Werner Herzog – 45 Jahre Arbeitsschaffen und kein bisschen müde
Studenten der Universität Regensburg haben im Rahmen eines Seminars zur Medien-Praxis das Filmfest München besucht und sich individuell oder in Kleingruppen den verschiedenen Sektionen gewidmet. Einige der Texte finden hier auf critic.de ihre Publikation.
Dem deutschen Regisseur wurde auf den 25. Filmfestspielen in München eine Filmreihe gewidmet, die „Werner Herzog Retrospektive“, um seine bisherige, außergewöhnliche Leistung als unabhängiger Freidenker im Filmgeschäft zu würdigen. Sein Schaffen umfasst schon mehr als 52 Filme, ein Ende ist längst nicht abzusehen. Sein neuester, Encounters at the end of the world, eine Art Science Fiction Film über die Eigenarten des Lebens in der Antarktis, steht kurz vor der Distribution, während Rescue Dawn, eine Spielfilmverfilmung der Dokumentation „Flucht aus Laos“, am 23. Juni. 2007 auf dem Filmfest Europapremiere feierte.
Besonders bekannte Filme seines Oeuvres dürften Aguirre, der Zorn Gottes (1972), Fitzcarraldo (1982), Nosferatu (1977) und Woyzeck (1979) sein. Die Hauptfiguren dieser Spielfilme verkörperte Klaus Kinski, ein eher für seine Bühnenausraster bekannter Schauspieler, der durch die Arbeitssymbiose mit Herzog als grandioser Darsteller in Erinnerung bleiben wird. Ihre Zusammenarbeit, die in eine ganz besonderen Hassliebe mündete, war für beide die erfolgreichste Periode ihres Schaffens (beschrieben in Mein liebster Feind (1999)).
Darüber hinaus hat der Workaholic Werner Herzog, der nie eine filmische Ausbildung genossen hat, einen Filmstudiengang in Amerika nach einer Woche enttäuscht abbrach, und lieber auf seine Instinkte vertraute, viele Talente. Nach eigener Aussage liebt er alles, was Film zu bieten hat: Drehbuchschreiben, Schauspielern und Regieführen. Außerdem schreibt er sehr persönliche Prosa, zum Beispiel sein Buch Vom gehen im Eis (1995), eine Erzählung über den Versuch, zu Fuß von München nach Paris zu kommen, um die im Sterben liegende Filmhistorikerin Lotte Eisner zu retten – durch Überzeugungskraft und Wegezoll. Oder Die Eroberung des Nutzlosen (2004), ein Buch, das Werner Herzog während des Fitzcarraldo Drehs schrieb. Es beschreibt, wie die schwierigen Umstände der Dreharbeiten dazu führten, dass seine „Aufgabe und die der Figur identisch geworden sind“. Seit 1985 ist er auch erfolgreicher Opernregisseur.
Zuallererst kann man ihn jedoch als Autorenfilmer bezeichnen. Auf die Frage, wo er seine Heimat sähe, sagte er kürzlich: „an den Drehorten“. Das allein zeigt schon, wie viel Persönlichkeit er in seine Filme einbringt und dass jedes seiner Werke auch ein Spiegel seiner selbst ist. Werner Herzog sucht immer den physischen Bezug zu seinen Filmen, verschreibt sich ihnen mit Haut und Haar. Diese hohen Ansprüche stellt er dabei nicht nur an sich: Von allen anderen Beteiligten erwartet er ein ebenso hohes Engagement, welches nicht selten die Grenzen der Erschöpfung übersteigt, wie das berühmte Beispiel Fitzcarraldo zeigt. Wie im Film ließ er den Flussdampfer wirklich von Indianern über den Berg transportieren, um diesen anschließend der zerstörerischen Strömung auszusetzen. Er ist experimentierfreudig und lässt Landschaften und Natur oft für sich sprechen, wie in Herz aus Glas (1976), dessen Einleitungsszenen traumhafte Landschaftsaufnahmen zeigen, die im Nebelspiel verschwimmen. Zusammen mit den hypnotisierten Darstellern, die unausweichlich ihrem Schicksal entgegenschlittern, entsteht etwas Traumhaftes, eine düstere Zukunftsvision. Viele seiner Dokumentationen und Spielfilme behandeln das Missverhältnis zwischen Mensch und Natur. Beispielsweise die Fehleinschätzung, Bären seien harmlose Tiere, mit denen man einen Lebensraum problemlos teilen kann, die Timothy Treadwell – porträtiert in Grizzly Man (2005) - das eigene Leben kostete. Das zerstörerische Verhältnis von Natur und Mensch, wie z.B. im Film La Soufriere (1977), in dem ein Vulkan vor dem Ausbruch steht, oder in Lektion der Finsternis (1992), der die durch Krieg verursachten brennenden Ölfelder Kuwaits zeigt, wird weiter auch in Herzog-Figuren behandelt, die ihre normale physische Grenze übertreffen wollen und an der Natur scheitern. Schrei aus Stein (1991) ist ein monumentaler Spielfilm, der von einer Gipfelbesteigung handelt und die Gefahren für den Menschen zeigt, der diese Naturgewalt überwinden will.
