Totale Bildwerdung des Sex: Die Filme von Gregory Dark

Will man etwas über die dominante Visualität des späten 20. Jahrhunderts erfahren, sind die Direct-to-Video-Arbeiten von Gregory Dark ergiebiger als die gesammelten Cannes-Sieger der 1980er und 1990er Jahre. Dabei ist der Hauptschauplatz seiner Softsexfilme das Innenleben der Protagonistinnen.

Meiner nicht allzu verlässlichen Erinnerung zufolge lassen sich die Erotikfilme, die Mitte/Ende der 1990er Jahre nachts auf Sendern wie Kabel 1 und Vox gezeigt wurden, grob in zwei Gruppen unterteilen. Zum einen gab es europäische oder europäisch anmutende Produktionen oft etwas älteren Datums, vergleichsweise aufwendig und ursprünglich für die große Kinoleinwand inszeniert, gerne mit historischem, aristokratisch angehauchtem Setting (Young Lady Chatterley, 1977; Lady Chatterley’s Lover, 1981 etc.) oder angesiedelt in „exotischen“ Lokalitäten (Emmanuelle, 1974; Black Emmanuelle, 1975 etc.). Zum anderen gab es amerikanische Filme meist deutlich jüngeren Datums, die mit Vorliebe in sterilen, austauschbar anmutenden Innenräumen spielen und von perfekt frisierten, üppigen Hausfrauen erzählen, die auf Abwege geraten.

Mir gefielen damals die europäischen Filme viel besser. In ihnen hatten die Frauen und der Sex den spektakulären Rahmen, den sie, in meinen Augen, verdienten. Bei amerikanischer Erotik schaltete ich dagegen, obwohl sie keineswegs weniger nackte Haut zeigte, meist bald um, in ihr war es mir kalt, eng, klaustrophobisch zumute. Die Frauen in diesen Filmen wirkten auf mich arrogant, die Männer eklig. Vermutlich waren nicht wenige dieser mir damals unbehaglichen amerikanischen Sexfilme Regiearbeiten von Gregory Dark.

Verfilmte Herrenwitze in Post-Punk-Kostümierung

Dark, bürgerlich Gregory Hippolyte Brown, hat in den 1970er Jahren an der Stanford University Kunst studiert. Über ein Dokumentarfilmprojekt lernt er den Produzenten Walter Gernert kennen und steigt mit dessen Hilfe 1984 in die Pornobranche ein. Die beiden nennen sich The Dark Brothers, mit New Wave Hookers landen sie 1985 einen Riesenhit. Dark-Pornos sind hochgradig artifiziell, asozial und edgy, verfilmte Herrenwitze in Post-Punk-Kostümierung. Ab 1986 entstehen neben Hardcore-Videos auch nichtpornografische B-Filme für den Videomarkt, insbesondere ab 1991 eine Serie von 14 erotischen Thrillern für die Produktionsfirma Axis Films.

Ende der 1990er steigt Dark komplett auf Musikvideos um. Neben zahlreichen Arbeiten für Hip-Hop- und Metal-Acts dreht er auch Clips für Britney Spears und Mandy Moore. 2006 wiederum gelingt ihm der langersehnte Sprung nach Hollywood, mit See No Evil, einem blutigen Horrorthriller im Fahrwasser von Saw (2004) und Hostel (2006). Nachdem der Film an den Kinokassen einigermaßen gut läuft, dreht Dark zum ersten Mal so etwas Ähnliches wie einen Autorenfilm: Little Fish, Strange Pond (2009), eine Indie-Komödie mit Matthew Modine. Danach entstehen nur noch sporadisch Filmarbeiten. (Stattdessen scheint sich Dark einem komplett neuen Tätigkeitsfeld zugewendet zu haben: Im Jahr 2019 wird am Psychology Department der Antioch University Santa Barbara eine Dissertation mit dem Titel „Blurred Lines Between Role and Reality: A Phenomenological Study of Acting“ angenommen. Verfasser: Gregory Hippolyte Brown.)

Cinephiles Prestige hat Dark diese eigenartige Karriere kaum eingebracht, dafür aber hat sie ihn in Kontakt gebracht mit gleich einer ganzen Reihe entscheidender Schnittstellen der zeitgenössischen popkulturellen Bewegtbildproduktion. Will man etwas über die dominante Visualität des späten 20. Jahrhunderts erfahren, dann sind Darks Arbeiten vermutlich ergiebiger als die gesammelten Cannes-Siegerfilme der 1980er und 1990er Jahre. Kern- und Schmuckstück der Filmografie sind die Axis-Produktionen. Hier findet Dark, im Rahmen einer vorderhand strikt durchkonventionalisierten filmischen Form, zu einer eigenständigen, abgründigen Ästhetik des Erotischen.

