Unterschwellig glimmernd: Rotterdam Film Festival 2022

In Rotterdam gibt es neben Männern in der kasachischen Steppe, allerlei Corona-Allegorien und Gender-Dekonstruktionen auch den neuen Film von Terence Davies zu sehen. Ein Sehtagebuch.


Benediction
(Regie: Terence Davies)

Die Brüder Sassoon ziehen mit Auftakt des Films frohen Mutes in den Ersten Weltkrieg. Über einen Disziplinarausschuss, einen Aufenthalt im Sanatorium, die Poesie und schmerzhafte Beziehungen kämpft sich Siegfried Sassoon (Jack Lowden) ins Leben zurück. Irgendwie. Doch das wahre Drama findet sich nicht in den biografischen Spielszenen von Benediction, sondern in den Archivaufnahmen des Weltkriegs, die immer wieder eindringen. Tod, Leichenberge und machtlos empfangene, faulende Wunden sowie deren Sinnlosigkeit graben sich in den Film ein.

Der rauen Faktizität des Kriegs steht die Glätte der digitalen Bilder der Fiktion entgegen. Das Porträt von Siegfrieds Leben – gerade in der zeitlichen Nähe zum Krieg – ist von frontalen Einstellungen geprägt. Von irreal wirkenden, bühnenhaften Hintergründen. Erst mit der Zeit verliert sich das „Falsche“ der Bilder, die ebenso von Distanz sprechen wie die Poesie, die immer wieder den Film bestimmt. Diese ist nämlich weniger zärtliche Annäherung an Unaussprechliches als eine Trennwand, die zwischen sich und einer zu harten Realität gestellt wird. Im Vergleich zu Davies’ Emily-Dickinson-Biografie A Quiet Passion (2016) ist dieses ebenso unterschwellig glimmende Melodrama soweit von seinem emotionalen Kern entfernt, dass er fast schon zum Essayfilm wird.


Splendid Isolation
(Regie: Urszula Antoniak)

Zwei Frauen ziehen in ein leerstehendes Designerhaus am Strand. Warum hier alles wie ausgestorben ist, weshalb eine Drohne sie im Freien wie ein treuer Hund verfolgt, welche Rolle der schallisolierte Kellerraum mit dem Bett mit den Gurten spielt, wer der geheimnisvolle Besucher ist, der sich irgendwann einstellt, alles bleibt im Vagen und der Fantasie überlassen.

Die Hauptfiguren befinden sich fast den gesamten Film über in einer Splendid Isolation, wobei auch sie nicht wirklich zueinander finden. Die wenigen Dialoge dienen einem rudimentären Informationsaustausch und bleiben ohne gegenseitiges Verständnis. Für Berührungen gibt es nur Ersatz. So müssen sie die Glasscheibe zwischen sich liebkosen oder bleiben durchsichtig wie Geister, wenn sie den nackten Körper der anderen streicheln. Hinzu kommen (Überwachungs-)Kameras und Bildschirme: Unschwer ist Urszulas Antoniaks neuer Film als Corona-Allegorie zu erkennen, als Verfilmung von Edgar Allen Poes Die Maske des Roten Todes – ohne dekadentes Partysetting.

Getragen wird das Ausharren und Dahinleben in einer unbestimmten Bedrohung von groben Gegensätzen und sinnlichen Oberflächen. Die Zimmer sind entweder dunkel oder lichtdurchflutet. Eine der Frauen (Anneke Sluiters) ist fragil, blond und hat glatte Haare, die andere (Khadija El Kharraz Alami) athletisch und schwarzhaarig mit Locken. Todessehnsucht hier, Überlebenswille dort. Am schönsten ist Splendid Isolation aber, wenn er sich auf Impressionen von Strukturen zurückzieht. Sand, der über den nassen Strand weht. Wellen im Wasser. Gestrüpp auf den Dünen. Das Wattenmeer. Sehnsucht nach Oberflächen und eine allgegenwärtige Trennung bestimmen dieses minimalistische Nichts in der Zeit.


Yamabuki
(Regie: Yamasaki Juichiro)

Nach einem Steinrutsch wird ein koreanischer Bauarbeiter sichtlich verletzt in seinem umgestürzten Arbeitsfahrzeug liegen. Unfähig sich aus seiner Lage zu befreien, ruft er: „Nicht schon wieder!“ Worin die Wiederholung genau liegt, kann nur vermutet werden, da Yamabuki nur Indizien bereithält. Der Film ist eben genau so wenig konfrontativ wie seine Figuren – zwei nach Halt suchende Außenseiter und die mit ihnen verbundenen alleinerziehenden Eltern. Lediglich eine Kette von Augenblicken hält Yamabuki bereit, die meist still sind und erst in ihrer Kombination größere Dramen bereithalten. Es ist, als ob ein direktes Ansprechen zu schmerzhaft wäre.