Alles andere als konventionelle Personengruppen bekommen bei ihm einen Platz zur Darstellung. Menschen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden, wie etwa Behinderte, bekommen in Dokumentationen wie Land des Schweigens und der Dunkelheit (1971) oder Behinderte Zukunft (1971), einem Bericht über ein Eingliederungsprojekt in München, das „Pfennigparade“ genannt wird, Herzogs Aufmerksamkeit. Oder auch psychotische Charaktere, wie der Fürst in Gesualdo (1995), werden von verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Seine Faszination für andere Kulturen und Religionen findet auch ihren Platz in einigen seiner Dokumentationen. Rad der Zeit (2002) und Wodaabe – Hirten der Sonne (1989) handeln vom Glauben und vom Ritual anderer Kulturen, sowie deren spezifischer Probleme.
Auf den ersten Blick erscheinen diese Themengebiete etwas unkonventionell – die Perspektive, die Werner Herzog vertritt, ist, dass Leben aus Extremen besteht, und dass das gewöhnliche Alltagsleben unserer korrekt sozialisierten Gesellschaft nur einem Vor-sich-Hinvegetieren gleicht. Er fordert auf, hinaus in die Welt zu gehen und Lebenserfahrungen zu sammeln, und das nicht nur als Filmemacher. Er selbst machte schon im Alter von 14 Jahren längere Reisen, und sucht auch heute noch nach extremen Erfahrungen an seinen ungewöhnlichen Settings in Alaska, Wüstenlandschaften oder im Dschungel. Viele seiner Drehorte fand er auf seinen Reisen.
Sein Ziel lässt sich als Erfahrung einer neuen Bildsprache formulieren, die es ermöglichen soll, über Gezeigtes zu reflektieren, was unsere Gesellschaft laut Herzog vergessen habe - in Anbetracht der Bildsprache des Fernsehens, die unsere Sprache und Gesellschaft zerstöre.
In Les Blanks Werk Werner Herzog eats his shoe (1980) isst Herzog wirklich einen seiner Wanderschuhe bis auf die Gummisohle auf. Eine Wetteinlösung Herzogs an seinen Freund Errol Morris, der mit Gates of Heaven (1980) einen Film verwirklichte, von dem Herzog dachte, er würde ihn nicht realisieren können. Gleichzeitig sollte der „Schuh-Verzehr“ zu Medienaufmerksamkeit für Morris Film führen, um einen Verleiher zu finden. Und als Ermunterung für Leute, ihre Ideen umzusetzen. Nicht Geld, sondern Ideen und Einsatz machen Filme – eine Regel, die Herzog uns konsequent vorführt.
Woyzeck (1978)
Sei es ein Bruno S. aus Stroszek (1976), der sich sozialen Verhältnissen ausgesetzt sieht, die ihm nicht angemessen sind und der daran zugrunde geht, oder ein Hias, der Seher aus Herz aus Glas, der von Visionen einer düsteren Zukunft heimgesucht wird – Woyzecks Ähnlichkeit mit anderen Herzog-Hauptfiguren ist kaum zu verkennen. Durch die „Stimmen der Natur“ geleitet, und in den Wahnsinn getrieben, steuert die Figur ausweglos in eine Tragödie. Die Personen selbst wissen meist selbst nicht, was mit ihnen geschieht – sie durchleben eine Gratwanderung zwischen triebhafter Natur und moralischem Verstand. Der Ausdruck in Woyzecks Augen während der ausgedehnten Mordszene zeigt dies eindruckvoll.
