird, bleibt die Angst vor Repressalien und Prozessen nicht aus. Doch das Filmteam um Regisseur Jan (Jan Henrik Stahlberg) und Berlusconi-Double Maurizio (Maurizio Antonini) hat sich fest vorgenommen, sich nicht einschüchtern zu lassen und seinen Film über eine Entführung Berlusconis und dessen Prozess in jedem Fall zu drehen.
Italien gehört zu den Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit. Erst kürzlich hat die Satirikerin und Moderatorin Sabina Guzzanti mit ihrem Film Viva Zapatero! (2005) in einem an Michael Moore angelehnten Stil des polemischen investigativen Journalismus offen gelegt, wie schwer es in Italien geworden ist, sich in den Medien frei zu äußern – vor allem, wenn eine Meinung gegen den Premierminister gerichtet ist. Guzzantis überspitzte Äußerungen in der Fernsehsendung „raiOT“ waren nicht als Satire anerkannt worden, und das Programm wurde abgesetzt.

Die Trennlinie zwischen Satire und Verleumdung wird auch in Bye Bye Berlusconi! thematisiert. Die Anwälte des Produzenten Roberto (Franco Leo) raten ihm, Berlusconi nicht bei seinem Namen zu nennen, um eine Klage zu vermeiden. Kurzerhand entscheidet er, ihn ‚Topolino’ zu taufen – das ist der italienische Name für Mickey Mouse. Der Film im Film wird in Entenhausen angesiedelt, Topolino ist dort Bürgermeister, verkauft Melonen und besitzt einen Melonen-Fernsehsender. Er ist durch die Mafia reich geworden und hat sich der Bilanzfälschung und der Steuerhinterziehung schuldig gemacht. Um ihn dem verdienten Prozess auszusetzen, entführen ihn also Daisy, Kater Karlo und die Hundekacker. Die Entführung, die immer wieder mit der übergeordneten Dreharbeiten-Ebene unterschnitten wird, kulminiert in einem übers Internet ausgestrahlten Publikums-Prozess, in dem die Einwohner von Entenhausen entscheiden dürfen, ob Topolino schuldig ist, und wie lange er dafür ins Gefängnis soll. Wie schon in Muxmäuschenstill (2003) überhöht Jan Henrik Stahlberg in seinem gemeinsam mit Lucia Chiarla geschriebenen Drehbuch die Situation so sehr, dass sie ins Groteske mündet.
Auch in seinem Regieerstling setzt Stahlberg auf eine dokumentarisch wirkende Form. Mittels hektisch geführter Handkamera und Interviewsituationen mit dem Filmteam suggeriert er Realitätsnähe. Der Guerilla-Dreh, den er dabei inszeniert, sorgt aber für kaum mehr als eine Rahmenhandlung, obgleich er durch die Repressalien der Ordnungshüter und die ständige latente Gefahr mehr aussagt als die bunte Farce über den Melonenhersteller. Doch über die vertretenen Thesen hinaus bleiben die Situationen rund um den Dreh sehr einfach gestrickt und die Figuren nur eindimensional beschrieben. Fast schon genial hingegen erscheint die immer wieder eingestrahlte Werbung aus dem Fernsehprogramm des Melonen-Senders. Als Kritik an der sinnwidrigen Sexualisierung von Reklame ist sie pointierter als die Verurteilung Topolinos als Kritik am noch grundsätzlich fehlenden Prozess gegen Berlusconi. Wie in vielen Anklage-Filmen – auch Viva Zapatero! macht da keine Ausnahme – wird über Dialoge und Off-Text verhandelt, was ausdrucksstärker wäre, wenn es visuell dargestellt würde.

Die zwei Ebenen, auf denen Bye Bye Berlusconi! operiert, vermischen sich im Laufe des Films zunehmend. Nach und nach wird es immer schwieriger, sich zu orientieren: Befinden wir uns gerade bei den fiktionalen Dreharbeiten, oder handelt es sich hier um die fiktionale Entführung innerhalb des Films im Film? Am Ende ist die Verwirrung perfekt, so dass als einfachste Fixpunkte nur noch die realen politischen Gegebenheiten bleiben. Und der naheliegenden Ohnmacht vor dem fast allmächtigen Politiker hat sich das reale italienische Filmteam um den Deutschen Jan Henrik Stahlberg offensichtlich widersetzt. Obwohl Bye Bye Berlusconi! nicht die nötige Brisanz besitzt, um eine wirkliche Bewusstseinswerdung hervorzurufen, gelingt es ihm immerhin, gerade weil er auf Polemik verzichtet, die Einschränkungen und Angstzustände zu beschreiben, die aus den undemokratischen Verhältnissen mitten in Europa resultieren.
Zu den aktuellen Anti-Berlusconi-Filmen gehören neben Viva Zapatero!, welcher immerhin etwa 300.000 Zuschauer in die italienischen Kinos lockte, auch Il Caimano (dt: Der Kaiman), ab Ende März in Italien zu sehen, und Quando era Silvio (dt: Es war einmal Silvio), der als DVD-Beilage einer linken Wochenzeitschrift ab 1. März erhältlich ist. Auch Stahlbergs Film soll noch vor den Wahlen in Italien anlaufen, und eine Zeitschriftenbeilage ist ebenfalls in Planung. Alle zusammen haben bereits für etwas Wirbel gesorgt; Berlusconi scheint es gelassen zu sehen, wie ihn „Le Monde“ kürzlich zitierte: „Ich bin der Jesus-Christus der Politik, ein geduldiges Opfer, das alles aushält und sich für alle aufopfert.“
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