Weird and Beautiful: Filmfestival Rotterdam 2024
Was in Rotterdam ein Hit ist, das kann man nur feiern: Menschen strömen in die Säle, um sich Kurioses und Forderndes anzuschauen. Darunter eine magische Komödie, eine politische Satire und ein deutsches Unikat.

Dream Team von Lev Kalman und Whitney Horn ist einer dieser Hits, bei dem die Leute in Rotterdam Schlange stehen, in der Hoffnung, im letzten Moment noch einen Platz im ausverkauften Saal zu ergattern. Ursprünglich als Serie geplant, bekamen die sieben Episoden à 11 Minuten, die sich die Filmemacher ausgedacht hatten, von der Produktionsfirma kein grünes Licht, und so wurde aus dem 1990er-Jahre-Pastiche ein episodischer Spielfilm. Mit ganz viel Ironie, Synthie-Musik und vor allem einer diebischen Freude an erotisch aufgeladenen Absurditäten.
Esther Garrel und Alex Zhang Hungtai (von der Band Dirty Beaches) spielen zwei Interpol-Agenten, was in diesem Film heißt, dass sie Geheimnisse lieben und sich besonders für Korallen interessieren. Ein Mord steht am Anfang, und der Verdacht taucht bald auf, dass die Korallen ein Gift aussprühen, das für gleich mehrere Tode verantwortlich sein könnte. In 16-mm-Bildern und neonleuchtenden Farben suchen Kalman und Horn eine Form von transzendentaler und doch sinnlicher Meditation, die zugleich in der Popkultur und in der Avantgarde ihren Ursprung hat. Zwischendurch taucht ein Professor auf, und auf seiner Overhead-Projektions-Folie plädiert er ziemlich überzeugend für Schönheit.

Veni Vidi Vici von Daniel Hoesl und Julia Niemann ist eine der seltenen Satiren der jüngeren Zeit, der die Gratwanderung gelingt, trotz aller Distanz ausreichend Leidenschaft und Empathie für die mokierten Protagonisten aufzubringen: Im Mittelpunkt steht ein überreicher Investor (Laurence Rupp), der in der Freizeit gerne Menschen jagt (buchstäblich), seine ältere Ehefrau (Ursina Lardi), die endlich ein Kind mit eigener DNA will, und seine Teenie-Tochter aus erster Ehe (Olivia Goschler), die sich einerseits komplett ungeniert gibt und andererseits ganz soft und liebevoll anbandelt mit dem Sohn des nächsten Übernahmeopfers. Das Österreich von Hoesl und Niemann ist nicht allzu fern von dem, das man so kennt (süffisante Ironie, Laissez-faire, Vetternwirtschaft, manche kommen mit allem durch), zugleich ist es wunderbar aufgeräumt, um für die Klarheit zu sorgen, die der Komödie dient. Dass die heutige Zeit sich insgesamt schlecht mit Satiren versteht, weil die Wirklichkeit bekanntlich mehr Farce ist, als die Fiktion glaubwürdig behaupten kann, ist für Veni Vidi Vici kein großes Problem. Genau weil der Film weniger bitter als empathisch funktioniert und damit die Frage stellt: Was würdet ihr tun, wenn ihr über dem Gesetz stündet? Wenn nicht gleich morden, dann doch in jedem Fall ein paar Grenzen austesten und Spaß auf Kosten der Polizei haben, oder?

In We Are on Air (Estamos no ar) von Diogo Costa Amarante ist alles etwas zu schön, zu eingerichtet. Die Stimmung ist leicht mysteriös, vor allem aber verspielt. Das erste Bild setzt den Ton: Es ist Nacht und es regnet. Aus der Ego-Perspektive eines Mopedfahrers schauen wir durch einen nassen Helm auf die Straße. Die Lichter der Autos reflektieren. Am Lenkrad ist ein Handy montiert, darauf tanzt ein nackter Mann für die Kamera, in neonfarbenem Licht. Als wären wir in einer leicht magischen Welt, geht es im Anschluss nicht in die Untiefen der Nachtwelt, sondern der Mann mit dem Moped fährt auf einen ordentlichen Rastplatz, zieht sich die Polizeiuniform aus und legt sich zu einem Trucker, den er mag, in den Lastwagen.

In We Are on Air geht es viel um Verkleidung und Verwandlung, darum, die Rolle eines anderen anzunehmen und Fantasien zu leben. Im Zentrum stehen drei Generationen: Die Großmutter (Valerie Braddell), die mit einer besten Freundin das Bett teilt, seitdem ihr Mann verstorben ist. Die Mutter (Sandra Faleiro), die den verheirateten Polizisten von nebenan begehrt, der keine eigene Waschmaschine hat, weswegen sie seine Uniform für ihn wäscht. Und der Mittdreißiger Vitor, gespielt von Carloto Cotta, der von dem einen Mann träumt, der ihn so gern in der geborgten Uniform sieht, während er beim anderen Mann schläft, der ihn warnt, dass es gefährlich ist, eine Uniform zu tragen, die ihm nicht gehört. Mit traumwandlerischer Leichtigkeit inszeniert Diogo Costa Amarante seinen im Norden Portugals gedrehten Film. In elegant eingerichteten Interieurs schafft er eine magische Wirklichkeit, komödiantisch und dramatisch zugleich, in pointiert arrangierten Bildern von Kamerafrau Sabine Lancelin.

ZONE von Christina Friedrich ist ganz schwer nur zu fassen und damit ein absolutes Unikat im deutschen Kino (und ohnehin einer von ganz wenigen deutschen Filmen in Rotterdam). Die Regisseurin und Autorin adaptiert ihren eigenen Roman namens Keller (2021). Mal erzählt sie lyrisch, mal ganz explizit, dann sinnlich und gewalttätig. Die Geschichte ist, wenn man dem Vorspann glaubt, die ihre. Handlungsstränge kann ich leider nicht so ohne Weiteres identifizieren oder erklären und sitze dennoch mit Bewunderung vor diesem Biest von einem Film. Wir sehen Minen explodieren, Hunde herumstreunen, gefährliche und weniger gefährliche Männer und in der Mitte immer wieder eine junge Frau, auf der Flucht, auf der Suche, beim Erwachsenwerden. Ein Film, der stets die Herausforderung sucht, weder im Intellektuellen noch im Sinnlichen seine Heimat findet und mit Konfliktdramaturgie, Story und Figurenpsychologie gar nicht erst groß in Berührung kommt. In Rotterdam verstört das keinen.
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