Wundervoll grässliche Bilder: Fantasy Filmfest White Nights
Livestream-Leichenschänder im Dark Web, Dämonen in der Pampa und ein Mann gegen eine Biber-Armada. Die Fantasy Filmfest White Nights bieten spektakulärste Prämissen, lösen ihre Versprechen aber nicht immer ein.

Red Rooms von Pascal Plante ist auf dem Papier erstmal eine weitere Variante von „Wie wir heute leben“, aber in seiner Form und seinem Sujet doch näher dran als andere. Ludovic Chevalier (Maxwell McCabe-Lokos) kidnappt ein dreizehn-, ein fünfzehn- und ein sechzehnjähriges Mädchen, sperrt sie in seinen Keller ein. Er foltert, vergewaltigt und ermordet sie und verstümmelt ihre Leichen. All dies im Livestream in so gemunkelten Red Rooms, privaten TOR-Servern (aka das „Dark Web“), in denen Leute viel Geld zahlen, um ihre Fantasien zu sehen und noch mehr, um diese zu beeinflussen. (Red Rooms sind soweit noch eine urban legend.) Doch Chevalier ist zu Beginn der Filmhandlung bereits gefasst und wird jetzt medienwirksam verurteilt. Der Prozess findet in einem weißen, architektonisch sterilen Gerichtsraum statt und ist für die Öffentlichkeit freigegeben. Kelly-Anne (Juliette Gariépy) schläft jede Nacht in einer Seitengasse nahe des Justizgebäudes, um einen der begehrten Plätze zu bekommen.

Red Rooms ist zuerst wenig daran interessiert, Kelly-Annes Verhalten zu verstehen oder ihre Motivationen zu erklären. Lieber folgt ihr Plante mit seiner Kamera und spielt mit Gariépys alles durchdringendem Blick. Ein Film, in dem jeder erstmal ein Subunternehmer ist, ob gewollt oder durch Zufall. Kelly-Anne sieht die Welt mit einer gewissen moralischen Gleichzeitigkeit: Aerobicvideos existieren screen-to-screen neben einem geplanten Hauseinbruch. Es ist die Visualisierung dieses Spagats, die Red Rooms so interessant macht, und medientheoretische und –philosophische Anknüpfpunkte bietet. Wenn Plante gegen Ende des Films beginnt, diesen Spagat zu schließen – ein Akt des Narzissmus wird zum performativen Altruismus – langweilt es etwas, da Amoralität in aller Regel filmisch produktiver ist als Genugtuung fürs Publikum. Auch formal entgleitet ihm der Film etwas, schmückt sich zu sehr mit aufgezwängten Thrillerelementen und künstlich hochgehaltener Paranoia. Aber das Gerüst ist ein starker Gesprächsstarter.
Absolute Gewalt und satanisches Kino

Alle Jahre wieder wird eines der Ur-Genreszenarien des Kinos – ein Ort, ein paar Fremde, eine Tasche Geld – von einem Debütanten neu inszeniert. Francis Gallupis The Last Stop in Yuma County ist eine der gemäßigten Auslegungen davon, aber nicht weniger sicher und kontrolliert in seinem Ton. Der Cast ist gut, weder Jim Cummings noch Richard Brake oder Gene Jones spielen zu stark gegen ihre screen presence an. Cummings schafft es insbesondere immer wieder, seine generischen pretty boys in psychologische Tiefen zu stürzen, aus denen sie sich mit moralischer Hoheit hinauswieseln wollen. Gallupi schreibt jedem eine eigene, hervorstechende Frequenz ein und versetzt sein Ensemble dann in Schwingung. Die Temperatur ist eine trockene, in den Hals kriechende Hitze. Der Dialog nicht zu überschrieben, die Gewalt, wenn sie kommt, so absolut wie die Moral klar und scharf.
Das Highlight und Centerpiece des Festivals war When Evil Lurks, der neue Film von Demián Rugna (Terrified), der hier wie alle anderen seine Deutschlandpremiere feierte, aber auch von Indeed Film in die Kinos gebracht wird. Der Film eröffnet mit Mündungsfeuer in der Pampa, das die Brüder Pedro (Ezequiel Rodríguez) und Jimi (Demián Salomón) erst zu einer zerstückelten Leiche führt und dann zum Haus einer indigenen Familie, die sich illegal auf dem Land niedergelassen hat. Einer der Brüder ist von einem Dämon besessen, der langsam verrottende Körper aufgebläht wie ein eiternder Ballon.

