Zeit zum Totschlagen: Oberhausen und Games im Kino
Die größte Entertainment-Industrie unter der Lupe einiger ihrer größten Fans: Das Thema der 69. Kurzfilmtage Oberhausen widmet sich aus Games entstandenen Filmen. Die sind natürlich ideologiekritisch, machen aber ganz sicher nicht süchtig.
Eine Gefahr umweht Kurzfilme ohnehin, und Games, die man selber nicht spielt, ganz besonders: Sie dauern zu lang, sie wiederholen sich, sie machen nur Sinn im Modus der Sucht. Und doch: Das spannendste Programm in Oberhausen widmete sich Filmen, die aus Games stammen.

Machinima heißt das Genre, das es seit rund 30 Jahren gibt und das bei den 69. Kurzfilmtagen Oberhausen unter dem Titel „Against Gravity: The Art of Machinima“ gewürdigt, ausgeleuchtet und auseinandergenommen wurde. Das beste Programm fand gleich zu Beginn statt: In einer Performance des Videogame-Künstler*innenkollektivs Total Refusal durften wir sechs Gamer*innen dabei zuschauen, wie sie uns durch die nach Los Angeles modellierte Stadt Los Santos führen – im Videospiel GTA 5. Es ist eines der beliebtesten Spiele unter den Menschen, die aus Games Filme machen. Das österreichische Kollektiv nutzte das, um, im Kino sitzend, die Leinwand im Rücken, den PC vor sich, eine Übersicht zu verschaffen über einige der interessantesten Arbeiten, die in diesem Genre entstanden. Wo Maschinen auf Cinema treffen.
Die unsichtbare Matrix

Gemein ist diesen Arbeiten, dass sie den Fehler im System suchen, das Ende des konzipierten Spiels oder die unsichtbare Matrix erkunden wollen. Der jüngste Film von Total Refusal selbst, Hardly Working, der 2022 in Locarno ausgezeichnet wurde, ist ein gutes Beispiel dafür. Er taucht ein in die Welt des Spiels Red Dead Redemption 2. Statt aber zu zeigen, wie dort gespielt wird, welche Ziele verfolgt werden und mit welchen Mitteln der Rush zum Sieg entsteht, ist dies ein Film monumentaler Entschleunigung, bei dem man niemals auf die Idee kommen würde, dass es sich bei dem Spiel um ein Action-Adventure handelt, und um eines der erfolgreichsten Games überhaupt, das über 45 Millionen Mal verkauft wurde.
Total Refusal, die sich selbst als pseudo-marxistische Medienguerilla bezeichnen, interessieren sich in ihrem Kurzfilm für die NPC, die non-playable characters, also Figuren, die man nicht spielen kann, sondern die im Hintergrund die virtuelle Welt bevölkern. Das Proletariat des Games. Begleitet von einem pseudo-philosophischen Off-Kommentar, werden die Absurditäten und Lässlichkeiten in der Konstruktion dieser Hintergrundfiguren in den Blick genommen: Wie ein Zimmermann Nägel einschlägt in einen Steg am Ufer, tagein, tagaus, ohne dass er jemals Fortschritte macht. Wie eine Frau einen Weg kehrt, der immer staubig bleibt … Im Kinosaal in Oberhausen hatte eine Frau im Publikum jedenfalls einen Lachanfall.
Wenn das Kämpfen scheitert

Nicht nur dem Kollektiv, sondern vielen der Machinima-Filmemacher*innen geht es darum, zu offenbaren, welche Gedankenwelten und Ideologien durch die Spiele hindurchwirken. Einen besonders plastischen Eindruck davon vermittelt etwa Why Don’t the Cops Fight Each Other? (2021) von Grayson Earle. Earle selbst nennt ihn einen Desktopdokumentarfilm, ein Genre, das es im Kinobereich nicht zuletzt durch die Arbeiten von Kevin B. Lee (Transformers: The Premake, 2014) zu einiger Bekanntheit brachte. Aus der Perspektive seines Desktops also etabliert Earle zunächst GTA 5 als Spiel, in dem es möglich ist, Figuren zu programmieren und ihnen alle möglichen Aufgaben zu geben. Sodann versucht er, unterschiedliche Figuren gegeneinander kämpfen zu lassen.
Das klappt tadellos, die 3D-Modelle fallen vom Himmel und schlagen aufeinander ein. Doch als er versucht, zwei Polizisten gegeneinander kämpfen zu lassen, stößt er auf einen Bug. Oder ist es ein Feature? Sobald zwei Polizisten den Befehl haben, sich zu prügeln, laufen sie panisch in entgegengesetzte Richtungen. Was hier wohl die Programmierer*innen angetrieben hat? Schlagen Cops lieber Dritte als einander? Ist es ein heimlicher Kommentar zur bündnerischen Kollegialität unter Gesetzeshütern?
Künstlich generierte Naturschauspiele

In manchen Filmen, wie The Grannies von Marie Foulston, wird es elegisch schön: Auch hier geht es darum, ein Spiel subversiv zu erweitern. In dem Film gelingt es den Spieler*innen jenseits der spielbaren Welt von Red Dead Online anzukommen, stundenlang von einem Berg zu fallen, in einer poetischen Wirklichkeit schließlich die Berge von unten zu sehen, bis sie in einer Art Ozean landen und ertrinken. The Grannies ist nicht der einzige Film, der in einem Game nach Naturschauspielen Ausschau hält. Schon in der Performance von Total Refusal zu Beginn stand der Blick in den Sonnenuntergang an prominenter Stelle. Ohnehin ist Kontemplation eines der beliebten Mittel in den gezeigten Filmen. Another Day of Depression in Kowloon (2012) von Ip Yuk-Yiu zeigt zum Beispiel ein Erweiterungspack von Call of Duty: Black Ops in einer Form, die glatt als Hommage an James Benning durchgehen könnte: Unendlich lange Bilder leerer Landschaften folgen aufeinander ohne Pointe.

Die Kunstform Machinima speist sich aus der unbändigen Leidenschaft der Filmemacher*innen für die Spielewelten, auch aus ihrem Witz und Charme. Mit der Wiederholung ähnlicher Motive und Methoden wird im Machinima-Programm dabei immer deutlicher, dass es in diesen Filmen gar nicht um die Vermittlung der Games geht, sondern vor allem darum, sich als Gamer*innen zu inszenieren. Fast alle zeugen gleichermaßen von großer Kennerschaft und der Lust, hinter die Fassade zu blicken, die Oberflächen zu verlassen. Was dabei regelmäßig zu kurz kommt, was sich vermutlich nicht übersetzen lässt, ist der Kern der Kunstform, die die Games selbst sind: ihre Zeitlichkeit. Es ist eine völlig andere als die des Kinos, erst recht des Kurzfilms. In ein Videospiel bohrt man sich hinein, egal wie linear die Fortschritte sind. Sie sind ein Mittel, die Zeit zum Verschwinden zu bringen, in einem Sog, der tatsächlich ganz andere Dimensionen hat, wo das Wort Immersion einen Kern trifft.
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