Eine Tasche voller Geld und besagter Steinrutsch beeinflussen das Geschehen zentral. Sie bleiben aber nur zwei weitere Dinge in einem beständigen Strom von Ereignissen. Sie sind Katalysatoren für das melancholische Mäandern um soziale und individuelle Verantwortung, die Möglichkeit von Glück und den Unterschied zwischen einem Schicksal und zufälligen Echos im eigenen Leben.

Gedreht wurde Yamabuki auf 16mm-Film. Das Digitalisat, das beim Internationalen Filmfestival Rotterdam gestreamt werden konnte, sah schön und interessant, aber nicht sehr organisch aus, verstärkt damit das aus der Zeit Gefallene des Films.


Neptune Frost
(Regie: Saul Williams, Anisia Uzeyman)

Befreiung von den Grenzen des Geschlechts sind in Neptune Frost kein großes Problem. Ein magischer Akt reicht und schon wird aus Tekno (Elvis Ngabo) etwas anderes, Neptune (Cheryl Isheja). Das Abwerfen von Unterdrückung und gesellschaftlichen Missständen sind da ganz anders. Ebenso magisch werden flüchtige Coltan-Minenarbeiter zu kybernetischen Wesen mit Antennen in den Ohren, organischem Zugang zur Syntax des Internets und Tastaturkleidung. Sie können die globale Datenwelt, für deren Produktion sie ausgebeutet wurden, zwar hacken, für eine nachhaltige Änderung stehen ihnen aber zu viele hegemoniale und militärische Ressourcen entgegen.

Saul Williams’ Album MartyrLoserKing (2016) war fiebrig und wütend. Die kybernetische Hackergruppe in den Bergen Burundis teilt sich zwar den Namen mit dem Album, aber die Wut und mit Abstrichen das Fiebrige fehlen hier. Gerade die Musik in diesem Afrofuture-Musical entwickelt wenig Druck, sondern bleibt eher meditativ und tastend. Ein bewusst unpointiertes Wabern aus runtergebrochenen Argumenten und fantasievollen Low-Budget-Kostümen beherrscht Neptune Frost. Ein Wabern, das nahelegt, dass Saul Williams eher Poet der Worte als der bewegten Bilder ist.


Assault
(Regie: Adilkhan Yerzhanov)

Ein Alkoholiker, ein Schuldirektor, ein geistig Behinderter, ein Provinzpolizist, ein nerdiger Mathe-, ein „metrosexueller“ Musik- und ein Kampfsport-begeisterter Sportlehrer ziehen sich in die eisige Steppe zurück und üben mit der kargen lokalen Polizeiausrüstung den Sturm einer von Terroristen besetzen Schule. Es hört sich nicht zufällig wie der Beginn eines Witzes an. Assault lässt keine Möglichkeit aus, die Unzulänglichkeit seines männlichen Personals zu unterstreichen und daraus Pointen zu machen. Wie bei Ruben Östlunds ähnlich gelagertem Höhere Gewalt (Force Majeure, 2014) bleibt die Auseinandersetzung mit Männlichkeit aber Schattenkampf und Ansammlung von Karikaturen.

Zumindest kann niemand Assault etwas bei der Inszenierung von trockenem Witz vormachen. Und wenn die an Aki Kaurismäki geschulte Mise-en-scène nicht für Ausstellung von Tristesse und tristen Männern genutzt wird, sondern wenn das im Bild steht, was den Film kaum interessiert, dann deutet sich immer wieder ein viel besserer Film an. Die Siedlung im kasachischen Nirgendwo besteht aus Weite, Schnee und Eis, in die lediglich eine Schule, eine Polizeihütte und Strommasten eingelassen sind. Die Terroristen bleiben ebenso abstrakt, dass sie fast wie aus einer surrealen, von Traumata geschwängerten Parallelrealität zu kommen scheinen. Zumindest die Bühne, die den Männern bereitet wird, ist faszinierend.


Please Baby Please
(Regie: Amanda Kramer)

Noch ein Film, der die Dekonstruktion von Gender angeht. Ein Ehepaar verstrickt sich erotisch und kriminell mit einer Straßengang – trotz oder gerade wegen der anfänglichen Abneigung und Angst vor deren Gewalt. Dabei lösen sich ihre tradierten Rollenmodelle zusehends auf. David Lynch und Jim Jarmusch sind augenscheinlich Einflüsse auf die Parallelwelt von Please Baby Please. Die Farben sind so grell wie der Inhalt eines Kaugummiautomaten, die Welt entrückt und abstrakt, gleich einer Theaterbühne. Nur leider ist diese Parallelwelt nur ein Afterthought zu den aufdringlichen, endlosen Dialogen, die einem die Agenda des Films aufzwängen.

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