Wie im Fieber: Streaming-Tipps
Kribbelnde Ungeduld, prickelnde Gefahr, unsicheres Blinzeln: Drei Filme über erste Schwimmversuche im Haifischbecken der Liebe.
Fear – Wenn Liebe Angst macht

Es braucht nur einen verwegenen Blick von David (Mark Wahlberg) und schon ist es um die aus bestem Hause stammende 16-jährige Nicole (Reese Witherspoon) geschehen. In seinem grünen 1965er Chevrolet Corvair fährt er sie auf einen romantischen Hügel über den Dächern Seattles. Als sie wissen will, ob es sich dabei nicht um jenes Automodell handelt, das jederzeit explodieren kann, erwidert er: „It’s not her fault they didn’t put her together right“. Dabei geht es in diesem Moment weniger ums Auto als um David, der ebenso hübsch, sportlich und unberechenbar ist. Auch er, der als Waisenkind von einem Heim ins nächste abgeschoben wurde, hat eine Art Baufehler. Während er Nicole und ihre Familie immer mehr in seinen Bann zieht, wird lediglich Vater Steve (William Petersen aus Manhunter) bei all der sanft gehauchten Ritterlichkeit skeptisch.
James Foleys Thriller, der seinerzeit (auch von mir) eher belächelt wurde, besticht nicht nur durch seine elegante, von opulenten Kamerafahrten und Carter Burwells monumentalem Score veredelte Inszenierung, sondern auch durch seinen spielerischen Umgang mit Subtexten und visuellen Metaphern. Ein schönes Bild für die waghalsige, zunehmend auch bedrohliche Beziehung findet Foley etwa, wenn David die noch jungfräuliche Nicole ausgerechnet während einer Achterbahnfahrt zum ersten Mal fingert. Die prickelnde Gefahr, die von dem Kleinkriminellen ausgeht, übt eine magische Faszination auf das Mädchen aus. Auch weil sie nicht mehr „Daddy’s Girl“ sein will, wie es auf ihrem Armband steht.
Mehr noch als von Nicoles sexuellem Erwachen, ihrer Abnabelung von den Eltern und den ersten Schwimmversuchen im Haifischbecken der Liebe erzählt Fear von der Konkurrenz zweier Männer, die sie ganz für sich allein haben wollen. David, dessen wahnhafte Fixierung auf das Mädchen bald zerstörerische Kreise zieht, sehnt sich nicht nur nach einem besseren Leben als Schwiegersohn, er will Steve buchstäblich ersetzen. Als „Fatal Attraction for teens“ wurde der Film einst beworben, und tatsächlich kommt dem Vater hier eher die Rolle des Nebenbuhlers zu. Der Kampf um Nicole endet schließlich in einer brutalen Home Invasion. So wohlbehütet wie die Unschuld des Mädchens ist auch die modernistische Festung, in der die Familie haust. David, der nicht nur väterlicher Alptraum, sondern auch schlechtes Gewissen der oberen Mittelschicht ist, hat für beides den Zugangscode.
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Mädchen in Uniform

