Von Agitatoren und Pendlern: Dietrich und Katharina Schubert in Oberhausen

In vier Programmen präsentierten die 71. Kurzfilmtage Oberhausen das Schaffen von Dietrich und Katharina Schubert. Dabei widmete sich die Reihe dem aktivistischen Frühwerk Dietrich Schuberts sowie den Eifel-Filmen und Künstler*innen-Porträts, die das Regie-Paar in den Achtzigerjahren drehte.

Mit geborgten Bildern fängt es an: Zwischen präzise inszenierten Brückenpfeilern aus rohem Sichtbeton entspannt sich eine Liebesgeschichte, die im Unklaren endet. Aus extremen Winkeln fängt die Kamera zögerliche Annäherungen hinter den Betonröhren ein, dazu tönt nonchalant ein Vibraphon im Off. In den letzten Zügen seiner Ausbildung zum Fotografen entstanden, zeugt Dietrich Schuberts erster Kurzfilm Reflex (1963) nicht nur von einem handwerklich versierten Blick durch den Kamera-Sucher. In nur sechs Minuten arbeitet sich der 23-jährige Schubert ausgiebig an thematischen wie formalen Bezügen zu Michelangelo Antonioni ab – ein Jahr zuvor kam L’eclisse in die deutschen Kinos.

Von Flugblattfilmen zur Introspektion

Beinahe wäre dieses Regiedebüt wegen einer zerstörten Perforation im Kopierwerk verloren gegangen. Erst nachdem ihm das Filmmaterial erstattet wurde und Schubert eine alternative Version des Films drehte, So wäre mir‘s nichts nütze (1963), fand sich ein neues Kopierwerk, das schließlich Reflex retten konnte. Beide Versionen sowie elf weitere Filme von zwei bis 45 Minuten Länge waren in der Oberhausener Retrospektive als analoge 16mm-Kopien zu sehen – allesamt Einzelstücke, wie die Kurator*innen Lydia Kayß und André Malberg betonten. Die Filme sind Teil des Vorlasses, den Katharina und Dietrich Schubert (Jahrgänge 1948 und 1940) vor vier Jahren dem Filmmuseum Düsseldorf übergaben. Zuletzt lagerten die Filmrollen unter verhältnismäßig guten Bedingungen im alten Bahnhofsgebäude von Kronenburg in der Eifel, das die Schuberts seit Anfang der 1980er bewohnen. So weisen auch nur wenige der Farbfilme einen leichten Rotstich auf, während das gesamte Material für ein Privatarchiv in durchaus passablem Zustand ist.

Das prägende Narrativ der vier Programme - neben der auratischen Vergänglichkeit des Materials, die jede gute Retrospektive vor sich herträgt - folgt einem typischen Muster vieler BRD-Aktivist*innen der 1960er. Mit Mitte Zwanzig engagiert sich Dietrich Schubert beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Er dreht aktivistische Flugblattfilme, die den Kampf gegen Polizeigewalt, Militarismus und die Notstandsgesetze vom Juni 1968 begleiten (und natürlich selbst prägen). Anfang der Achtziger Jahre folgt eine introspektive Wende, es geht zunächst um atomare Abrüstung, dann immer stärker um die Geschichte und Natur der Eifel, außerdem entstehen Porträts einzelner Künstler*innen. Die Filme laufen nicht mehr in verrauchten Hörsälen, sondern in Fernsehreihen wie dem WDR-Schauplatz.

Eifel- und Porträtfilme

Die Eifel-Filme – die Schuberts sprechen im Q&A von über fünfzehn, die in einem Bereich von 50 Quadratkilometern entstanden – sind allerdings keine schwärmerischen Heimatwerke. In Ein Film über den dichter werdenden Nebel im deutschen Winterwald bietet die verschneite Eifel den Hintergrund einer tiefgehenden Reflexion des eigenen politischen Aktivismus und einer realistischen Abwägung der Risiken dieser Arbeit. Mehrfach wurde Dietrich Schubert zu Unrecht verhaftet und vom Verfassungsschutz wegen „Verdacht auf verräterische Beziehungen“ beobachtet. Der Film besteht aus einer 17-minütigen Autofahrt, dazu Orgelmusik und Dietrich Schuberts Voice-Over, der seine politische Leidensgeschichte in den 1970ern erläutert. Schließlich folgen Einschübe seiner Filme Soldat (1966) und Demonstrantenselbstschutz (1969). Soldat montiert Bilder von Weltkriegsgräbern und uniformierten Jungen zu Wolf Biermanns provokantem Lied „Soldat, Soldat“, während Demonstrantenselbstschutz eine junge Frau zeigt, die sich mit Zeitungspapier und Telefonbüchern gegen Polizeiknüppel wappnet. Gerahmt von dichten Nebelschwaden und im Kontext von Schuberts Bericht über Polizeiwillkür wird das filmische Selbstzitat zum bitteren Rückblick – und zugleich zum Brückenfilm zwischen Früh- und Hauptwerk.

