“The sky is the limit?” - Blockbuster 2005

Das Kinojahr 2005 war das Jahr der Blockbusterfilme, zumindest quantitativ. Zuletzt deklarierte eine gigantische PR-Maschinerie Peter Jacksons King Kong, dessem Budget scheinbar keine Grenzen gesetzt waren, als Film-Event des Jahres. Was wie ein Triumphzug des extravaganten Kinos aussieht, wird immer deutlicher zum Indikator von tiefgreifenden Veränderungen der Filmindustrie, die sich auch im Erscheinungsbild der Filme jenseits der kostspieligen Mammutproduktionen abzeichnen.

Das Kinojahr 2005 war mit 20 Prozent weniger Besuchern in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr eines der magersten der letzten Jahre. Eine Ursache für dieses schlechte Ergebnis war sicherlich das Ausbleiben von großen deutschen Kassenerfolgen. Einzig Die weiße Massai (2005) schaffte es als deutsche Produktion in die Top Ten.

Eine weitere Ursache für diesen massiven Umsatzeinbruch, der hauptsächlich Filmverleiher und Kinobetreiber trifft, wurde längst von Brancheninsidern und Medienpublizisten am Siegeszug der DVD festgemacht. Doch hat sich in diesem Jahr eine weitere Tendenz abgezeichnet, die die Besucherzahlen in den Keller purzeln ließen. Auffallend viele kostspielige Hollywood-Blockbuster wie Die Insel (The Island, 2005), Sahara (2005), Der Flug des Phönix (Flight of the Phoenix, 2004) oder Das Vermächtnis der Tempelritter (National Treasure, 2004) lösten keineswegs einen Ansturm aus, der lange Schlangen um die Häuserblöcke verursacht hätte, wie es die englische Bezeichnung dieser Filmkategorie behauptet. Einige von ihnen wurden vom deutschen Kinopublikum sogar fast vollständig ignoriert. Auch spielen diese Filme immer häufiger ihre Kosten nicht mehr an den heimischen Kinokassen ein. Längst sind Blockbusterfilme nur noch durch die globale Vermarktung rentabel, wobei Filmstudios zunehmend erst durch die DVD-Auswertung ordentlich verdienen.

Stellen Hollywood-Blockbuster in Deutschland nach wie vor das größte Stück vom Kuchen der Kino-Einspielergebnisse dar, würden bei einer anhaltenden Trendwende vorrangig die Kinobetreiber unter einer Neuordnung von Kino- und DVD-Auswertung leiden. Um diesen gravierenden Einschnitt in der Verwertungshierarchie nachvollziehen zu können, ist die genauere Betrachtung der Veränderungen in den filmischen Strukturen von Blockbusterfilmen der letzten Jahre hilfreich.

Es würde sich um eine leidliche Debatte handeln, Spezial-Effekte in Blockbusterfilmen als Ausschlusskriterium für anspruchsvolle Unterhaltung zu brandmarken, wie es in der Vergangenheit so häufig der Fall war. Doch drängt sich bei Filmen, die fast ausschließlich am Computer entstanden sind, die Frage nach dem Modus ihres Einsatzes geradezu auf. Filme wie George Lucas’ Star Wars: Episode III – Die Rache der Sith (Star Wars: Episode III – Revenge of the Sith, 2005) erwecken den Anschein, als würden Spezial-Effekte zunehmend als ein Abbild von Attraktion eingesetzt werden, denn als gezielte Mittel filmischen Erzählens. An der auseinander gehenden Entwicklung des einstigen Zweiergespanns Lucas und Spielberg lässt sich diese Tendenz besonders deutlich vor Augen führen. Steven Spielberg, der heute im Eventmovie-Einerlei als Vertreter der „alten Schule“ in Erscheinung tritt, versteht es auch in Krieg der Welten (War of the Worlds, 2005) die zahllosen sichtbaren und unsichtbaren Spezial-Effekte für die verschiedenen Erzählmodi seines Films zu nutzen. Angefangen vom Hitchcockschen Urprinzip von „Suspense and Surprise“ bis hin zur Auseinandersetzung mit einem von Bildmedien geprägten kollektiven Gedächtnis.

Dem entgegen steht nun die Mehrzahl der Effektfilme der letzen Jahre. Als solle der Zuschauer in Filmen wie Matrix Reloaded (2003) oder eben Star Wars: Episode III nicht mehr von der Attraktion vereinnahmt werden, geschweige denn Empathie entwickeln, bricht über ihn stattdessen eine audiovisuelle Reizüberflutung von Effekten ein, deren ausgemachtes Ziel es ist, zu betäuben. Dass hier zwei gänzlich verschiedene Sehgewohnheiten bedient werden, steht außer Frage, doch ist letztere Form filmischen Erzählens auf Sand gebaut, da der Einsatz von Effekten einer Übertreibungslogik folgt und diese sich zwangsläufig erschöpft. Zudem scheinen diese Filme zu einem nicht kinokompatiblen Konsum zu erziehen. Die Gefahr liegt darin, dass Zuschauer, die einst noch über die riesigen Dinosaurier in Jurassic Park (1993) staunten, bei regelmäßiger Reizüberflutung auch auf erhöhte Dosen Spektakel nicht mehr anspringen. So ließe sich nachvollziehen, dass ein Filmpublikum, welches sich seiner passiven Rolle immer deutlicher bewusst wird, interaktive Medien, wie Videospiele, als attraktive Alternativen zum Kinobesuch betrachtet und Blockbusterfilme lieber im heimischen Wohnzimmer sieht, wo es in der Lage wäre, die ermattenden Effektschlachten zu unterbrechen oder gar zu überspringen.

