Visiones Latinas

Studenten der Universität Regensburg haben im Rahmen eines Seminars zur Medien-Praxis das Filmfest München besucht und sich individuell oder in Kleingruppen den verschiedenen Sektionen gewidmet. Einige der Texte finden hier auf critic.de ihre Publikation.

Bereits seit zehn Jahren können Zuschauer auf dem Filmfest München die vielfältigen Filme aus der Reihe Visiones Latinas genießen. Besonders in diesem Jahr warteten sehr vielversprechende Werke junger Talente auf das Publikum. Die 16 gezeigten lateinamerikanischen Filme brachten ihr ganz eigenes Konzept, fernab des Mainstream, mit, um die Zuschauer an ihre Kinosessel zu fesseln.

Im Mittelpunkt standen insbesondere Produktionen aus Chile, einem Land, welches in Sachen Film international in den letzten Jahren eher unauffällig blieb. Ganz vorn mit dabei war vor allem La Nana (2009) von Regisseur Sebastián Silva, eine wirklich komische und dabei dennoch tragische Geschichte eines Hausmädchens namens Raquel, das schon seit über 23 Jahren mit einer Familie zusammen im Haus lebt und sich um alles, was ansteht, kümmert. Allerdings ist sie langsam aus gesundheitlichen Gründen mit den Aufgaben überfordert, so dass die Mutter der Familie beschließt, ein weiteres Hausmädchen zur Unterstützung zu suchen. Die Kandidatinnen werden jedoch von Raquel systematisch vergrault, bis Lucy, eine weitere Bewerberin für den Posten, das Eis zum Schmelzen bringt und Raquel in ihr eine Freundin findet. Der Film feierte vor allem in seinem Herkunftsland große Erfolge, hat aber auch außerhalb Chiles bereits vor dem Filmfest Aufsehen erregt. Im letzten Jahr war er als erster chilenischer Film Gewinner des Sundance Film Festivals. Und auch beim diesjährigen Filmfest in München kam der Film gut beim Publikum an, worüber sich die extra angereiste Schauspielerin Mariana Loyola (Lucy) ganz besonders freute.

In ihren jeweils zweiten Regiearbeiten nehmen sich der brasilianischen Regisseur Gabriel Mascaro und  Josué Méndez aus Peru ganz ähnlichen Gegenständen an. Sowohl Um Lugar Ao Sol (2009)  als auch Dioses (2008) prangern in zurückhaltender, aber dennoch unmissverständlicher Weise die eigene, illusionäre Welt der Oberschicht an.

Auch Celina Murga zeigt in ihrer zweiten Regiearbeit Klassenunterschiede auf. Allerdings nimmt sie sich einer spezielleren Gruppe an, nämlich den Kindern reicher Eltern. Regelrecht abgeschottet verbringen die Kinder in Una Semana Solos (2008) eine Woche alleine ohne Eltern in ihrer „gated community“. Völlig unselbstständig und selbstbezogen leben sie vor sich hin und lassen sich von Esther, der Nanny, bedienen. Doch dann kommt Esthers Bruder, ein Junge aus der Unterschicht, zu Besuch, wodurch die Trennung zwischen Arm und Reich erst richtig sichtbar gemacht wird, weil die anderen Kinder ihn nicht integrieren.

Schlicht und gefühlvoll eröffnete sich dem Zuschauer der Film Parque Vía (2008), in dem man den in die Jahre gekommenen Mann Beto bei seinem Alltag begleitet. Dies mag zunächst etwas befremdlich erscheinen, bietet dem Betrachter aber einen Einblick in eine ganz andere Welt. Beto hält sich fast ausschließlich allein in dem großen Haus einer gut betuchten Besitzerin mitten in Mexico City auf. Er kümmert sich um Haus und Garten, lässt sich Nahrungsmittel liefern und bekommt hin und wieder Besuch von der Prostituierten Lupe. Das alles macht er jedoch nicht aus Faulheit, sondern weil er öffentliche Plätze scheut. Doch als sich die Besitzerin nach einem neuen Eigentümer umsieht, stürzt dies Beto in eine Krise, welche sein Konstrukt zusammenbrechen lässt. Der im spanischen Madrid geborene Regisseur Enrique Rivero erhielt für diesen, seinen ersten Spielfilm bereits mehrere Auszeichnungen. Unter anderem den Goldenen Leoparden auf dem Internationalen Filmfestival von Locarno im August des vergangenen Jahres.   

Die Visiones Latinas feierten auch zwei Weltpremieren. Der Dokumentarfilm Auf Halbem  Weg zum Himmel (2009), eine Gemeinschaftsprojekt von Andrea Lammers und Ulrich Miller, zeichnet die Entwicklung Guatemalas von einer Militärdiktatur in einen Rechtsstaat nach. Ausgangspunkt ist das in den 1990ern gegründete Dorf „La Aurora“, welches wie viele andere die Entstehung von Demokratie fördern soll. Vor allem Andrea Lammers fühlt sich ganz besonders verbunden mit Guatemala, da sie selbst einst dort geboren wurde.

Die zweite Weltpremiere in der Reihe bot der Film der drei jungen Regisseure und Drehbuchautoren Rodrigo Marín, Santiago Correa und Edwin Oyarce. Bastardos (2009) heißt das Werk, in dem es hauptsächlich um familiäre Beziehungen und das Heranwachsen geht.

Für den ein oder anderen Film mussten die Zuschauer zwar einiges an Geduld aufbringen, wurden aber dank all der außergewöhnlichen Filme, sowie der zahlreichen Regisseuren vor Ort, welche Rede und Antwort standen, reichlich belohnt. Somit kann die Filmreihe Visiones Latinas  auf dem Filmfest München 2009 als voller Erfolg bezeichnet werden und schon jetzt darf man gespannt auf das nächste Jahr warten.

 

Dominik Califice

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