Weniger Erotikthriller als sexuelle Melodramen

Die Glanzzeit der soften, also nichtexpliziten filmischen Erotik sind (siehe oben: Emmanuelle & Co) die 1970er Jahre. Nach dem Siegeszug der Hardcore-Variante gilt die Form als erledigt, fristet nur noch ein Nischendasein im Trashsegment. Die Proliferation des Privatfernsehens und der Videoboom sorgen dann allerdings für eine zweite Welle: Da die meisten Fernsehsender und auch einige Videothekenketten keine Hardcorepornos ins Programm aufnehmen, öffnet sich in den 1990ern für ein paar kurze Jahre ein Fenster für etwas aufwendiger produzierte Softerotik. Die Gewinnspannen sind niedrig, aber dafür ist die Formel einigermaßen simpel: Eine handelsübliche Mord- und Totschlaggeschichte wird ungefähr alle zehn Minuten von einer Sexszene unterbrochen, die im Allgemeinen in einem geschmackvoll-romantischen, „Couple-tauglichen“ Stil gehalten ist (wobei das empirische Publikum, darauf verweisen schon die Nutzerkommentare auf IMDb und anderen Websites, doch vorwiegend männlich gewesen sein dürfte; freilich formiert sich inzwischen, vor allem auf Blogs und auf Letterboxd, auch eine kleine weibliche Fangemeinde).

Darks Softcorefilme halten sich an diese Regeln, sogar strenger als die meisten anderen Genrebeiträge: Wo viele DTV-Erotikthriller eher wie „normale“ Low-Budget-Thriller mit lustloser Erotikzugabe wirken, ist das sexuelle Nummernprinzip in seinen Filmen die eigentliche Triebfeder. Außerdem gibt es, auch das verweist auf die fließbandmäßige Fertigung, eine Art thematische Sortierung: In Animal Instincts I bis III (1992, 1994, 1996) geht es um Voyeurismus, in Secret Games I bis III (1992, 1993, 1994) um Prostitution und in den ziemlich durchgeknallten Mirror Images I und II (1992, 1993) um Zwillingserotik.

Bereits die Bezeichnung Erotikthriller ist freilich irreführend. Man denkt bei dem Begriff an Brian De Palma, Paul Verhoeven, Joe Eszterhas, an spekulatives Spannungskino in der Tradition von Film noir und Alfred Hitchcock, das in den frühen 1990er Jahren ebenfalls eine Blütezeit erlebte. Bevölkert werden die „großen“ Erotikthriller von eher tumben männlichen Hauptfiguren, die sich von Femme fatales um den Finger wickeln lassen. Erotik ist im Erotikthriller des Kinos etwas Aggressives, eine Waffe. Sharon Stones berühmter Beinüberschlag in Basic Instinct (1992) bringt, so gesehen, das Genre tatsächlich auf den Punkt.

Nichts, oder jedenfalls sehr wenig davon, in den Softsexfilmen von Gregory Dark. Manche Filme, insbesondere Sins of the Night (1993), spielen mit Noir-Motiven, aber die meisten anderen sind im Kern weniger Erotikthriller als sexuelle Melodramen. Zum einen ist damit eine Genderdifferenz aufgerufen: In den meisten Dark-Filmen steht nicht ein Mann, sondern eine Frau im Zentrum. Eine Frau, die ein zurückgezogenes, materiell saturiertes Leben in den Suburbs führt, gefangen in einer unglücklichen Ehe oder in einem keuschen Singledasein. Bis eines Tages ein mysteriöser Fremder in ihr Leben tritt, eine Freundin ihr ein unmoralisches Angebot unterbreitet, die Vergangenheit an ihre Tür klopft usw.

Voyeuristisches Interesse und Einfühlsamkeit

Zum anderen und vor allem verschiebt sich das Interesse von einer äußeren auf eine innere Dramaturgie. Es gibt zumeist (aber nicht immer) schon noch einen Kriminalplot, aber der ist den Filmen im Allgemeinen nicht allzu wichtig, wird lieblos nebenbei oder gerafft in der letzten Viertelstunde abgehandelt. In den besten Beiträgen der Serie, wie etwa in Carnal Crimes (1991), Mirror Images (1992), Animal Instincts II (1994) oder Object of Obsession (1994), wird er lesbar als eine bloße Projektion, als eine Externalisierung der Ängste und Fantasien der Hauptfigur. Denn das ist der Hauptschauplatz der Softsexfilme von Gregory Dark: das Innenleben der Protagonistinnen. (Lesetipp, vor allem auch, was den Unterschied zwischen den „großen“ und den „kleinen“ Erotikthrillern betrifft: Linda Ruth Williams: The Erotic Thriller in Contemporary Cinema. Edinburgh: Edinburgh University Press 2005.)