Das Filmjahr 2005 brachte deutlich zu Tage, dass Originalität und Drehbuchhandwerk nicht nur bei sogenannten Eventfilmen wie Fantastic Four immer seltener anzutreffen sind. Als sei Ideenarmut zu einem Selbstläufer der Industrie geworden, gelingt es auch renommierten Filmemachern wie Terry Gilliam und John Singleton (Vier Brüder, Four Brothers, 2005) immer seltener diesseits und jenseits des Blockbusterkinos die einst gewohnte Qualität in ihren Filmen einfließen zu lassen. Gilliam bezeichnete etwa das Drehbuch von Ehren Kruger zu seinem gefloppten Starvehikel Brothers Grimm (2005) verächtlich als Schnittmuster, konnte es trotz wiederholter Überarbeitung selbst jedoch nicht verbessern. Auf dieser Ebene scheinen auch die Grenzen zwischen Hollywood-Kino und dem Arthaus-Kino aufzuweichen. Denn die kleineren Produktionen zeichnen sich immer deutlicher als eine speziell zugeschnittene Ware ab, die gezielt für ein kleineres Marktsegment hergestellt wird. In Folge wird auch hier der Rückfall in einfallslose Wiederholungsmuster zunehmend deutlich. So lebte etwa die europäische Co-Produktion Good Woman – ein Sommer in Amalfi (A Good Woman, 2004) fast ausschließlich von der entzückenden Scarlett Johansson, die vor einer malerischen Küste lediglich als Dauerappetizer herhalten musste. Auch Filme aus noch verhältnismäßig jungen nationalen Kinematografien, wie Whisky (2004) aus Uruguay und Bombón – Eine Geschichte aus Patagonien (El Perro, 2004) aus Argentinien scheinen das europäische Arthaus-Kino vergangener Tage lediglich zu beerben, ohne jedoch eigene Perspektiven hinzufügen zu können.

Dass ein potentielles Kinopublikum nicht unbedingt auf interessante Charaktere, spannende Geschichten und auf eine einfallsreiche Inszenierung verzichten möchte wurde in den letzten Jahren durch den enormen Erfolg eines alten Konkurrenten des Kinos deutlich: dem Fernsehen. Aufwendig produzierte TV-Serien, die auch zunehmend als wichtiger Wirtschaftfaktor auf dem DVD-Markt in Erscheinung treten, boomen seit den späten 90er Jahren. Die Sopranos (The Sopranos, seit 1999), Sex and the City (1998-2004), 24 (seit 2001) oder Desperate Housewives (seit 2004) sind nur einige Serien-Beispiele, die sich auf klassische inszenatorische und narrative Modelle berufen und in ihrem Format doch ganz eigene erzählerische Formen finden. Handwerkliches Know-how auf der Ebene von Stoffentwicklung und Realisation, das vielen Hollywood-Filmen und auch unabhängigen Produktionen abhanden gekommen zu sein scheint, lässt sich in der inflationär wachsenden Anzahl von Qualitäts-Serien des US-Fernsehens wiederfinden.

Wie könnten sich diese Entwicklungen also auf das Kino in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts auswirken? Langfristig scheint die US-Filmindustrie den großen Kinoketten hierzulande den Strick mit immer teurer werdenden Filmen zu zuziehen, die mit abnehmenden Besucherzahlen einhergehen und sich nur noch auf Verwertungswegen wie dem DVD-Verkauf und der TV-Ausstrahlung rentieren. Entstünde daraus ein globales Phänomen, würde dann auch die US-Filmindustrie vor einem Kollaps stehen, wie es mit dem Hollywoodkino der 60er Jahre der Fall war? Damals ging der künstlerische Zusammenbruch mit dem wirtschaftlichen einher. Dies sieht heute anders aus. Aufgrund der Bündelung verschiedener Auswertungsstufen in großen Medienkonzernen wie TimeWarner, NBC Universal und Viacom (Paramount) dürfte auch in Zukunft Hollywood-Ware ihre Abnehmer finden. Doch könnte sich dadurch das Aussehen dieser Produkte noch gravierender verändern. So würde sich die Frage stellen, ob ein glamouröses Starsystem, wie es zurzeit noch Hollywood definiert, auch bei einer zunehmenden Home-Entertainment-Auswertung tragbar wäre. Die Tendenz zur medialen Auswertung daheim bekam 2005 jedenfalls eine neue Qualität, als Intel massiv in die Firma Revelations Entertainment des Schauspielers Morgan Freeman investierte und in Kooperation das Internetunternehmen „ClickStar“ gründete. Die Plattform soll demnächst das legale Runterladen von Filmen, noch während sie im Kino laufen, ermöglichen. Auch wenn das Schicksal des Kinos noch nicht besiegelt ist, hat dessen Zukunft schon längst begonnen.

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