Tag des Fleisches – Festival Européen du Film Fantastique

Geschmacklos-sehenswerte Matschszenen, skandinavisch-unterkühlte Jump-Scares und eine Vorlesung über den Horror des Kolonialismus. Im 2. Teil unseres Berichts vom Festival Européen du Film Fantastique de Strasbourg ist für jeden etwas dabei.

Am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober hat gefühlt halb Deutschland das Land verlassen und sich entschieden, Strasbourg zu überrennen. Zeit, im Kino Schutz zu suchen.

Meat Kills ist nicht etwa der Titel der neuen Peta-Kampagne für bewusste Ernährung, sondern ein blutgetränkter holländischer Horrorfilm. In diesem hetzt Regisseur Martin Smijts verstrahlte Tierrechtsaktivisten und latent degenerierte Schweinefarmer gnadenlos aufeinander. Das Ergebnis ist eine filmisch wenig elegante, inhaltlich recht plumpe, aber letztlich erfrischend direkte Versuchsanordnung. Weit entfernt von formal avancierten Prätentionsversuchen, an denen sich das zeitgenössische Genrekino häufig abarbeitet, kommt Smijts sehr ruppig und umstandslos zum Punkt. Man kann die fehlende Raffinesse durchaus bemängeln, dennoch schafft der Film es, sein Thema und seine These ungleich unterhaltsamer und interessanter darzulegen als viele vermeintlich anspruchsvolleren Genrevertreter.

Win-Win

Im Netz ist derzeit oft vom brutalsten holländischen Film aller Zeiten die Rede. Dies ist zwar wahrscheinlich übertrieben, die Blut- und Matschszenen sind allerdings durchgehend geschmacklos-sehenswert und – wichtig – eben nicht zu ausgewalzt, sondern geschickt geschnitten und präsentiert. Das schönste an dem Film ist allerdings sein poetischer französischer Titel – La journee de la viande / Der Tag des Fleisches. Dies als Anregung an Markus Söder, uns vielleicht einen zusätzlichen bundesweiten Feiertag zu spendieren. Statt nach Strasbourg könnten die Bürger dann in die Tönnies-Fleischfabriken fahren, vielleicht mit thematisch passenden Geisterbahnfahrten. Geld für Kunstblut bräuchte man ja nicht. Win-win.

Taroman Expo Explosion aus Japan ist absurdes Theater im Gewand eines von Méliès gedrehten Kaiju-Films. Wir folgen dem titelgebenden Taroman und einer bunt zusammengewürfelten Wissenschaftlergruppe durch Raum und Zeit, bei ihren Versuchen, die Expo ’70 in Osaka vor Monstern zu retten. Visuell ist der Film ein Fest, unterschiedlichste Effekte versammeln sich zu einem bunten Sammelsurium, das man so zuletzt vielleicht in Nobuhiko Obayashis Hausu gesehen hat. Erzählerisch ist der Film, nun ja, absurd, wie er selbst nicht müde wird zu betonen, und auf die Dauer von 105 Minuten immer wieder ermüdend und anstrengend. Wird aber garantiert seine Fürsprecher haben, ich bin nur vielleicht nicht der beste Mann für den Job.

Aufklärungsfilter für Dummies

Wann immer ein Buchautor auftaucht, der im entferntesten mit Horror zu tun hat, stehen die Chancen nicht schlecht, dass er als der italienische, japanische, chilenische oder tibetanische Stephen King gehandelt wird. Im Fall des Schweden Mats Strandberg, von dem die Vorlage zum nächsten Film kommt, ist das zumindest nicht komplett falsch. Die Überalterung der Gesellschaft wird uns medial seit Jahren als Schreckensszenario an die Wand gemalt. Insofern naheliegend, das Thema durch den Horror-Fleischwolf zu drehen. The Home handelt von einem Sohn, der seine demente Mutter in ein Altersheim einliefert. Von Gewissensbissen geplagt, glaubt er bald, dass sie vielleicht nicht dement, sondern vom Geist seines toten, gewalttätigen Vaters besessen ist.

Regisseur Mattias J. Skoglund inszeniert skandinavisch-unterkühlt, lässt sich Zeit, die Charaktere und deren Beziehungen untereinander schrittweise offenzulegen und setzt hier und da einen lauten Jump Scare, damit wir nicht vergessen, dass wir einen Horrorfilm schauen. Das ist alles in letzter Konsequenz etwas brav, aber durchaus solide geraten. Nächstes Mal dann aber gerne medikamentös falsch eingestellte Altersheim-Zombies.

Ich hatte mit Meat Kills billig und plump angefangen, mit Marama schließe ich kunstvoll-nachdenklich, womit wir auch schon bei dem größten Problem des Films wären. Es ist die Geschichte der jungen Maori-Frau des Titels, die auf der Suche nach ihrer Zwillingsschwester von Neuseeland nach England reist und mit dem Horror des Kolonialismus konfrontiert wird. Als klassische Gothic-Geschichte konzipiert, hat der Film mit seiner Bildgestaltung, bedrückenden Atmosphäre und wertigen Ausstattung einige Asse im Ärmel. Die er leider an eine Vorlesung zu hinreichend bekannten postkolonialen und identitären Diskursen verschwendet. Er traut weder seinen Charakteren, noch seiner Geschichte, noch seinen Bildern und legt über alles einen unnötigen Aufklärungsfilter für Dummies.

Ein mysteriöser Gothic-Film sollte schon auch etwas mysteriös sein und bleiben. Schade drum.

To be continued...

Hier geht's zum ersten Teil des Festivalberichts. 

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