Verstörte Kamera: Retrospektive Lucrecia Martel
Diffuse Erinnerungen nähren die Freude aufs Wiedersehen im Kino: Anfang Juli sind endlich die Filme von Lucrecia Martel auf der großen Leinwand zu sehen. Das Berliner Arsenal zeigt anlässlich des Starts von Zama drei weitere Filme der argentinischen Regisseurin und eine Set-Dokumentation.

Ich erinnere die Filme von Lucrecia Martel als eine unbefriedigende Erfahrung, und das spricht sehr für sie. Im eigenen Heimkino habe ich vor Jahren sowohl Der Morast (La ciénaga, 2001) als auch The Headless Woman (La mujer sin cabeza, 2008) gesehen, und ein paar diffuse Assoziationen, ein paar wahnsinnige Bilder spuken seither in meinem Kopf herum, ein bisschen wie Traumfragmente. The Headless Woman: Eine sehr blonde Frau auf einer kaum befahrenen Landstraße, ein Unfall, und irgendwas ist dann verschoben, irgendwie ist der ganze Film davon getroffen. Der Morast: Kinder am Pool, ein Sommer als Horrorsetting, Familienbanden, die sich ineinander verlieren. Nicht nur die Erzählfäden, auch die Bilder selbst merkwürdig abgeschnitten, der Kamerablick stets leicht verstört, schienen diese Filme nicht allwissend, aber doch etwas zu wissen, was mir ständig zu entgehen drohte. Als wäre von den Bildern immer schon das Entscheidende abgezogen, als lauerte dieses Entscheidende irgendwo außerhalb des Rahmens.

Aber es geht nicht vornehmlich um Bilder bei Martel, es geht immer auch um den Sound, denn er ist es, der sie antreibt, hat die Regisseurin einmal gesagt. Selbst in den weiten Landschaften, in denen sie ihr period piece Zama gedreht hat, war das Nachdenken über die soundscapes jeder Szene entscheidend. Man muss diese Filme hören, und man muss sie im Kino hören. Das Berliner Arsenal macht dies zwischen dem 4. und 12. Juli möglich. Neben den beiden genannten Werken ist auch Martels zweiter Film Das heilige Mädchen (La niña santa, 2004) zu sehen, außerdem läuft Zama vor dem offiziellen Kinostart am 12. Juli in einer Vorpremiere in Anwesenheit der Regisseurin. Abgerundet wird die Werkschau mit Manuel Abramovich’ Dokumentation Light Years (Años luz), die Martel beim Dreh ihres jüngsten Films begleitet.

Martels Filme sind keine eitlen Kunstwerke, es geht in ihnen auch um argentinische Standesdünkel, patriarchale Strukturen, Sittenbilder. Doch dieser Blick auf die Welt wird uns nicht als These mitgegeben, sondern in die Konstruktion einer eigenen Welt überführt, einer Welt, der man sich als Zuschauer zu verschreiben hat, aus der der Blick nicht herauswandern sollte auf die eigene Welt jenseits des Rahmens, da darf jedenfalls kein Bücherregal und kein Schreibtisch stehen, da darf kein Gepolter im Flur, kein Geschrei im Hof zu hören sein. Martels Filme sind nicht sperrig, sie erfordern keine ultimative Anstrengung, aber die konzentrierte Umgebung, die nur das Kino bietet. Deshalb habe ich sie als unbefriedigende Erfahrung in Erinnerung, deshalb freue ich mich so sehr auf ein Wiedersehen.
Das Arsenal zeigt vom 4. bis 12. Juli alle vier Spielfilme von Lucrecia Martel. Bei der Vorpremiere von Zama am 10. Juli wird die Regisseurin selbst anwesend sein. Das gesamte Programm gibt es hier.
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