Verschnupft in Oberhausen: Die Internationalen Kurzfilmtage 2016
Sind Kurzfilme immer so lang? Und warum werden immer gleich mehrere am Stück gezeigt? Ein paar einfache Fragen und – Versprochen! – sogar ein paar Antworten.
Eine Erkältung verhagelt mir in Oberhausen die Laune auf Kurzfilme. Anstatt die Flucht zu ergreifen, setze ich mich den Programmen konsequent bis zum Schluss aus – und versuche mich daran zu erinnern, warum ich Kurzfilmen überhaupt eine Chance gebe. Selbstverständlich ist das für mich nicht. Klar sind Filme Filme, egal ob lang, überlang, gerade noch lang oder schon kurz. Aber die Dauer macht viel mit mir. Meine geminderte Konzentration trübt auch meine Toleranz. Da hilft es nicht, dass sich schnell herumspricht, dass die Auswahlkommission des deutschen Wettbewerbs selbst alles andere als zufrieden ist mit dem Jahrgang. Ich freue mich über die Ehrlichkeit, für die man bei anderen Festivals schon innig versprechen muss, es keinem weiterzuerzählen.
Verdutze Blicke auf ernst gemeinte Fragen

Oberhausen ist ohnehin das Festival wider die Gepflogenheiten. Das beginnt schon bei der Eröffnung, bei der sich Festivaldirektor Lars Henrik Gass einmal mehr selbst übertroffen hat. Statt einer saftigen Rede zur Lage der Filmnation hat er dieses Mal das Format einer Performance gewählt, mit Flipchart, Zeitungsausschnitten, Briefen und Fotos. Das hat vor allem den Charme, dass das Fernseh-Fördersystem Deutschlands, um dessen Absurdität es ihm geht, ohne sakralen Tonfall oder übertriebenen Ernst, dafür mit der angemessenen komödiantischen Zuspitzung dargelegt wird. Ausgangspunkt ist ein Brief des WDR-Intendanten (dessen Inhalt ich kenne, weil er auch auf meinem Schreibtisch gelandet ist), in dem er unumwunden um Verständnis für die Sparpolitik seines Hauses bittet. Wie viel Geld fließt in die Pensionen, wie viel in das Programm, wie viel in die Filmförderung? Und lässt sich davon wirklich nichts abzwacken für eine künstlerische Förderung, die unabhängig von Markt- und Fernsehinteressen ist? Gass schlägt salomonisch vor, einen Teil des Kuchens dafür zu reservieren; bescheiden fordert er für die freie Förderung nur zehn Prozent der von ihm geschätzten rund 250 Millionen Euro, die bereits zur Verfügung stehen (ich meine, es sind deutlich mehr, wenn man nicht nur die Produktionsförderung zählt).
Es geht also auch vordergründig in Oberhausen um ganz andere Dinge als um Kurzfilme. Die meisten Kollegen feiern die heitere Tristesse und die vielen Gleichgesinnten, die sich vor der Lichtburg in der Elsässer Straße zusammenfinden. Nach Oberhausen kommen regelmäßig nur Leute, die Filmen auch ästhetisch etwas abgewinnen, niemand ist hier aus Branchenhypegründen. Auf meine Frage in eine kleine Runde vor dem Kino, ob das mit den vielen Kurzfilmen wirklich seine Richtigkeit hat, ernte ich vor allem verdutzte Blicke. Sie halten meine leichtfertigen Sätze offenbar für einen Scherz. Erst auf meinen Hinweis, dass es nicht gerade zum Vorteil der Retrospektiven ausfällt, viele (manchmal sogar alle) Filme einer Regisseurin oder eines Regisseurs am Stück zu sehen, gibt es leise Zustimmung.
Profil Jeanne Faust: Die Kamera lebt, der Film versteht

Wie immer in Oberhausen sind die Programme jenseits der Wettbewerbe das Entscheidende. Ich sehe drei „Profile“, eines zu Anne Haugsgerd, eines zu Jeanne Faust und eines zu Josef Dabernig. Zweifelsfrei am interessantesten ist das Werk von Faust, aber selbst bei ihren Filmen beschleicht mich im Laufe des Abends immer mehr das Gefühl, dass die Filme einzeln wirkungsvoller wären. Gegen die schiere Menge (zehn) hilft, dass es sehr unterschiedliche Dinge sind, die mich an Fausts Filmen faszinieren. Da gäbe es das Spiel mit der dokumentarischen Form, dem Ungelenken und dem Widerstand in Interview (2002). Faust nähert sich dem Schauspieler Lou Castel, soweit er es zulässt – oder sie ihn es zulassen lässt –, und geht mit ihm durch die Räume (s)einer Wohnung. Es ist eng, er ist rastlos. Jede Bewegung ist eine Flucht oder auch eine Provokation. Die Kamera lebt, der Film versteht.

