Wir können auch anders! Aber auch besser?

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Kommentare zu „Wir können auch anders! Aber auch besser?“


Jaguar

Der Autor schreibt (bzw. Brüggemann sagt):

"Vorletztes Jahr räumte Oh Boy (2012) bei den Filmpreisen ab, dieses Jahr war Sebastian Schippers Victoria (2015) angesagt. Mal ist der Impro-Film in aller Munde, dann ein in einer einzigen Kameraeinstellung gedrehter 140-Minuten-Film."

Kein gutes Beispiel, denn auch in VICTORIA waren ja die Dialoge improvisiert.


Thomas Groh

Ich fürchte, dass André hier eher auf Grundlage als allgemeingültig angesehener, filmhistorischer Zuschreibungen (hinter denen seinerzeit eben auch ein Interesse stand) argumentiert und weniger anhand einer konkreten Auseinandersetzung mit der BRD-Filmgeschichte, die sich weit weniger eindeutig sortieren lässt als dies üblicherweise angenommen wird . Dennoch finde ich es wichtig, diesem weitverbreiteten, aber ziemlich unterkomplexen Narrativ "Hier die robusten Handwerker, die von den Edel-Intellektuellen aus dem Kino gedrängt wurden" etwas Substanz entgegenzusetzen. Allerdings fehlt mir da auch ein wenig die ökonomische Argumentationsgrundlage - bei André sieht es so aus, als gäbe es da lauter souveräne Player im Feld, die über Kino diskutieren und eigene Filme drehen und damit plötzlich den Betrieb besetzen. Von ein bisschen Debatte auf einem Podium in Oberhausen ist aber noch kein Atze Brauner ins Fernsehen geschoben worden.

Ohne das in seinem Effekt brutale Kinosterben in den 60er Jahren ist der Niedergang des deutschen Genrefilms aber kaum zu verstehen: Er verlor binnen weniger Jahre schlicht und ergreifend sein Publikum und Geschäftsmodell. Mit dem Neuen Deutschen Film, der zwar ein paar Kassenhits vorweisen konnte, aber wirtschaftlich schlussendlich im Kino eher am Rande stattfand und zum nicht völlig unwesentlichen Teil im Fernsehen, hat das wenig zu tun. Ein Grund,warum vor allem auch die Altbranche viele Jahre die Einführung einer Filmförderung vehement eingefordert hat (und auch zunächst deren privilegierte Nutznießerin war, als die dann mal kam). Dass der deutsche Genrefilm und dessen Handwerker in den 70ern dann in den Sexfilm abwanderten, lag nicht zuletzt daran, dass sich in der gerupften Kinolandschaft damit eben noch Geld machen ließ - was mit der De-Facto-Legalisierung von Pornografie (und sowieso mit deren Nutz-Privatisierung mit Video in den 80ern) schließlich auch bald gegessen war.
(Facebook-Kommentar mit Erlaubnis von Thomas Groh hierher kopiert.)


Rainer Knepperges

Lustig wie ausgiebig ich da zitiert werde, und komisch wie viele der Zitate falsch sind. „In einem Atemzug“ nannte ich Große Freiheit Nr.7 und Opfergang, weil ich sie beide als Student mal im Seniorenkino sah. Ich sprach allerdings von Peter Pewas und Käutner, als ich die Möglichkeit umriss, ab 1943 sei die Erwartung des Friedens - nach einem absehbar und glücklicherweise verlorenen Krieg - der Ansporn gewesen für eine Reihe außergewöhnlicher Filme. Der „eine Atemzug“ entstand wohl erst beim Berichterstatter im Moment des Falsch-Erinnerns.
Wichtiger als die fiesen kleinen Entstellungen ist mir aber etwas, was ich sagte, was aber überhört wurde: Das Todesurteil von Oberhausen traf auch die Filme der Remigranten - und trifft sie bei jedem Nachbeten erneut. Langs Indienfilme sind schön, fanden die jungen Franzosen. Walter Reischs Cornet ist es ebenso. Und auch Wisbars Haie und kleine Fische. Und Lorres Verlorener. Und Siodmaks Mein Vater der Schauspieler. Und und und. Vor Oberhausen soll partout nichts gewesen sein. Ich frage mich, warum es sein muss, den Golden Globe für Wickis Brücke aus der Erinnerung zu löschen - nur wegen Kluges programmatischem Abschied von Gestern? An der internationalistischen Filmographie eines Peter von Eyck muss einer, der diesem Marschbefehl folgt, irgendwie vorbeischauen. Verletzt die nie abgeschlossene Umerziehung der Deutschen durch die Popkultur der Alliierten immer noch vaterländische Gefühle? Ist das „die aktuelle Geschichtsvergessenheit“, wenn man das ewige Endlich-Sind-Wir-Wieder-Wer ein wenig belächelt?


