Transit – Kritik

Zum ewigen Dasein auf der Durchreise verdammt. In Christian Petzolds Adaption von Anna Seghers’ Exilroman Transit ist Marseille kein realer Ort, sondern ein Fegefeuer, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr voneinander trennen lassen. 

Und plötzlich kommt eine Stimme aus dem Nichts. Es wirkt wie ein kleiner Schock, wenn in Christian Petzolds neuem Film etwa nach einer Viertelstunde jemand aus dem Off spricht. Ebenso wenig wie man weiß, wen man da hört, ist erst einmal auch unklar, was da eigentlich erzählt wird. Die Stimme setzt ein, als sich Georg (Franz Rogowski) auf der Flucht vor den deutschen Truppen befindet und das Manuskript des verstorbenen Schriftstellers Weidel liest. Man überlegt kurz, ob sie dem Autor gehört und somit den Inhalt des Textes wiedergibt, aber dann fällt auf einmal Georgs Name. Wenig später erfahren wir, dass sie auch keinem übergeordneten Erzähler gehört, sondern einer Perspektive innerhalb der Handlung entspringt. Aber um wen es sich bei diesem Ich handelt, wird erst sehr viel später enthüllt. Vielleicht ist das aber in einem Film, in dem sich mehrmals Menschen und Worte voneinander lösen, in dem nichts fest verortet und alles in der Schwebe ist, am Ende auch gar nicht so wichtig.

Von der Vorlage entfernen, aber sie doch in den Film ragen lassen

Das Voice-over ist hier kein Mittel, um die literarische Qualität aus Anna Seghers’ Anfang der 1940er Jahre im Exil geschriebenen Roman Transit in das Medium Film zu importieren. Schon allein, weil es dafür viel zu inkonsequent eingesetzt wird. Teilweise doppeln sich Bild- und Tonspur etwa nur, dann wieder teilen sie sich in zwei verschiedene Versionen desselben Moments. Wir hören davon, wie sich jemand angeblich übers Auge streicht, und sehen zugleich, wie er genau das nicht macht. So als wollte uns Petzold in diesem Augenblick sagen, dass er sich von der Vorlage entfernt, Seghers’ Roman aber trotzdem noch in den Film ragen lässt.

Transit erzählt, wie Georg versucht, Europa hinter sich zu lassen, während er noch als Illegaler in Marseille festsitzt. Als sich die Möglichkeit ergibt, Weidels Identität anzunehmen und mit einem Visum nach Mexiko zu reisen, trifft er auf Marie (Paula Beer), seine Frau. Georg verliebt sich in sie, erzählt ihr aber nichts von seinem Vorhaben. Marie überlegt unterdessen, mit ihrem Geliebten (Godehard Giese) selbst das Land zu verlassen, aber die Ungewissheit über das Schicksal ihres Gatten hält sie.

Diese Unentschlossenheit spielt im Film eine bedeutende Rolle. Nie sind die Figuren angekommen, sondern zu einem ewigen Dasein auf der Durchreise verdammt. Obwohl klar ist, dass sich die Handlung auf die Besatzung der Nazis bezieht, wählt Petzold dafür, anders als noch in seinem letzten Film Phoenix (2014), keine historische Kulisse, sondern ein mehr oder weniger zeitgemäßes Land mit Wolkenkratzern, Graffitis und Flatscreens. Und wie man es von diesem Regisseur kennt, spannt er darüber ein Netz aus Referenzen, die von der aktuellen Flüchtlingskrise bis zu einer an George A. Romeros Zombie-Evergreen Dawn of the Dead (1978) angelehnten Kapitalismuskritik reichen. So wie die Figuren selbst ein wenig wie Untote wirken, immer etwas abwesend, so ist auch das Marseille im Film kein realer Ort, sondern ein Fegefeuer, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr voneinander trennen lassen.

Unlösbares Dilemma

Transit ist ein klug durchkonstruierter, von allem inszenatorischem Tamtam befreiter Film über die Unfähigkeit zu vergessen. Dass er trotz seiner Kargheit in der zweiten Hälfte auch als Melodram funktioniert, liegt daran, dass er die Gefühle der Figuren direkt aus seinem Gedankenspiel entwickelt und das Provisorische des Flüchtlingsdaseins auf eine Liebesgeschichte überträgt. Einmal wird im Film die Frage aufgeworfen, ob es bei der Trennung der Verlassene oder der Verlassende ist, der länger an der zerbrochenen Beziehung zu knabbern hat. Und anders, als man vielleicht erwarten würde, entscheidet sich der Film für Letzteres. Wie verflucht laufen die Figuren durch die Straßen, jagen ihren längst verschwundenen Ex-Partnern nach, gefangen in einem endlosen Loop unerfüllten Begehrens. Wenn sich Marie weder von dem alten Partner lösen noch sich auf den neuen einlassen kann, dann schwingt dabei auch die Misere einer Migrantin mit, der es das Heimweh unmöglich macht, woanders ein neues Leben zu beginnen. In Transit bleibt dieses Dilemma unlösbar. Ganz dem Abspannlied der Talking Heads entsprechend, führt der Weg, auf dem sich die Figuren befinden, deshalb auch ins Nichts.


Neue Kritiken

Trailer zu „Transit“


Trailer ansehen (1)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.