Unaufdringlich mitschwingende Subtexte – Retrospektive Commedia all’italiana
Die Commedia all’italiana war eines der populärsten Genres der 1950er und 60er Jahre. Die Filme nahmen die Folgen des wirtschaftlichen Aufschwungs aufs Korn und verbargen ihre Gesellschaftskritik hinter beißendem Humor. 21 von ihnen sind im Mai im Berliner Kino Arsenal zu sehen.

Beim Stichwort „Italienische Komödie“ sprudeln die Assoziationen. „Amore“ schmachtende Latin Lover, Sophia Loren als resolute Prostituierte mit Herz, amüsante Verwicklungen vor einer stetig heiteren Mittelmeer-Kulisse. Und Don Camillo und Peppone, die beiden auch im deutschen Fernsehen jahrzehntelang omnipräsenten Widersacher. Dabei handelt es sich bei dem Konflikt zwischen dem kommunistischen Bürgermeister und dem katholischen Pfarrer einer italienischen Kleinstadt um keine rein spaßige Angelegenheit. Dass sich darin die Realität der Nachkriegszeit in Italien spiegelte in ihrem Widerstreit zwischen ökonomischem und soziokulturellem Wandel einerseits und dem Erhalt tradierter Werte andererseits, wird oft übersehen, führt aber unmittelbar in Richtung der „Commedia all’italiana“. Der Komödie nach italienischer Art, wie sie seit den späten 50er Jahren genannt wird.

Der 1958 in die Kinos gekommene I soliti ignoti (Diebe haben’s schwer, Regie: Mario Monicelli, Buch: Age & Scarpelli), gilt als Initialzündung dieser Stilrichtung, die ihre Gesellschaftskritik hinter ihrem oft beißenden Humor verbarg. I soliti ignoti ist auch der älteste Film der im Mai im Kino Arsenal laufenden Retrospektive, deren 21 Filme den Zeitraum von 1958 bis 1974 und damit die Hochphase der „Commedia all’italiana“ repräsentieren. Die Entwicklung in Richtung dieser beim Publikum sehr erfolgreichen Unterhaltungsfilme trat schon deutlich früher ein und lässt sich auf den Einfluss des Neorealismus zurückführen. Mario Monicelli, Dino Risi, Luigi Zampa, Pietro Germi, Antonio Pietrangeli, Alberto Lattuada, Vittorio De Sica, Luigi Comencini oder Ettore Scola, deren Filme in der Retrospektive gezeigt werden, begannen alle in den 1940er und frühen 50er Jahren in der römischen „Cinecittà“ als Regisseure, Assistenten und Drehbuchautoren oder, wie De Sica, als Schauspieler schon in den 1930er Jahren.

Auf dieser Basis bildeten sich seit den späten 40er, frühen 50er Jahren feste langjährige Teams. Darunter De Sica (Regie) und Cesare Zavattini (Drehbuch), deren Ladri di biciclette (Fahrraddiebe, 1948) oder Umberto D. (1952) zu den Hauptwerken des Neorealismus zählen. Von ihnen läuft Il boom (1963) im Programm, der die Folgen des wirtschaftlichen Aufschwungs kritisch aufs Korn nahm. Prägender für die „Commedia all’italiana“ war das Autorenpaar Agenore Incrocci, genannt „Age“, und Furio Scarpelli, die ab den späten 40er Jahren eng mit dem damaligen Regie-Duo Mario Monicelli/Steno zusammenarbeiteten. Ihre frühen gemeinsamen Filme wie Totò cerca casa (1949) oder Guardie e ladri (Räuber und Gendarm, 1951), die die Arbeitslosigkeit und die Wohnungsnot der Nachkriegszeit in komödiantischer Form verarbeiteten, zeigten schon früh die wesentlichen Stilmerkmale der „Commedia all’italiana“. Acht der in der Retrospektive gezeigten Filme entstanden nach Drehbüchern von Age & Scarpelli.

Dem steht Ettore Scola als Autor und Regisseur nicht viel nach, der an fünf Filmen der Reihe mitwirkte. Gemeinsam mit Regisseur Antonio Pietrangeli und seinem Co-Autor Ruggero Maccari bildete er seit Mitte der 50er Jahre ein kongeniales Team. Drei ihrer Filme werden gezeigt, die Mitte der 60er Jahre vor dem frühen Tod Pietrangelis entstanden waren. Darunter Io la conocevo bene (Ich habe sie gut gekannt) mit Stefania Sandrelli – bei Pietrangeli spielten immer die Frauen die Hauptrolle – über eine junge Frau, die in die Mechanismen des Showbusiness gerät. Ein entspannter Film nahe am Zeitgeist, dessen kritischer Subtext unaufdringlich mitschwingt. Allein die Anfangssequenz, in der die Protagonistin vom Sonnenbad am Strand bis zu dem Friseurladen schreitet, in dem sie arbeitet, lohnt schon die Sichtung.

Auch an den zwei Filmen, die die Retrospektive eröffnen und abschließen, war Scola unmittelbar beteiligt. Il sorpasso (Verliebt in scharfe Kurven) ist einer von vier Filmen des Regisseurs Dino Risi, die gezeigt werden. Der Film, an dessen Drehbuch Scola und Maccari mitwirkten, zeichnet sich dadurch aus, dass er sich keines speziellen Themas annahm, sondern auf der Basis eines Roadmovies einen Blick auf Italien und dessen sich in den Wirtschaftswunderjahren verändernde Sozialisation warf und dabei eine Vielzahl an Facetten beleuchtete. Dino Risi, ein führender Vertreter der „Commedia all’italiana“, sollte diese Art der kritischen und gleichzeitig amüsanten Gesamtanalyse Italiens noch mehrfach wiederholen. Der neben Pane e cicciolata jüngste Film der Retrospektive C’eravamo tanto amati (Wir haben uns so geliebt) von 1974 beschließt das Programm. Regisseur und Autor Ettore Scolas warf darin einen so komischen wie melancholischen Blick zurück auf die Zeit seit dem Kriegsende in Italien – ein idealer Abschluss einer Retrospektive, in der jeder Film uneingeschränkt empfehlenswert ist.
Das gesamte Programm gibt es auf der Website des Arsenals
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