Ausente – Kritik

Intimität statt Kohärenz: Der auf der Berlinale 2011 mit dem Teddy Award ausgezeichnete argentinische Regisseur Marco Berger setzt in seinem jüngsten Film ganz auf die Magie des Moments.

Ausente 1

Bereits während des Vorspanns wird die Kamera zum intimen Beobachter. In Detailaufnahmen fängt sie einzelne Stellen eines jungen männlichen Körpers ein, seziert ihn gewissermaßen. Der Junge heißt Martín (Javier De Pietro) und wirft seinem Schwimmlehrer (Carlos Echevarría) vielsagende Blicke zu. Dieser nimmt das noch sehr verhaltene Interesse seines Schülers zuerst nicht wahr, nachdem dieser jedoch eine Verletzung vortäuscht, begleitet er ihn ins Krankenhaus. Dieser gesamte Einstieg von Ausente funktioniert beinahe ohne Worte, die Bilder sprechen dafür eine umso deutlichere Sprache. Nah- und Halbnahaufnahmen rücken abwechselnd Gesicht und Körper Martíns und seines Lehrers in den Fokus, die sich wieder voneinander lösen und schließlich erneut zueinander finden. Ein gefühlvolles Ausloten des Gegenübers, eine visuelle Abtastung, die ganz konkret auf die beiden Hauptfiguren bezogen ist und das Umfeld bewusst ausblendet, wodurch eine intensive intime Atmosphäre geschaffen wird und jeder Blick zum Ereignis wird.

Die musikalische Unterlegung der Szene klingt furchteinflößend und bedrohlich, Versatzstücke eines Thrillers werden mit unkonventioneller Dramaturgie verbunden. Das Gesehene steht schon zu Beginn unter einem dunklen Stern, das will der Film unmissverständlich klar machen.

Ausente  1

Bereits in Plan B (2009) experimentierte Marco Berger mit den Möglichkeiten, die sich aus verzweifelter Liebe und der Unfähigkeit zur Offenheit gegenüber dem Partner/Liebhaber ergeben können. Wo der Vorgängerfilm aber noch einem recht schematischen Racheplot folgte, entfaltet sich in Ausente ein faszinierendes Spiel, das keine eindeutige Lesart zulässt. Martín haftet sich durch seine scheinbar zurückhaltende Art förmlich an seinen Lehrer Sebastián. Nach einigen erfolglosen Versuchen, jemanden aus Martíns Familie oder Freundeskreis aufzufinden, chauffiert ihn Sebastián zu sich nach Hause und bietet ihm schließlich an, bei ihm zu übernachten. Die Wohnung des Lehrers stellt dann auch genau das erwünschte Ziel von Martíns Reise dar, waren seine ins Leere gerichtete Fahrtweisungen doch nur bewusste Manipulation. In dieser ersten Nacht findet zumindest auf körperlicher Ebene noch keine Annäherung zwischen den beiden statt. Jedoch gibt die Kamera durch subtile und kurze Einstellungen wieder Hinweise auf die emotionale Verbindung der beiden. Abwechselnd treffen sich ihre verhaltenen Blicke, wortlos und zugleich als Voyeure teilen sie sich die Wohnung, die mit ihren offenen Türen wie ein einziger intimer Raum erscheint.

Ausente  6

Die sehnsuchtsgetränkten Bilder entstehen nun aber nicht nur in genau verorteten Momenten, bestimmten Plätzen oder Räumen, vielmehr überzieht ein desperater Teppich aus Wünschen und Möglichkeiten mit nicht genau definierter Tragweite den Kern des Films. Auch auf offener Straße, in Korridoren und anderen Räumen als Sebastiáns Wohnung, die oft nur kurz eingeblendet werden und sich, gerade bei der sonst so elegant-ruhigen Erzählweise des Films, nicht immer ins Bewusstsein des Zuschauers einprägen können, findet ein augenblicklicher, scheinbar nur durch die Präsenz der beiden Protagonisten bestimmter Austausch statt. Losgelöst von der anfänglich sorgsam etablierten Location der Zusammenkunft zwischen Martín und Sebastián, verwischt die Zeichen- und Bildsprache von Ausente allmählich.

Ausente  5

Es sind genau diese Momente, die Ausente zu etwas Besonderem, bildsprachlich Vagem und zugleich Schillerndem stilisieren. Die Kamera wird permanent personifiziert, nimmt das Sichtfeld der Protagonisten ein. Sie ist es, die das lockere, sich zum Ende hin verlaufende Drehbuch auffängt und in eine mustergültige Form bringt. Sie vermag die Unsicherheit der Figuren in ihren oftmals nur angedeuteten Bewegungsläufen stimmig zu transportieren. Close-ups fangen das Angesicht des jeweiligen Gegenübers häufig nur in einzelnen Partien ein, die daraufhin zögerlich zur Seite des Bildrands entschwinden; Schwenks um Türen und andere Objekte wirken wie ein vorsichtiges Suchen nach dem richtigen Zeitpunkt, um herbeigesehnte Taten Wirklichkeit werden zu lassen. Doch die Vollendung in Aktionen wird bewusst ausgeblendet. Martín und Sebastián sind zwei Menschen, die zu Beginn zufällig – durch den Moment des Augenblicks bestimmt – zueinander gefunden haben und ebenso latent wieder voneinander weichen müssen. Die letzten Einstellungen wirken noch viel offener als der jede Kohärenz verweigernde Rest des Films. Es bleibt dem Zuschauer letztlich selbst überlassen, ob er die Andeutungen und bruchstückhaften Bilder zu einem Ganzen zusammensetzen mag. Der Film tut dies nicht. 

Neue Kritiken

Trailer zu „Ausente“


Trailer ansehen (2)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.