Das mag sich erst einmal absurd anhören bei einem Genre, das sich in erster Linie über Schauwerte definiert. Tatsächlich zeigen die Filme, dass es nicht zwingend einen Widerspruch gibt zwischen voyeuristischem Interesse und Einfühlsamkeit. Jedenfalls nicht im Film, einem Medium, in dem wir so oder so zunächst auf Äußerlichkeiten zurückgeworfen sind. Die Protagonistinnen definieren sich zunächst durchaus über ihre Körper, insbesondere über ihre großen Brüste. Die Erotik von Dark-Heldinnen wie Delia Sheppard, Linda Carol und vor allem Shannon Whirry, die gleich in mehreren seiner Filme glänzt, ist nicht die Erotik des Vamps, auch nicht die der 80er-Jahre-Powerfrau. Dark-Frauen sind private, häusliche Geschöpfe, nicht unterwürfig und auch nicht mütterlich, aber doch passiv, weich, gehemmt. Vielleicht ist es dieser Hang zur Privatheit, den ich in den 1990ern mit Arroganz verwechselt hatte und der dafür sorgte, dass ich mich mehr zu den neugierigeren, offenherzigeren europäischen Frauen hingezogen fühlte.

Erfreulich vulgärer Sexualtherapeut

Um noch einmal auf den Unterschied zum Mainstream-Erotikthriller zurückzukommen: Ausgangspunkt der Dark-Filme ist nicht die Verführung, die von außen kommt und die Hauptfigur destabilisiert, sondern ein bereits bestehender Mangel, eine erotische Leerstelle im privaten, häuslichen Raum. Es mag sich dabei um ein Kindheitstrauma handeln, um einen überarbeiteten oder untreuen Ehemann oder auch, ganz banal, um Impotenz. Entscheidend ist nicht der konkrete Anlass, sondern das Resultat: Die Heldin der Dark-Filme ist selbst dann, wenn ihr Ehemann neben ihr im Bett liegt, allein mit sich und ihren Brüsten. Manche der Filme werden von Szenen gerahmt, die eben diese Situation reflektieren. Die Protagonistin liegt alleine in der Badewanne und denkt über ihr Dasein nach (Secret Games 3), oder sie adressiert, ganz auf sich selbst zurückgeworfen, direkt die Kamera: „The irony of my life was that the more I longed for someone to change my life, the less I knew the person I became.“ (Linda Carol im Negligé vor dem offenen Kamin in Carnal Crimes, 1991.)

Dass die Filme Innerlichkeit und Psychologie verhandeln, heißt noch lange nicht, dass sie besonders subtil zu Werke gehen würden. Ganz im Gegenteil erweist sich Dark als ein erfreulich vulgärer Sexualtherapeut: „What has gotten into you lately?“ – „Nothing, that’s the problem.“ (Secret Games 3, 1994) In Body of Influence (1993) wundert sich die Patientin eines Psychoanalytikers: Warum nur erregen mich unsere Gespräche sexuell? Das nennt sich Übertragung, antwortet der Therapeut, das ist eine gute Sache. Und das hier, fügt er hinzu, während er ihre Brüste zu streicheln beginnt, nennt sich Gegenübertragung, das ist ebenfalls eine gute Sache.

Manche der Filme haben eine satirische Note, die sich allerdings nie zur politischen Kritik vereindeutigt. Inwieweit die Frustration der Dark-Frauen über schlechten oder gar keinen Sex auch auf ein Ungenügen an der (Obere-)Mittelklasse-Hausfrauenexistenz verweist, lässt sich aus den Filmen nie eindeutig ablesen. Zwar eröffnet sich den Protagonistinnen im Laufe eines Films zumeist ein anderer Raum jenseits der Suburb-Einöde, ein Raum der freien, gefährlichen, antibürgerlichen Sexualität (ein Bordell, ein Fotostudio, die Junggesellenwohnung des mysteriösen Verführers); die erotischen Abenteuer, die die Frauen dort erleben, münden dennoch nie in Emanzipationsgeschichten, die über das Schlafzimmer hinausweisen würden. Andererseits geht es auch nicht darum, ungebührliches weibliches Begehren zu bestrafen oder in den Grenzen der patriarchalen Ordnung stillzustellen. Sexuelle Frustration und sexuelle Erfüllung: Das ist vorderhand der einzige Gegensatz, den die Filme gelten lassen. Im Wissen allerdings, dass in diesem alle anderen mitenthalten sein können. Dark selbst nennt als wichtigsten Einfluss für seine Axis-Filme Buñuels Belle de Jour (1967).