Dominik Graf

Zitat von oben: "....Er sieht seinen Kostümfilm Die geliebten Schwestern (2013) um Friedrich Schiller und die Geschwister Lengefeld als einen Schritt auf diesem Weg zur Rehabilitation...."
Sehr geehrter Herr André. Ich habe mich in Köln zu meinem Film "die geliebten Schwestern" auf dem Podium in Köln selbst gar nicht geäussert. Sie unterstellen mir, ich hätte mich quasi neben meinem "Wehklagen" über die verlorenen Genres gleich noch als Regisseur und Autor selbst lobend ins Spiel gebracht? Das ist eine höchst erstaunliche Verdrehung des Debatten-Vorgangs auf dem Podium.
mit freundlichen Grüssen dg


Michael André

Mit dem Erinnern ist es so eine Sache. Rainer Knepperges zählt in seiner Erwiderung viele Namen und Filmtitel aus den Nachkriegsjahren auf, die man selbst übelwollend nicht zu den schlechten Filmen zählen kann, die aber so und in dieser Ausführlichkeit in Köln nicht behandelt worden sind. Kurioserweise erwähnt er aber nicht den Namen Wolfgang Liebeneiner, der ihm in Köln als eine „Person gewordene Kontinuität des deutschen Films“ war. Diese Formulierung ist so wahr wie missverständlich. Wie so vielen anderen Künstlern der alten Ufa fiel es auch dem Regisseur des Euthanasie-Films „Ich klage an“ (1941) und des unvollendet gebliebenen Durchhaltefilms „Das Leben geht weiter“ (1945) in der Nachkriegszeit nicht schwer, seine Karriere fortzusetzen. Erst auf dem Theater, dann im Film, schließlich im Fernsehen. Unter anderem gegen diese fatale Kontinuität von alter Ufa zur Biederkeit der „Trapp-Familie“ (1956) und „Königin Luise“-Verfilmung (1957) sind die Oberhausener aufgestanden. Beim Thema Weltläufigkeit des deutschen Films führt Knepperges zu Recht Peter van Eyck an, in Köln nannte er den Musikfilm „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut“ (1965) mit dem schwarzen Trompeter Billy Mo in der Hauptrolle. Aber wer weiß: vielleicht zeugte diese Nennung auch nur von hintergründigem Sarkasmus für die hoffnungslose Piefigkeit des deutschen Internationalismus jener Jahre?
Zu Dominik Graf: Für ihn ist mit dem Aufkommen des Autorenfilm das „Melodram abgestorben“, worauf von anderer Seite seine „Geliebten Schwestern“ ins Spiel gebracht wurden. Er selbst hat keine Werbung in eigener Sache gemacht. Dafür hat er aber an anderer Stelle seine alte These in dem Bekenntnis zugespitzt: „Autorenfilm hat mich immer nur gelangweilt.“


Rainer Knepperges

Richtigstellungen geben nur weiteren Anlass zu Falschzitaten und Unterstellungen, deshalb so knapp wie möglich: Liebeneiner, die Person gewordene Kontinuität des deutschen Films, erwähnte ich lediglich, weil er Ehemann von Hilde Krahl war, die es 1954 vorzog sich ihren Wunschfilm, Die Mücke, vom Amerikaner Walter Reisch schreiben und inszenieren zu lassen. Ich fand, der überstrapazierte Begriff des Autorenfilms verstelle den Blick darauf, dass Hauptdarstellerinnen die Entscheiderinnen über Entstehen und Gelingen eines Films sein können. Die Hauptrolle in Hans Billians Tirolerhut spielt übrigens keineswegs Billy Mo. „Mit dem Erinnern ist es so eine Sache.“ So manche „hoffnungslose Piefigkeit“ ist auch nur im Kopf.


ulle

Was mich an dieser Diskussion (aus dem letzten Jahrhundert) nervt ist ein stetiges "vs Prinzip", das anhaftet . Warum muss man z.B. -ausgerechnet- ein hoch gebildetes Frankreich mit einem Maß an kulturellem Erhaltungstrieb, den es hier so nie gegeben hat mit dem deutschen neuen Nachkriegsfilmen ab Alex Kluge vergleichen wollen ? Wenn Graf, der tolle Filme macht und das rauf und runter, Autorenfilme langweilig findet, ist das ok, obwohl ich trotzdem genau so gerne "Autorenfilme" (was ist das übrigens genau ?) wie auch Andrea Shanelec oder Arslan gucke (Berliner Schule, echt ?) . Eine typische deutsche Nischendebatte, die aus ihrer Geschlossenheit und Borniertheit (gerade derjenigen, der sog Kritiker) nicht herausblicken kann und betriebsblind bleiben muss, um wieter zu diskutieren.

