Und dann war’s auch schon rum – Duisburger Filmwoche 2018

34 Jahre lang leitete Werner Ruzicka die Duisburger Filmwoche. Die letzte Ausgabe unter seiner Ägide zelebrierte das ganz nüchtern mit Essiggurken.

Ein Film stand am Anfang und am Ende der 42. Duisburger Filmwoche: Kulenkampffs Schuhe eröffnete nicht nur das Festival, sondern erhielt zum Schluss auch noch einen der Hauptpreise. Das ist durchaus ungewöhnlich, zum einen weil Eröffnungsfilme selten Wettbewerbe gewinnen, zum anderen weil Kulenkampffs Schuhe bereits im August im Ersten lief und beim SWR wiederholt wurde, natürlich beides samt Mediathekenauswertung. Regina Schilling hat tatsächlich einen herausragenden Fernsehfilm gemacht, eine Auftragsarbeit noch dazu, die sich der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte mit und durch große Showformate des Fernsehens nähert.

Gemächlichkeit und Streitlust

Ob vorherige TV-Premiere, Kinostart oder große Präsenz auf Festivals: Hier ist sowas egal. Dass Duisburg es sich leistet, sich konsequent dem Prinzip der Neuigkeit zu widersetzen, ist neben den ausgiebigen Filmgesprächen die größte Besonderheit des Festivals. Eine, die genauso altmodisch wie sympathisch wirkt: Das dokumentarische Filmschaffen des Jahres soll hier schließlich zusammenkommen und vor allem die Regisseure (und seltener Regisseurinnen) miteinander ins Gespräch bringen.

In den 1970ern geboren, atmet die Filmwoche diesen anderen Rhythmus, eine Gemächlichkeit gepaart mit Streitlust. Weil Letztere aber zunehmend nachgelassen hat, die Stammbesucher immer weniger und wenn dann leiser mitdiskutieren und immer seltener politische Kämpfe auf offener Bühne ausgetragen werden, ist die Gemächlichkeit heute vielleicht auch des Festivals größte Hypothek, führt sie doch regelmäßig zu anekdotischen und letztlich austauschbaren Gesprächen. Jedenfalls dann, wenn sie dazu führt, dass das Prinzip, keine Filme parallel zu zeigen, für Fachbesucher in größeren Lücken mündet, weil ein Großteil der Beiträge schon auf der Berlinale lief. Noch dazu scheint es Monate später nicht so leicht zu sein, sich über diese Filme noch zu echauffieren oder sie begeistert zu feiern.

Weniger als eine Woche vorher hatte beim DOK Leipzig der Dokumentarfilm Lord of the Toys von Pablo Ben-Yakov und André Krummel den Hauptpreis im deutschen Wettbewerb gewonnen und für große Kontroversen gesorgt – weil sein Blick auf rechtsextreme YouTuber von einigen als zu affirmativ wahrgenommen wurde. Werner Ruzicka und seine Auswahlkommission haben den Film nicht mal zu Ende geschaut, die ersten 10 Minuten hätten ihnen gereicht, erzählt er abends in geselliger Runde. Sie wussten schnell, wahrscheinlich vorschnell, sie wollten ihn nicht zeigen.

Der Schalk von Werner Ruzicka

Als ob uns Duisburg zum Abschied seines Leiters mitteilen wollte, Streit sei nicht alles, hing in diesem Jahr ohnehin alles etwas tiefer. Keine groß umstrittenen Filme, sondern mal mehr, mal weniger gelungene Beispiele einer Zunft, die sich für die Gegenwart interessiert und dafür nicht selten auf die Vergangenheit blickt, etwa mit Archivmaterial wie in Der Funktionär von Andreas Goldstein, Waldheims Walzer von Ruth Beckermann und SPK Komplex von Gerd Kroske. Statt großer Abschiedsreden gab es ein Überraschungskonzert von Peter Ott und Ted Gaier, auf das alle vorher eingeschworen wurden, von 3sat ein großes eingerahmtes Logo und von einer der Jurys eine Essiggurke mit Anekdote. Und da war er wieder: der Schalk von Werner Ruzicka.

Die überraschendsten Filme waren zwei kurze, halbstündige Essays, die mit ungestümem Musikeinsatz das Spiel und den Spaß im Umgang mit dokumentarischem Material zelebrierten. Alexandre Koberidze (Lass den Sommer nie wieder kommen) hat in Israel einen Bäcker bei seiner Arbeit begleitet, doch das ist weniger als die halbe Miete, denn Linger on Some Pale Blue Dot beginnt im Weltraum und führt zu Katzen, unterwegs fährt er jeden musikalischen Kitsch des Kinos auf, bis alles wunderbar Sinn ergibt. Adnan Softić stiftet in Bigger Than Life eine Reihe Diskurse um die Schönheit von Skopje und die Hoffnung auf den baldigen Untergang, leitet alles aus Griechenland her und lässt die Kamera wackeln, als Zeichen eines schlecht imitierten Erdbebens. Warum nicht? Vieles andere wirkte sehr brav und sehr bemüht dagegen.

Klamme Kasse

Das dominierende Thema des Festivals waren aber ohnehin nicht die Filme, sondern das Ende einer Ära, die beinahe die gesamte Geschichte des Festivals umspannt. Ein Unikum, sagt der eine, ein begnadeter Moderator, ein anderer. Ruzicka, mit den oft geschürzten Lippen und der feinen Ironie im Lächeln, zieht die Gäste in seinen Bann. Man müsste meinen, es wäre Gelegenheit, die Korken knallen zu lassen, doch die Unsicherheit über die noch immer nicht geregelte Nachfolge und damit über die Verträge aller Mitarbeiter stand in den Gesichtern der Veranstalter, der Moderatoren, der Kommissionsmitglieder.

Als der Vertreter der Stadt Duisburg bei der Preisverleihung gleich mehrfach den Witz machte, der Preisträger solle den Scheck der Stadt möglichst schnell einlösen, weil zum Jahresende die Kassen klamm seien, schien auch eine Botschaft für alle anderen durch: Bitte erwartet nicht, dass wir für die Duisburger Filmwoche viel werden reißen können. Das aber wäre fatal. Mit dem bevorstehenden Wechsel an der Spitze bedarf es einer neuen, stärkeren Dynamik, um diese besondere, neugierige und streitbare Dokumentarfilmkultur wieder aufleben zu lassen. Viel Zeit, um die Zukunft vorzubereiten, bleibt nicht.

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