Wie in jedem christlich geprägten Horror gibt es Regeln und Rituale, die einzuhalten sind. Hier sind sie jedoch durch eine Unwissenheit verzerrt, deren Ausmaß und Anwendung unklar bleiben. Das Ergebnis ist eine Art von Bourgeoisie-Hysterie wie sie Ron Ormond und Estus Pirkle nicht besser inszenieren könnten. Der Fluch kommt aus dem Unterdrückten und frisst sich durch alles, was eine rechts-konservative Ideologie vorgibt, beschützen zu wollen: Mütter, Kinder, die Älteren und sogar Behinderte. Alle Kirchen Argentiniens sind abgebrannt, und was an Glauben da ist, irrt orientierungslos durch den Äther und vermischt sich mit dem Mythologischen. Stark vereinfacht ist christliches Kino immer darum bemüht, formale und ontologische Ordnungsstrukturen zu finden, während satanisches Kino diese negiert. So auch hier, was zu genau drei wundervoll grässlichen Bildern führt: Ein Hund, der sich in den Kopf eines Kindes verbeißt; eine Mutter, deren Finger mechanisch durch die Schädel ihres Kindes wühlen und das Gehirn auslöffeln; das Haar der Großmutter, das aus dem Mund des Sohnes gewürgt werden muss.
Das Problem ist, dass diese theoretische Unschärfe nicht immer effektives Kino generiert. Der Ton bleibt eine konstante Beklemmung, aber während jemand wie Lucio Fulci diese oft in scharfe und in ihrer theologischen Gewalt absolute Bildern ausbrechen lässt, bleibt es hier beim Familienalbum. Der Fluch arbeitet sich dezidiert durch Pedros Leben, frisst sich langsam durch die Generationen. Pedro ist allerdings auch die Art von Mann, die alles, was ihm zustößt selbst verschuldet, um sich dann im eigenen Rollenversagen zu suhlen. Das soll wohl sinnbildlich für gewisse rechte Minderwertigkeitskomplexe und Maskulinitätskrisen stehen, erschöpft sich aber als Kino schnell.
Wechsel zu Team Biber

Der Rausschmeißer dieses Jahr war Mike Chesliks Hundreds of Beavers (Tagline: Possibly Thousands), den man sich als eine Loony-Toones-Adaption von dem Spiel Don’t Starve vorstellen muss, indem ein Pelzjäger (Ryland Brickson Cole Tews) sich durch eine Armada an Bibern (und Hasen und Wölfen und zwei Stinktieren) jagen muss – alle sehr expressiv in Tierkostümen gespielt. Ästhetisch geht das runter wie eine Lightbier-Version von Guy Maddin. Cheslik spielt oberflächlich mit der Ästhetik von Stummfilmen, ohne dies wirklich ästhetisch, formal oder rhythmisch erforschen zu wollen, was schade ist. Was nicht in das sehr schmale Budget passt, wird einfach animiert oder in den Frame gezeichnet, was der Kreativität keine Grenzen mehr setzt. Die Jokes selbst sind clever, aber penibel in ihren Strukturen. Das magische Dreieck Setup-Punchline-Callback erstreckt sich oft über die Akte und nimmt in der Intensität konsequent zu, wird aber auch immer und immer (und immer) wieder angespielt, sobald ein funktionierender Witz gefunden wurde. („WOHOOO!“) Das Repetitive dieser Prämisse ist immer in die Jokes einkalkuliert, löst aber trotzdem nicht das Problem, dass mir das Leben, Leiden und der wachsende Sadismus des Pelzjägers irgendwann egal wird und ich zu Team Biber wechseln will.
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