Excuse me Brother (2007) ist nicht denkbar ohne die vielen Filme, die Wissenschaftlern fasziniert über die Schultern blicken. Hier wird eine Gottesanbeterin präpariert, mit der Pinzette und mit den Fingern. Anweisungen kommen aus dem Off. Ohne viel dafür tun zu müssen, mischt sich mit dem analytischen Blick eine lapidare Komik, die den Film weich und zart erscheinen lässt. Das tut gut. In Rodeo (1998), einem vergleichsweise klar narrativen Stück, sind die Darsteller hinreißend, weil sie ihr Leben, das offenbar ein eher leeres ist, zu kompensieren wissen, der eine mit Übermut, der zweite mit Offenheit, die dritte mit spielerischem Widerstand. Es passiert etwas, und kaum bekommt es Bedeutung, ist die Aufmerksamkeit schon wieder woanders. Am Ende hat der Film sogar eine Pointe – eine, die Lust macht, den Blick weiter schweifen zu lassen. In der zweiten Hälfte des Programms läuft IV (2005), der sich mit zwei Bildern aus dem großartigen Irma Vep (1996) von Olivier Assayas beschäftigt. Aber ich hänge noch den anderen Filmen hinterher und kann mich auf das äußerlich Statische nicht einlassen.
Thematische Reihe „El Pueblo“: Dialektik des Sicht- und Unsichtbaren

Das inspirierendste Programm stammt aus der durchwachsenen thematischen Reihe zu lateinamerikanischen Filmen „El Pueblo“. Weil die Klammer für jeden Block in aller Regel eine thematische ist, sind die Zusammenhänge recht naheliegend. Der dozierende Kurator Federico Windhausen braucht viele Worte, um das zu umkreisen, will den Blick nicht verstellen, wenig vorgeben für die Erfahrung. Das ist mir zwar ohnehin am liebsten, schadet aber immer dann, wenn die Filme scheinbar willkürliche Wiederholungen derselben Produktions- und Montagemethoden (oft: garstig direkt mit einem kleinen ästhetischen Kniff) zu ein- und demselben Thema darstellen. Ein Programm aber ist ganz außergewöhnlich, und sein erster Film hat es mir besonders angetan. Unter dem Titel „Máquina de Cidade (or, The City Machine)“ läuft zunächst ein Dokument von 1967: Brasília, contradições de uma cidade nova von Joaquim Pedro de Andrade. Erst in den 2000ern wurde der Film zugänglich gemacht, zuvor war er aufgrund seiner kritischen Haltung versteckt und nie öffentlich vorgeführt worden. Die schöne Filmkopie entführt in die titelgebende Stadt im Aufbau. Ein dankbares Thema für ein analytisches Stück, das fasziniert und faszinierend die Architektur und urbane Infrastruktur umkreist und erfasst. Der Off-Kommentar ordnet gleich kritisch ein, aber es sind die plötzlich ganz selbstverständlich ins Bild genommenen Interviews mit Arbeitern, die das soziale Projekt des Films erfüllen. Arbeitsbedingungen, Träume, Lebensläufe stehen sehr natürlich und dennoch schroff neben den monumentalen Bauten. Großartig, wie eindeutig parteiisch und wie interessiert zugleich der Film die Dialektik des Sichtbaren (Architektur) und des Unsichtbaren (der sozialen Konstruktion dahinter) heraufbeschwört.
Kino für Eilige

Zu den grundsätzlichen Dingen: Auf die ohnehin eher scherzhaft gemeinte Frage, warum Kurzfilme lang sind, gibt es nur eine angemessene Antwort: Sind sie nicht. Im Gegenteil: Sie waren schonmal länger. In diesem Jahr sind ganz wenige Filme mit mehr als 20 Minuten Laufzeit dabei, in meinen Programmen kein einziger über 30 Minuten – und das obwohl Oberhausen traditionell sehr offen für die aktuelle (Hochschul-)Tendenz immer längerer Kurzfilme ist. Nächste Frage: Warum laufen sie zu Programmen geschnürt? Kurzfilmprogramme mit mehreren Kurzfilmen hintereinander gab es schon immer. „Kino für Eilige“ erinnert eine Kollegin vor der Lichtburg an einen früheren Kurzfilmspruch. Das hat etwas für sich, obwohl ich es im Kino nicht gerne eilig habe. Sieht man von Festivals einmal ab, dann gibt es heute Kurzfilmprogramme sicherlich auch deswegen, weil sie als Vorfilme (leider) fast gar nicht mehr zum Einsatz kommen.
Bleibt noch die Frage aller Fragen: Wie viele Kurzfilme darf man hintereinander zeigen? Zwei Extreme: Am Eröffnungsabend laufen lediglich vier vergleichsweise kurze Arbeiten, zusammen etwa eine halbe Stunde Programm. Bei „El Pueblo“ gibt es einen Block mit fünfzehn Filmen, zusammen weniger als eine Stunde. Das eine ist zu wenig, das andere zu viel. So weit, so einfach. Mit der Gesamtlänge des Programms hat es in beiden Fällen nichts zu tun. Stattdessen mit der Varianz, den Kontrasten und der gefühlten Einheit. Während das Eröffnungsprogramm pure Vielfalt darstellen soll, gibt es bei „El Pueblo“ die Tendenz, ähnliche Filme zu gruppieren. Nur braucht es beides: den Zusammenhang zwischen den Filmen und die (vor allem ästhetische) Diversität. So einfach, so wichtig – vor allem für den Zuschauer mit Erkältung.
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