Toronto 2019: Mitreißende Mikro-Bewegungen
Die Geschichten sind nicht nebensächlich: Chung Mong-Hong erzählt eine kleine Familiensaga ganz aus den einzelnen Szenen heraus. Karl Markovics rettet seine Allegorie um einen Österreicher und einen afghanischen Flüchtling durch narrative Exzesse.
A Sun von Chung Mong-Hong

Das Geheimnis von A Sun und seinem Regisseur Chung Mong-Hong würde ich gerne kennen. Es fühlt sich schon mal nicht allzu rational an, wie ich an seinen Bildern klebe, seinen Gefühlsregungen folge, wie ich auf seinen Rhythmus horche, wie ich mich gleichzeitig immer weiter zurücklehne und im Film versinken will. Es muss ein bisschen mit Magie zugehen, weil ich gleichzeitig lese, wie eine Spur des Films einen Sprung hat, es ist vermutlich die narrative Ebene, doch so einfach lässt sich das nicht herauslösen.
Ohnehin ist mir klar, dass vieles gegen A Sun spricht, beim Pathos angefangen, das irgendwie dahinwabert, sich mit Bedeutung auflädt, die vielleicht nicht ausreichend begründet ist, und doch ist das völlig egal. Die Geschichte, es ist eine Art kleine Familiensaga, ein Gangsterdrama, mit einem Einschlag Jia Zhang-Ke, ist nicht nebensächlich, Chung Mong-Hong erzählt sie aber so sehr aus den einzelnen Szenen heraus, dass es auf nichts anderes anzukommen scheint.
Egal wie stylish der Film ist (er ist es oft ziemlich stark), egal wie besonnen die Inszenierung wirkt, es sind die Mikro-Bewegungen, die mich mitreißen, sie wirken wie Wallungen der Kamera, Wallungen der Darsteller, Wallungen der Orte und Gegenstände. A Sun kinetisch zu nennen löst wahrscheinlich die falschen Assoziationen aus, aber nichts ist zutreffender.
Nobadi von Karl Markovics

Hätte ich eine Nacherzählung des Films gelesen, ich hätte vermutlich einen großen Bogen um ihn gemacht. Und auch im Kinosaal ist es zunächst etwas ungemütlich vorhersehbar, zuzuschauen, wie die Begegnung aufgebaut wird zwischen einem alten, sehr unsympathischen Österreicher und einem jungen, verwundeten, freundlichen, sympathischen Flüchtling aus Afghanistan. Doch Karl Markovics setzt das Ungemütliche und Glasklare seiner Konstellation sehr bewusst voran, um sich rasch den Innereien widmen zu können. Ein bisschen Klamotte, ein bisschen Groteske, ein bisschen Horrorfilm ist sein dritter Spielfilm als Regisseur – nach Atmen (2011) und Superwelt (2015).
Nobadi ist minimalistisch – über weite Strecken sehen wir nur die beiden Männer in einer Kleingartenkolonie, der Junge soll für den Alten was im Garten richten – und offensichtlich zu lesen als Allegorie aktueller politischer Fragen zu Fremdenhass, Geiz und Egoismus und deren Gegenteil. Das arbeitet Markovics heraus, reduziert und reduziert, wendet die Geschichte aber gerade nicht ins Dramatische, weswegen der Film so locker daherkommt. Nobadi ist dennoch extrem, treibt sich in narrative Exzesse hinein, und darin ist er vielleicht besonders zeitgemäß.
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