PS: Die Verdrehungen gegenüber Graf ist allerdings journalistisch ein ziemlich starkes Stück, lieber Michael Andre. Ein paar Eier , um sich einfach zu entschuldigen hätte ich für angebracht gehalten.


Lisa Gotto

Interessante Debatte! Ich bin allerdings keine Dramaturgie-Professorin, sondern Filmgeschichte-Professorin. Auch ein Stück Geschichtsvergessenheit. :-)


Frédéric Jaeger

@Lisa Gotto: Ich habe den Fehler korrigiert.


Lisa Gotto

@Frédéric Jaeger: Fein, danke!


Michael André

Zu Rainer Knepperges: Wer in seiner Erwiderung Peter von Eyck schreibt und dabei natürlich Peter van Eyck meint, sollte nicht so kleinlich sein, bei anderen einen Flüchtigkeitsfehler zu monieren. Billy Mo hatte keine Hauptrolle im „volkstümlichen Lustspiel“ der Bavaria, aber der Trompeter aus Trinidad gab dem „Tirolerhut“-Film Titel, Stimme, Musik und in einer Nebenrolle auch Zugkraft und samt einer Prise schwarzer Exotik.
Zu Ulle: Mein Artikel beklagt, dass es in Deutschland zu Zeiten des Autorenfilms keine oder viel zu wenige Produzenten gegeben hat, die wie in Frankreich etwa die Brüder Hakim jahrzehntelang den Spagat zwischen Kunst und Kommerz gewagt haben und – obwohl Alt-Produzenten – frühzeitig der Nouvelle Vague und Claude Chabrol zu einem ersten Publikumserfolg verhalfen.
Doch ich fände es gut, zu den Hauptsachen zu kommen. Die Veranstaltung in Köln war ein erster Schritt, sich über die Situation des deutschen Films, mit der wir alle tief unzufrieden sind, aus unterschiedlichen Gründen, zu verständigen. Das sollte auch streitbar möglich sein. Ich hoffe, es kommt Bewegung in eine erstarrte Situation.


Rainer Knepperges

Frédéric Jaeger lud mich mehrfach ein, auf critic.de die Vorwürfe Michael Andrés in einem eigenständigen Text zu beantworten. Die Kommentarspalte war und ist mir lieber, weil man hier - ohne Rücksicht auf gelangweilte Leser - nur die Robustesten, die Kommentarspaltenleser mit einem Dilemma belästigt, das aus Andrés Taktik erwächst: Eine von ihm mit Fleiß vollkommen falsch dargestellte Position ist es, gegen die er die scheinbar vernünftige Gegenposition bezieht. Dass mir endlos wirres Zeug wie „Sinn für deutsche Tradition“ in den Mund legt wird, ist höchst unangenehm. Aber auch für die beleidigende Verdrehung, die von Dominik Graf bereits benannt wurde, hat André eine wortkarge Rechtfertigung: Der Autorenfilm wurde angegriffen. Ja?

MÄDCHEN MÄDCHEN (1966 Roger Fritz) ist keine „Mädchen-Komödie“, wie André schreibt. Er kennt den Film nicht, hätte ihn an jenem Abend in Köln sehen können, erwähnt ihn auch nur in einem Satz, der über Artur Brauner stracks zu den Schulmädchenreports führt. Nach nochmaliger Verkündung der alten Schuldigen: Alt-Produzenten, gilt sein Schlusswort (hoffentlich ist's das) der „Situation des deutschen Films, mit der wir alle tief unzufrieden sind“. Ja? Sieht man die richtigen Filme, ist man nicht „wir alle“.


Michael André

Hallo Herr Knepperges,
diese Form des Schlagabtauschs langweilt mich. Da gibt es zu viele verletzte und verletzende Eitelkeiten. Schreiben Sie doch einen eigenen Artikel, wie er Ihnen von der Redaktion vorgeschlagen worden ist. Mit den Argumenten dieser Gegenposition setze ich mich dann gern auseinander. BG M. André






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