In einer kleinen Garnisonsstadt Mitte des 19. Jahrhunderts leistet der Füsilier Franz Woyzeck (Klaus Kinski) den aufreibenden Militärdienst unter seinem Hauptmann (Wolfgang Reichmann) ab. Um seine Freundin Marie (Eva Mattes) und sein uneheliches Kind zu ernähren, verdient er sich nebenher ein paar Groschen, indem er sich den medizinischen Versuchen seines Arztes (Wilhelm Semmelrogge) aussetzt. Der zermürbende Dienst-Alltag sowie die ärztlich verordnete Bohnen-Diät machen ihm schwer zu schaffen und treiben ihn an den Rand des Wahnsinns. Als Woyzeck erfährt, dass sich Marie auf den attraktiven Tambourmajor (Josef Bierbichler) eingelassen hat, ersticht er sie, und ertrinkt, das Messer suchend, dass er in einen Teich geworfen hat.
Werner Herzog nimmt sich mit Woyzeck des nur noch in Teilfragmenten vorhandenen Stückes Büchners an, und inszeniert es als beinahe peinlich genaue Adaption. Gerade, weil er sich sehr eng an der literarischen Vorlage orientiert, wirken die Szenen oftmals wie die Inszenierung auf einer Bühne – Herzog verwendet kaum Schnitte, sondern wählt bewusst extrem lange Einstellungen, welche zum größten Teil aus der Totalen gezeigt werden. Mit der sehr distanzierten Kameraführung und einem Minimum an Bewegung fasst Herzog den Handlungsablauf in stark komprimierter Weise, Szene für Szene, zusammen. Im Mittelpunkt des gesamten Films soll einzig und allein der Text von Büchners Meisterwerk stehen. Inhaltlich gibt es kaum Abweichungen vom Originalstück. So steht augenscheinlich auch der ästhetische Anspruch des Films im Hintergrund – die Schauspieler sind die tragenden Elemente des Films. Die auf 35 mm Color-Film gedrehten Szenen zeigen ein sauberes kleines Städtchen mit hellen beigen Häusern und aufgeräumte, spartanisch ausgestattete Räumlichkeiten; mit Ausnahme der in Zeitlupe gezeigten Mordszene und als Woyzeck durch das Mohnfeld hastet, haben Herzogs Einstellungen keine expressionistischen Bedürfnisse. Er gibt lediglich wieder - ohne vollständige Ausgestaltung seiner Sets. Die Inszenierung wirkt dadurch steril, größtenteils spannungsarm – stilistisch würde sie einer Theateraufführung kaum den Rang ablaufen.
In Kinski hat sich Herzog jedoch wieder einmal einen ausdrucksstarken Schauspiel-Experten an seine Seite geholt. So ist es vor allem seine schauspielerische Leistung, mit der er Büchners Sprache, Woyzecks allmählichen psychischen Zusammenbruch, in eine Körpersprache umsetzt und dem Wahnsinn ein Gesicht gibt, dass es einem „schwindelt, wenn man hin(ein)sieht“.
Aguirre, der Zorn Gottes (1973)
Jede Art von Fiktion hat einen höheren Wahrheitsgehalt, als die beste Dokumentation. Was Faulkner über den Journalismus sagte, stimmt in diesem Falls wohl auch für die filmische Dokumentation. Hätte man nämlich eine über die Arbeiten an diesem Film gedreht, wären die Parallelen zum fertigen Spielfilm kaum zu übersehen. Machtbesessene Anführer, die mit allen erdenklichen Mitteln ein Ziel verfolgen und alles Menschenmögliche ihren Begleitern abverlangen – an diesem Punkt verschwimmen die Grenzen des Projekts „Aguirre“ zwischen Realismus und Fiktion. Zwischen Dreharbeiten und Lichtspiel.
Es ist die Rede vom fanatischen Unterführer Don Lope de Aguirre aus dem tragischen Abenteuerfilm Aguirre, der Zorn Gottes und dem darstellenden Schauspieler sowie dem Regisseur, Klaus Kinski und Werner Herzog.
So gestaltete sich die Arbeit am Drehort nicht minder abenteuerlich und gefährlich und droht am Ende wegen des explosiven Zweiergespanns kläglich zu scheitern, wie die Expedition auf der Kinoleinwand.
Aguirre ist Unterführer einer kleinen Gruppe spanischer Kolonialisten, die 1590/91 die peruanischen Anden überquert und mit Flößen landeinwärts den Amazonas entlang fährt. Im Auftrag Gonzalo Pizarros (Alejandro Repulles) suchen sie nach dem sagenumwobenen Goldland El Dorado.