Film als rekursives libidinöses System

In Animal Instincts II (1994) ist der Fremde, der ins Leben der vollbusigen Hauptfigur tritt, ein Nachbar, der als Angestellter einer Sicherheitsfirma Überwachungskameras auf Privatanwesen installiert – und bei der Gelegenheit oft gleich noch ein paar zusätzliche Aufnahmegeräte in die Schlafzimmer seiner Kundinnen schmuggelt. Ein ähnlicher Plot findet sich bereits in Jag Mundhras Night Eyes (1990), dem Film, der die DTV-Erotikthrillerwelle auslöste. Auch ansonsten gehört Überwachungstechnologie fast schon zur Grundausstattung des Genres. Das verweist auf seine sozialpsychologische Dimension: Dieselben Kameras, die normalerweise den Zweck haben, die Anwesen der Wohlhabenden vor Eindringlingen von außen zu schützen, richten sich nun in die andere Richtung, nach innen, und erkunden die sexuellen Untiefen der Leisure Class.

Im Fall von Animal Instincts II ist der Witz an der Sache freilich, dass die von Shannon Whirry verkörperte Hauptfigur, wenn sie die Kamera hinter ihrer Schlafzimmerlüftung entdeckt, nicht wütend, sondern erst recht neugierig wird. Vorher schüchtern und zurückhaltend, beginnt sie nun, in Bars Männer aufzureißen und mit ihnen vor dem elektronischen Auge des Nachbarn zu schlafen. Das ist eine Variation eines Motivs aus dem Vorgängerfilm: In Animal Instincts (1992) geht es um ein Ehepaar, das sein zum Erliegen gekommenes Sexleben zu retten versucht, indem die Frau sich Zufallsbekanntschaften ins Bett holt, während der Mann im Nebenzimmer das Geschehen in Echtzeit auf dem Bildschirm verfolgt. Eine Weile geht das gut: In dem Moment, in dem die Lust seiner Frau dem Mann als Bild präsent wird, bringt sie auch seine eigene wieder in Schwung.

Sex ist in den Filmen Gregory Darks immer schon Bild. In einem banalen Sinn gilt das natürlich für jeden Film erotischen Inhalts. Aber in Darks Filmen gibt es tatsächlich gar keinen Unterschied mehr zwischen dem Akt und seiner visuellen Repräsentation. In Object of Obsession schaut sich die Hauptfigur Erika Anderson im nächtlichen Fernsehprogramm einen „schmutzigen“ Film an – es ist Darks eigener Secret Games II – The Escort (1994). Das Begehren wird durch Bilder von Sex getriggert – und entäußert sich dann in weiteren, weitgehend identischen Bildern von Sex. Die anschließend ihrerseits in Gestalt von Erinnerungsbildern oder innerdiegetischen Videoaufzeichnungen durch den Film vagabundieren und damit Anschlussmöglichkeiten bieten für weitere erotische Bild-Sensationen. Das Sex-Bild gebiert andere Sex-Bilder: Film als rekursives libidinöses System.

Die totale Bildwerdung des Sex schlägt auch auf die Inszenierung der erotischen Attraktionen durch: Die Softcore-Sexszene ist diejenige Bildsorte, in der sich der voyeuristische Blick und das exhibitionistische Begehren glücklich vereint finden. Besonders häufig taucht in Darks Filmen die Spooning-Position auf: Die Partner seitlich nebeneinander, der Mann liegt hinter der Frau und reibt sich an ihren Hüften, knetet ihre Brüste. Simuliertes Spooning sieht noch ein wenig artifizieller aus als die meisten anderen Formen von Softcore-Sex, aber für die visuellen Interessen des Genres ist es ideal: Die Stellung fokussiert die expressiven Qualitäten von Sex, der Geschlechtsakt wird für die Frau zu einer Bühne, auf der sie ihren Luxuskörper im Zustand maximaler Erregung ausstellen kann. Mehr als das leisten die Filme selten. Aber so wenig ist das nicht.

Hier geht es zu den anderen Texten unseres Direct-to-Video-Specials:

PM Entertainment – Die geölte Actionmaschine

Tiny Toons Abenteuer: Total verrückte Ferien (1992)

U.F.O. Abduction (1989)

Düsterer Pathos und purer Pulp – Die Darkman-Sequels

Domitilla (1996)

California Blue: Pornostar Melissa Melendez

Stranger (1991)

Bloody Buns: Ein Serienkiller im Remake-Fleischwolf

Our Last Day (1999)

The Wonderful Ice Cream Suit (1998)

Latex (1995)

Neue Kritiken

Kommentare zu „Totale Bildwerdung des Sex: Die Filme von Gregory Dark“

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.