Dieses Hauptwerk bilden die Kurator*innen mit vier mittellangen Dokumentarfilmen aus den Achtzigerjahren ab. Aus einer Chronistenperspektive widmen sich diese Filme der Eisenindustrie in der Eifel des 19. Jahrhunderts sowie den Schriftsteller*innen Clara Viebig und Fakir Baykurt. In zwei Filmen dieser Phase wird Katharina Schubert als Regisseurin sichtbar, als Ko-Regisseurin von Blumenthal – Vom Eisen in der Eifel (1983) und dem von ihr selbst inszenierten Clara Viebig – Die Vergessene (1986), während sie ansonsten vor allem als Produzentin der Filme ihres Mannes tätig ist. Ebenfalls sei es ihr archivarischer Verdienst, so wird im Filmgespräch deutlich, dass die gezeigten Filme in derart guter Qualität vorliegen.

Dem Zweifel Raum verschaffen

Zwar erscheinen die Eifel-Filme deutlich introspektiver als das Frühwerk Dietrich Schuberts, jedoch hegen sie durchaus einen politischen Anspruch in ihrer filmischen Schilderung von Kunst und Industrie. Am deutlichsten spürbar wird dieser allerdings im vierten Film, einer 44-minütigen Arbeit für den WDR: So wie uns geht es tausend anderen (1982). Die Resignation des Titels ist durchaus programmatisch gemeint, wenn Schuberts Kamera minutenlang einem orangenen VW Käfer durch die wolkenverhangene Eifel folgt. Zweimal fährt der Wagen an den Straßenrand. Jeweils ein Mann steigt in den kleinen Wagen, eine Plastiktüte mit Pausenbrot und Thermoskanne in der Hand. Schließlich landen sie an einer matschigen Baustelle, wo sich die drei an die Arbeit machen.

Manfred Dederichs, der Protagonist des Films, steigt aus seinem Käfer in die Planierraupe um. Täglich pendelt er drei Stunden aus der strukturschwachen Region an seine Arbeitsstätte, denn an geregelten Zug- und Busverkehr ist nicht zu denken. Nicht ohne Stolz präsentiert er dem nahbaren Filmemacher hinter der Kamera seinen Führerstand. Erst am Abendbrottisch mit seiner Familie lässt Dederichs vorsichtige Zweifel durchblicken, ob man nicht doch umziehen sollte. Schubert verschafft diesen Zweifeln den gleichen Raum wie der prosaischen Hin- und Rückfahrt oder der Einweisung in die Gangschaltung der Planierraupe. Hier ist das Private selbstverständlich politisch; während die Agitation des Frühwerks verklungen ist, sind in So wie uns geht es tausend anderen öffentliche Infrastruktur, Arbeitskraft und Care-Arbeit untrennbar miteinander verschlungen. In der genauen Beobachtung – darin treffen sich Schubert der Chronist und Schubert der Aktivist – ruft der Film diese Verbindung wie selbstverständlich auf den Plan.

Nachdem erst vor wenigen Monaten über eine Ausweitung des zumutbaren Arbeitswegs für Bürgergeld-Empfänger*innen diskutiert wurde (auf zweieinhalb Stunden Pendelzeit bei einer Beschäftigung von bis zu sechs Stunden), wird diese 45-minütige WDR-Produktion(!) noch lange nachhallen. Damit unterstreicht die Retrospektive nicht nur die Aktualität dieser Filme – sowie die dringende Notwendigkeit, das Werk der Schuberts zu digitalisieren –, sondern obendrein, wie wichtig es für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist, künstlerisch geprägten Dokumentarfilmen auch in der kleinen Form wieder einen vernünftigen Platz zuzugestehen.

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