Streaming-Tipps: Molotowcocktails in Zeitlupe
Will a revolution be simulated? Über berechenbare Menschenmassen, eine abgetrennte Hand mit Eigenleben und einen österreichischen Weltstar, der einsam vom Garderobenspiegel sitzt. Drei Filmempfehlungen für die Quarantäne.
Affektlose Revolution: Transformation Scenario

Selbst das Bild eines explodierenden Molotowcocktails ist in Clemens von Wedemeyers Filmessay Transformation Scenario entkoppelt von jedem politischen Affekt, von jeder Subversion. Hier zählt einzig ein fast wissenschaftliches Erkenntnisinteresse und der daraus folgende kühle Analyseblick: Wie genau Flammen sich in Super-Zeitlupe ausbreiten, wie das Glas zerspringt und die restliche Flüssigkeit langsam Feuer fängt, ist hier besonders gut sichtbar. Wedemeyers Essay zeigt, wie inzwischen derselbe affektraubende Blick auf Menschenansammlungen geworfen wird. Wie jegliche Bilderzeugnisse aus Überwachungskameras, Dokumentar- und Spielfilmen oder eigens erstellten Experimenten Daten für die Berechnung von Massen geben. Als Verhaltensvorhersagen fließen sie zurück in den konkreten Bau von Straßen, Kaufhäusern, Städten, in Spielfilm-Animationen, in die Kontrolle des Massenpotenzials. „Körper versammeln sich, sie bewegen sich und sprechen zusammen und sie erheben Anspruch auf einen bestimmten Raum als öffentlichen Raum“, so hat Judith Butler einmal eine Massendemonstration definiert, und mit einem Zitat in Wedemeyers Film lässt sich besorgt zurückfragen: „Will a revolution be simulated?“
Verfügbar bei arsenal 3
Ein Körper durchsetzt vom Schicksal: Ich habe meinen Körper verloren

Eine Hand liegt da, frisch abgetrennt von ihrem Besitzer. Eine Fliege schwirrt herum, ihre Augen so rot wie die Blutkleckse am Boden. Am Anfang stehen im Grunde diese zwei Dinge, die während Jérémy Clapins Animationsfilm Ich habe meinen Körper verloren in einen Dialog treten. Oder nicht die Dinge selbst, sondern eher das, wofür sie hier stehen: eine Hand, die sich zwar vom Körper getrennt hat, dann aber zu laufen beginnt und selbst Körper ist. Und eine Fliege, von der einmal erzählt wird, dass man sie nur dann fangen könne, wenn man da hingreift, wo sie nicht ist – wo also weniger das planbare Können als der schicksalshafte Zufall entscheidet. In den Dialog treten das Körperliche und das Schicksal vor allem durch zwei Erzählungen, die sich im Film abwechseln: das Schicksal als Erzählung des jungen Naoufel in Rückblenden, der da am Anfang mit am Boden liegt, schon früh seine Eltern verloren hat, sich in Paris als Pizzabote verdingt und über die Fernsprechanlage in eine Kundin verliebt. Das Körperliche als Erzählung über seine Hand, die sich am Anfang aus einem Kühlschrank befreit, spinnenartig durch Paris bewegt und sich gegen Ratten, Tauben und andere Großstadtgefahren zurück zu Nafouels Körper durchschlagen will.
Erzählerisch und ästhetisch werden diese Geschichten natürlich zusammengeführt, fließen etwa ineinander, wenn die Animation die nächtlichen Lichter einer Straße durcheinanderwirbelt und in die Sterne des Weltraums verwandelt. Und gerade der Erzählstrang der Hand, gleichsam ein durch die Stadt getretener Straßenköter, lenkt den Blick auf das Machtspiel, dass das Schicksal im anderen Strang mit Nafouels Körper treibt: Was diese Hand und der Körper, an dem sie noch hängt, alles durchmacht, bevor und warum sie überhaupt von ihm abgetrennt wird. Diskursiv geht eine solche Verbindung freilich weniger gut auf. Vielleicht weil so zwei grundverschiedene Dinge wie ein in kosmischen Höhen fliegendes Konzept des Schicksals und die geerdete Materialität des Körpers sich dann doch nicht so viel zu sagen haben, wie der Film das gerne hätte. Sich aber überhaupt gemeinsam mit einer Hand in einem geschickt gebauten Film und einer wendungsreichen Geschichte langsam vorzutasten, den Höhen und Tiefen eines Lebens, dem abgehobenen Schicksal und dem nüchternem Körper, wenn auch nicht auf einmal, aber in immer wieder tollen Einzelszenen abwechselnd zu folgen, dem gibt man sich nur allzu gerne hin.
Verfügbar bei Netflix
Berger’sches Star-Sein: Helmut Berger, meine Mutter und ich

Angenehm in diesem Film ist allem voran die Idee, an jemanden wie Helmut Berger heranzukommen, indem man gerade nicht in sein Privates vordringt, sondern ihn in sein eigenes Privates vordringen lässt. Nur einmal wird er in seinem Domizil in Salzburg besucht, ansonsten offenbart sich Berger in Valesca Peters’ Dokumentarfilm Helmut Berger, meine Mutter und ich als Gast der Mutter der Regisseurin auf ihrem Hof im kleinen niedersächsischen Dorf Nordsehl, das er 2017 einen Sommer lang bewohnte: „Was macht eigentlich Helmut Berger?“, hat sich Peters’ Mutter Bettina Vorndamme wohl irgendwann gefragt und daraufhin einfach beim ehemals „schönsten Mann der Welt“ angerufen, sich mit ihm angefreundet und einfach zu sich eingeladen, um ihn aus einem Tief aus Alkoholkonsum, Gerüchten und Dschungelcamp-Lästereien herauszuholen.
Schön auch die andere große Linie des Films: wie Peters sich auf diesem ungewöhnlichen Weg die Betrachtung von Bergers Star-Sein erarbeitet. Dass es Höhen und Tiefen in seinem Leben gab, war schon vor dem Film klar. Dass diese zwei Seiten derselben Medaille aber irgendwie einfach zu der Art und Weise gehören, wie Berger Star ist, schält sich aber erst im Laufe von Vorndammes Plan heraus, Berger wieder zu der Schauspielerpersönlichkeit zu machen, durch die sie ihn kennengelernt hat. Sie wird ganz freiwillig seine Managerin, verwaltet seine Mails, gestaltet ihm eine neue Website, inklusive neuer Aktfotos, wie sie einst Helmut Newton von ihm machte, bis anschließend Albert Serra an seine Tür klopft und ihn für das Theaterstück Liberté an der Volksbühne haben will. Und wenn dann erzählt wird, wie Berger im Laufe seines neuen Erfolges Vorndamme zunehmend ignoriert, sie sich von ihm abwendet, weil es sie selbst schädigt, wenn gezeigt wird, wie er von einem Publikum wieder als Schauspieler beachtet wird und im letzten Bild des Films einsam vor dem Garderobenspiegel sitzt, dann scheint der Plan, sein Star-Sein zu reaktivieren, vollends aufgegangen zu sein.
Verfügbar bei Edition Salzgeber
Kommentare zu „Streaming-Tipps: Molotowcocktails in Zeitlupe“
Es gibt bisher noch keine Kommentare.