Walter Hill. Welt in Flammen
Ivo Ritzers furiose Monografie lädt zur Wiederentdeckung eines in Vergessenheit geratenen Filmemachers ein.

Es gab einmal eine Zeit, da hätte diese Veröffentlichung vielleicht nicht so sehr überrascht, wie sie es heute tut. In den späten 70er und frühen 80er Jahren nämlich schaute die cinephile Öffentlichkeit mit einigem Interesse auf das Werk von Walter Hill, dessen Stil wohl einigermaßen einzig im Kino seiner Zeit stand. Vom Beginn seiner Regielaufbahn an – nachdem er bereits mit einigen außergewöhnlichen Drehbüchern für unter anderen Sam Peckinpah und John Huston für Aufsehen gesorgt hatte – oszillierten Hills Filme auf eine ganz eigentümliche Weise zwischen Klassizismus und Modernismus.
Wo sein erster Film Ein stahlharter Mann (Hard Times, 1975) noch im New Hollywood verwurzelt war, die Ästhetik der Zeit jedoch an das toughe, unprätentiöse Genrekino des klassischen amerikanischen Films zurückband, da strebte Hills Kino schnell immer unaufhaltsamer gen Zukunft. Bereits die zweite Regiearbeit, Driver (The Driver, 1978), war in der Radikalität ihrer Abstraktionsleistungen pure Avantgarde. Die Warriors (The Warriors, 1979) nahm in seiner stilisierten Künstlichkeit den popmodernen Stil des Kinos der 80er Jahre bereits an der Dekadenwende vorweg, den Straßen in Flammen (Streets of Fire) schließlich fünf Jahre später an einen Extrempunkt führte – einen Punkt, an den das zeitgenössische Publikum Hill nicht mehr folgen konnte oder wollte. Im Anschluss an diesen kommerziell desaströsen Misserfolg wandte sich der Filmemacher freilich nur für den oberflächlichen Blick glatteren, kommerziellen Projekten zu. Tatsächlich ist jeder einzelne seiner Filme von einer unverwechselbaren künstlerischen Handschrift geprägt.

In der ausführlichen Monografie Walter Hill. Welt in Flammen widmet sich der Mainzer Filmwissenschaftler Ivo Ritzer dem Genre-Auteur Hill. Im Zentrum seiner Überlegungen steht folglich immer wieder der Spagat zwischen diesen zwei scheinbar diametralen Positionen: dem Auteurismus – also der Vorstellung vom Film als Produkt einer individuellen künstlerischen Leistung eines einzelnen Urhebers, seines Regisseurs – und dem Genrekino, also dem eher handwerklichen Arbeiten innerhalb konventionalisierter Formen.
Die Beachtung, die Hills Frühwerk, das zeitgleich mit den späten Großwerken des New Hollywood entstand, zunächst und gerade in cinephilen (europäischen) Kreisen erfuhr, lässt sich vielleicht auch aus der Zusammenführung dieser beiden unvereinbar scheinenden Positionen heraus erklären. Die Versöhnung von Intellektualismus und Populärkultur, ein ganz und gar individuelles Kino der Filmautoren, das Genreformen aufgreift und diesen einen persönlichen Stempel aufdrückt – auch das dürfte spätestens seit der Nouvelle Vague als eine große Utopie zahlreicher cinephiler Erneuerungsbewegungen gegolten haben. Mit der gleichen Bewunderung, mit der Godard, Truffaut, Rivette die zuvor meist gering geschätzten großen Regisseure des klassischen Hollywood entdeckten – Hawks, Walsh, Ford –, ließen sich nun die Kriminalfilme, Western und Polizeifilme Hills betrachten. Jenseits der immer epischeren Visionen der arrivierten New-Hollywood-Auteurs Coppola, Scorsese oder Cimino schwor Hill auf geradlinige Plots und ökonomische Inszenierung. Wie komplex seine Filme aber doch, jenseits des oberflächlichen Augenscheins, strukturiert sind, wie differenziert das Welt- und Geschichtsbild ist, das sich in ihnen ausdrückt, und wie sehr das alles verankert ist in cineastischen Traditionen, das arbeitet Ivo Ritzer auf so vielschichtige wie faszinierende Art und Weise heraus.