Es dauert nicht lange, bis der vom Reichtum besessene Aguirre eine Meuterei anzettelt, den beschränkten Edelmann Guzman (Peter Berling) zum Schein-Kaiser ernennt und den Trupp versessen ins Nichts des peruanischen Ödlandes führt. Hunger leidend und vom Fieber und indianischen Giftpfeilen dezimiert, bleibt am Ende nur der selbsternannte „Zorn Gottes“, Aguirre, übrig, der in seinem Wahnsinn an seinen Zielen festhält – schnell entpuppt sich die Expedition als „Eroberung des Nutzlosen“ .
Nicht großartige Dialoge zwischen den Protagonisten, sondern die überwältigende Bildsprache des Films treibt die Handlung Schritt für Schritt voran: Die reißenden Strömungen des Amazonas, mit einer Kameraführung, die nur selten Abstand zum direkten Geschehen nimmt, und sowohl die brachialen Naturgewalten, als auch den gewaltigen, manischen Gesichtsausdruck Kinskis, eine, nach Vergleichen suchende, Durchdringlichkeit verleiht. Weiterhin sehen wir die Darsteller in farbenprächtiger und authentischer Kluft, ob im matten Poncho, in heruntergekommener Rüstung, oder im Samtkleid mit Spitzenkragen. Auch das verzaubernde Panflöten-Spiel eines Indianers und das weitere musikalische Repertoire (Krautrock der deutschen Band Popol Vuh) bilden zusammen mit den farbsatten Bildern eine überwältigende Natur-Ästhetik.
Nun zum Realismus, zum wirklichen Dreh:
Kinksi, ein egomaner Schauspieler, und Herzog, ein ehrgeiziger und konsequenter Regisseur, überqueren 1972 mit einer kleinen Gruppe von Schauspielern und Filmtechnikern die peruanischen Anden, um ein schwer realisierbares Ziel doch noch zu erreichen: Einen Film zu drehen. Nach allmählich eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen dem gegenseitig verhassten Führergespann Kinski/Herzog, als auch dem Filmteam, droht das ganze Unternehmen zu scheitern…
Doch über diese Geschichten wurden andere Filme, Dokumentationen und Bücher veröffentlicht: Mein liebster Feind und Les Blanks Burden of Dreams (1982) sowie Eroberung des Nutzlosen, ein Buch Werner Herzogs über die Dreharbeiten.
Mein liebster Feind (1999)
15 Jahre lang (1972-87) hielten sie sich aus und schufen gemeinsam einige großartige Filme. Zwischen Abrechnung und Hommage an den exzentrischen und kaum umgänglichen Ausnahmeschauspieler Klaus Kinski zeigt der Film Mein liebster Feind einige Szenen, die sich hinter der Kamera abspielten, kommentiert von seinem Bändiger Werner Herzog und einigen anderen „Betroffenen“. Nach Cobra Verde (1987), dem letzten gemeinsamen Werk des Berserker-Duos, gingen beide, tiefst verstritten, getrennte Wege. Herzog sagte über Kinski, er sei ausgebrannt, es sei unmöglich geworden mit ihm zu arbeiten. Einige Jahre nach dem Tod des exzentrischen Künstlers entschied sich sein langjähriger Begleiter, diese Dokumentation zu drehen.
Zu diesem Zweck bereiste Werner Herzog die alten Drehorte ein zweites Mal und ließ die Zusammenarbeit mit Kinski Revue passieren. Er spricht über ihr erstes Aufeinandertreffen, Herzog war erst 15 Jahre alt, in einer kleinen Mahrfamilienwohnung in München. Und darüber, wie Kinski es schaffte, die drei Monate, die er dort verweilte, das ganze Haus in Angst und Schrecken zu versetzten.
Auch Schauspieler und Statisten, die mit ihm zusammenarbeiteten, wie Eva Mattes und Claudia Cardinale, erzählen davon, wie der unbändige Schauspieler immer wieder wegen Banalitäten Tobsuchtsanfälle bekam und die Filmcrew stundenlang terrorisierte.
Letzten Endes erschafft Herzog dann doch ein ungewohntes Bild Kinskis, mit dem er nun wohl endgültig Frieden schließen wollte – es zeigt den sonst wütenden Exzentriker in einer sinnlichen und zutraulichen Pose: Bei strahlenden Sonnenschein fliegt ein Schmetterling um seinen Kopf und lässt sich auf Kinskis Kopf nieder. Im Grunde war er doch mehr Freund als Feind.
Jessica Pfeiffer und Christian Strohmer
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