Schon während des mit Marschmusik untermalten Vorspanns stellt man sich unweigerlich einen mit strenger Gleichmäßigkeit wippenden Taktstock vor. Auch in den folgenden Szenen etabliert Regisseur Géza von Radványi einen eisernen Rhythmus: Nahtlos geht die Musik in das hektische Ticken einer Uhr über und gipfelt schließlich in einem Stundenschlag, der punktgenau auf das Öffnen einer Tür abgestimmt ist. Wir befinden uns in einem Potsdamer Mädcheninternat des Jahres 1910. Alles wird hier penibelst kontrolliert. Ständig müssen sich die Mädchen irgendwie symmetrisch anordnen und sich dem auf Disziplin und Verzicht basierenden Regiment der an einen preussischen Offizier erinnernden Direktorin (Therese Giehse) unterwerfen. Als Erinnerungsstützen prangen Leitsätze schwarzer Pädagogik an der Wand: „Wie die Zucht so die Frucht.“
Mädchen in Uniform (1958) ist die zweite Verfilmung von Christa Winsloes autobiografischem Theaterstück Ritter Nérestan und hat ungerechterweise einen nicht ganz so guten Ruf. Anders als die Adaption aus dem Jahr 1931 liegt der Schwerpunkt hier weniger auf der anarchischen Energie jugendlichen Übermuts als auf dem Ordnungsprinzip, das sie bezwingen soll. Als Manuela (Romy Schneider) nach dem Tod ihrer Eltern an diesen Ort kommt, bemerkt sie schnell, wie unordentlich es teilweise hinter der Fassade der autoritären Maschinerie zugeht. Mädchen prügeln sich hier nicht nur, sondern schreiben sich auch Liebesbriefe. Vernarrt sind die jungen Frauen aber vor allem in ihre sanftmütige Lehrerin Frau von Bernburg (Lilli Palmer). Wenn sie allabendlich den aufgereihten Mädchen ihren Gute-Nacht-Kuss gibt, wird das zum andächtig erotischen Ritual voller kribbelnder Ungeduld. Zwischen Manuela und Frau von Bernburg ist sofort eine besondere Intensität zu spüren, die Eifersucht und Intrigen hervorruft. Der Umtrunk nach einer Aufführung von Romeo und Julia lässt die Gefühle dann endgültig eskalieren.
Obwohl Lilli Palmer das menschliche Prinzip in einer Welt des Drills verkörpert, wirkt sie dabei auffällig adrett und fast puppenhaft schön. Immerhin ist sie dabei aber auch das unerreichbare Objekt der Begierde und damit auch die Erinnerung daran, dass diese Beziehung von Anfang an unmöglich ist. So gedeckt wie die Blau- und Brauntöne des Technicolor-Melodrams, so omnipräsent auch die Kontrolle über jedes Gefühl. Häufig entsteht durch das Zurückhalten eine besondere Spannung. Etwa wenn die von ihrer Leidenschaft komplett überwältigte Romy Schneider wie im Fieber monologisiert und Palmer trotz aller entschiedenen Abwehr ein kurzes Zögern und Zweifeln durchschimmern lässt. Dann entsteht eine Ahnung davon, dass diese Liebe an einem anderen Ort und unter einer anderen Ordnung vielleicht sogar eine Chance hätte.
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Offene Herzen

Zuhause ist die Rolle des 18-jährigen Remis (Yasmine Belmadi) klar definiert. Er kümmert sich dort um seinen kranken Vater und ist übermäßig streng zu seiner jüngeren Schwester. Sobald er jedoch nach draußen geht, entzieht sich der Junge klaren Zuschreibungen. Remi ist halb Araber und halb Franzose. Er besucht eher desinteressiert eine Wirtschafts-FOS, will aber eigentlich Schauspieler werden. Und vermutlich ist er schwul, obwohl er auch mit Frauen intim ist. Alles scheint für ihn in der Schwebe zu sein und nur darauf zu warten, dass er sich endlich festlegt.
Bevor Sebastien Lifshitz sich auf einfühlsame Dokumentationen über queere Biografien spezialisierte, drehte er diesen mittellangen Spielfilm. Offene Herzen (1998) hat zwar all die Zutaten für eine klassische Coming-out-Geschichte, läuft aber auf keinen Befreiungsschlag hinaus. Vielmehr besteht der Film aus dokumentarisch wirkenden, nicht immer chronologisch angeordneten Beobachtungen. Remi schwänzt die Schule, arbeitet in einem arabischen Späti, spricht bei einem Casting vor, hat erst Sex mit dem älteren Regisseur und später auch mit einer Straßenkünstlerin. Statt einem Anfang und einem Schluss sehen wir Fragmente einer nicht abgeschlossenen Suche.
Am schönsten ist Offene Herzen in seiner Ziellosigkeit, die immer auch das Potenzial für Veränderung in sich birgt. Etwa wenn sich der Streifzug durch ein Pornokino zu einer in diesem Umfeld unerwartet unschuldigen und höflich herantastenden Annäherung entwickelt. Oder wenn auf den vorsichtigen Outing-Versuch während einer Clubnacht keinerlei Reaktion folgt. Remi muss erstmal rumprobieren und sich mit seinen Wünschen und Ängsten konfrontieren. Hauptdarsteller Yasmine Belmadi bleibt oft ein Mysterium, setzt aber mit wenigen Regungen starke Akzente: einem unsicheres Blinzeln, den angespannt zusammengepressten Lippen und auch mal einem jungenhaften Kichern, bei dem sich für eine Sekunde alles zu lösen scheint. Offene Herzen zählt zu einer Handvoll Filmen, die zu Belmadis Vermächtnis wurden. 2009 kam der Schauspieler mit nur 33 Jahren ums Leben.
Bis 31.03.2021 in der Arte-Mediathek.
Mehr Streaming-Tipps gibt es hier.
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