Zu loben ist hierbei zuerst auch die Tatsache, dass ihm mit Walter Hill. Welt in Flammen ein ebenso tiefgreifendes wie lesbares Buch gelungen ist. Wer mit Ritzers Schreiben bereits durch seine furiosen, aber zuweilen recht hermetischen B-Movie-Rezensionen in der Splatting Image vertraut ist, der hätte durchaus mutmaßen können, mit der Buchausgabe seiner Promotionsschrift einen schweren Klotz filmwissenschaftlicher Theoriebildung vor sich zu haben. Und obgleich Welt in Flammen zwar keine leichte Ferienlektüre geworden ist, artet es doch auch nie in Schwerstarbeit aus: Schon allein weil Ritzers Analyse merklich von Liebe zu ihrem Gegenstand geprägt ist. Dabei ist sie stets exakt und detailscharf im Kleinen und verliert doch nie den Blick für das Werkganze, für die Handschrift des Filmemachers Walter Hill, und seine zumeist mühelos fließende Prosa flicht beides immer wieder ineinander.
Im Grunde ist sein Buch ein Paradebeispiel dafür, was Filmliteratur leisten kann: die Wiederentdeckung eines zu Unrecht nahezu in Vergessenheit geratenen Regisseurs – und einer Art von Filmen, wie sie im (US-)Kino zunehmend an den Rand gedrängt wurde. Und die Lektüre ist nicht nur aufschlussreich, sondern darüber hinaus auch äußerst anregend, indem sie schlicht Lust auf Kino macht: darauf, die großen Filme Hills – Driver, Die Warriors, Nur 48 Stunden (48 Hrs., 1982) – wieder zu sehen. Darauf, die unzähligen kleinen Juwelen in seiner Filmografie – Johnny Handsome (1989), Trespass (1992), Wild Bill (1995) – vielleicht erstmals für sich zu entdecken, und auch die weniger gelungenen unter seinen Werken – Und wieder 48 Stunden (Another 48 Hrs., 1990) oder Supernova (2000) – aus neuer, frischer Perspektive zu betrachten und womöglich unter einer als gescheitert auftretenden Formgebung einen jedenfalls nicht uninteressanten strukturellen Ansatz zu entdecken.

Zuerst jedoch, und darin mag gar die größte Leistung Ritzers bestehen, weckt sein Buch die eigene cineastische Neugier, indem er an nicht unbedingt erwartetem Ort ein reiches Werk eines hochinteressanten Filmemachers ausmacht. Der cinephile Entdeckergeist, der nicht erst in der Durchführung, sondern bereits in der Herangehensweise Ritzers zum Ausdruck kommt, spornt nicht nur dazu an, andere Filme zu sehen – zum Beispiel die von Walter Hill, aber auch die seiner Vorbilder aus dem klassischen Hollywood und die seiner Geistesverwandten aus dem weiten Feld des amerikanischen B-Movies der 80er, 90er und 00er Jahre, das Ritzer in zahllosen kenntnisreichen Querverweisen immer wieder streift. Noch darüber hinausgehend inspiriert die Lektüre dazu, Filme anders zu sehen – nämlich nach ernsthaftem künstlerischem Ausdruck in ignorierten bis bespöttelten Nischen des Gegenwartskinos zu suchen. Damit gelingt es Ivo Ritzer, dem neugierigen Leser unter Umständen eine ganze neue Welt des Kinos zu erschließen.
Ivo Ritzer: Walter Hill. Welt in Flammen. 288 S., € 25,00, Bertz + Fischer, Berlin 2009
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