Wir sind nicht Toni Erdmann

Es wird doch keiner sagen „Wir sind Palme“, oder etwa doch? Was der Cannes-Erfolg von Maren Ades Komödie Toni Erdmann bedeutet und was nicht.

Toni Erdman 02

Es ist ganz einfach und leuchtet fast jedem ein: Der Erfolg von Toni Erdmann ist der Erfolg von Toni Erdmann. Das heißt:

  1. Nein, „wir“ sind nicht „wieder wer“. Maren Ade ist wer, war sie aber schon vorher.

  2. Cannes ist nicht die Champions League des Kinos. Fußballmetaphern nutzen nur dem Fußball, nicht dem Kino.

  3. Weder missachten die Verantwortlichen des Festivals von Cannes deutsche Filme, noch ignorieren sie deutsche Filme. Das Zusammentreffen ihrer Erwartungen und Loyalitäten mit den passenden (fertigen) Filmen und der adäquaten Konkurrenz ist selten. Das ist kein Hexenwerk, aber von so vielen Zufällen abhängig, dass sich daraus mehr Verschwörungstheorien als sinnvolle Handlungsanweisungen (wenn überhaupt) ableiten lassen.

  4. Toni Erdmann wird das deutsche Kino nicht retten. Die Vorstellung, dass einzelne Leute oder Filme, noch dazu von oben, irgendetwas für alle besorgen können, ist unglaublich autoritär und obrigkeitshörig. Das hat in der Kunst nichts zu suchen.

  5. Toni Erdmann ist kein Ausreißer. Das deutsche Kino ist schließlich (zum Glück) nicht uniform. Das soll die Qualitäten von Ades Film nicht schmälern, denn er ist besonders. Aber warum sollten die Vergleichswerte bloß deutsche sein?

  6. Toni Erdmann kam nicht „aus dem Nichts“, sondern ist ein am Kino geschulter, von einer (internationalen) cinephilen Entourage unterstützter Film.

  7. Toni Erdmann ist mit der Hilfe von sehr vielen Partnern und Förderern entstanden. Erfahrungsgemäß bedeutet das, dass sich sehr viele ein (jeweils geringeres) Risiko geteilt haben. So haben also auch alle Förderer einen geringeren Verdienst an dem Erfolg.

  8. Der Erfolg bedeutet kein „Na geht doch, weiter so!“

  9. Der Erfolg bedeutet kein „Jetzt muss alles anders!“

  10. Toni Erdmann darf all jene inspirieren, die sich davon gerne inspirieren lassen und zu denen der Film spricht (das dürften viele sein). Eine Verpflichtung zur Erdmannisierung wäre selbstverständlich ein Graus.

  11. Der Film kann durchaus ein Modell sein: Künstlerische Erfolge, die das Publikum ja nicht ausschließen in ihrer Wirkung, fußen auf der Zeit, der Geduld und der Freiheit der Filmemacher. Die haben sich Maren Ade und ihr Team genommen (und zum Teil natürlich auch bekommen), und sie haben das zu nutzen gewusst.

  12. Bei Toni Erdmann sind die Sorgfalt und produktive Spannung in fast jeder Einstellung zu spüren. Das ist wirklich selten und zeigt: Auch „kleine“ Kinofilme benötigen ein ordentliches Budget und vernünftige Arbeitsbedingungen.

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Kommentare zu „Wir sind nicht Toni Erdmann“


Jürgen Briem

"Weder missachten die Verantwortlichen des Festivals von Cannes deutsche Filme, noch ignorieren sie deutsche Filme", schreiben Sie. Ich bin mir da nicht so sicher. Zumindest ist es schon auffällig, dass Filme "made in Germany" quasi systematisch leer ausgehen, - es sei denn, der Regisseur heisst Wim Wenders und spricht so exzellent Französisch wie er. Aber hieraus abzuleiten, dass dahinter immer eine Art lange und mächtige Hand der französischen Cannes-Veranstalter steckte, das ginge sicher zu weit. Im aktuellen Missgriff-Fall einzig tröstend ist, dass auch die französische Filmkritik (Libération, Le Monde) die Nichtwürdigung von "Toni Erdmann" kritisiert. Und dass dieser Film mit Sicherheit auch ohne eine Palme aus Cannes seinen Weg in die Kino-Säle finden wird, - wahrscheinlich sogar weltweit, nach allem, was man bislang über diesen Film lesen konnte.


Frédéric Jaeger

Ich erinnere mich, finde das Interview aber gerade nicht mehr, gelesen zu haben, dass Thierry Frémaux zu Beginn des Festivals im Interview "Toni Erdmann" als einen von zwei Lieblingsfilmen des Wettbewerbs bezeichnet hat. Aber natürlich sind auch solche Äußerungen mit Vorsicht zu genießen, sie können auch strategisch sein. Soweit ich weiß, handeln die Jurys aber tatsächlich weitgehend autonom, Druck und Einflussnahme gibt es freilich (fast) immer und überall, wo es um etwas geht. Und ich sehe das ganz genauso wie Sie, was den Weg in die Kinos angeht, kann mir sogar vorstellen, dass "Toni Erdmann" davon international profitieren wird, der von der Jury übersehene Film des Jahres zu sein.


Luitpold

Deutsche Filme sind halt mtlecht - selbst dann, wenn sie gefeiert werden. Natürlich gibt es Tykwer und Wenders und vielleicht noch ein paar andere Ausnahmen. Aber aufs Ganze gesehen bleibt Deutschland Tatortland. In jeder Hinsicht.


José García

Punkt 2: Mit dem ersten Satz bin ich einverstanden. Mit dem zweiten nicht so sehr. Schönen Gruß und Danke für den ausführlichen Artikel.






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