Streaming-Tipps: Let’s go get rich!

Auf Goldsuche und in Stammkneipen: Auf MUBI gibt es zwei Filme des texanischen Independent-Regisseurs Eagle Pennell zu sehen, der seine Slacker-Figuren voller Verständnis in eskalierende Situationen bringt.

Die Buddies Lloyd (Lou Perryman) und Frank (Sonny Carl Davis) sind auf dem Boccera Mountain unterwegs, die 16mm-Kamera ist ihnen dicht auf den Fersen. In grobkörnigen Schwarzweißbildern ziehen die Gelegenheits-Westerner zu melancholischem Folk-Score durch die Wildnis – das reinste Americana. Sie suchen nach Gold, mexican gold, das Indians vor Generationen irgendwo hier vergraben haben sollen. So will es der Mythos, der aus einer Zeit stammt, in der die Bewohner dieses Landstrichs wohl noch an den großen Wurf glaubten, ihnen das persönliche Glück zum Greifen nah schien. Gefunden hat es in diesem felsigen, von Sträuchern zugewuchertem Areal, in dem ein Ausblick dem anderen gleicht, aber bislang niemand. Eine poröse Schatzkarte, die Lloyd und Frank einem offensichtlich verwirrten, von seinem Rollstuhl aus um sich ballernden Redneck abgeluchst haben, soll ihnen den Weg weisen. Sie setzen alles auf diese eine Karte.

Just a Wanderer

Reich zu werden, ohne dafür schuften zu müssen, erscheint ihnen als letzter Ausweg. Lloyd muss den resignierten, an der Whiskyflasche hängenden Frank sogar überreden, sich noch einmal aus seinem finsteren Tal herauszuarbeiten. Es muss schließlich weitergehen, es geht immer weiter. Im bisherigen Leben – ein Austin, Texas der Westernbars, zugerümpelten Grundstücke und fancy Hippie-Villen – schubste man sie vor allem herum. Ein dürftiger Gelegenheitsjob folgte dem nächsten. Dazwischen zogen sie um die Häuser; fluchten im breiten, immer etwas Singsang-artigen Texanisch über dieses und jenes; tranken, auch um ihren Pegel zu halten. Schließlich wurden sie um ein Patent beschissen, das den einzig wirklich hellen Moment darstellte, den der Tüftler Lloyd in den letzten Jahren hatte: ein unansehnlicher hydraulischer Fliesenschrubber, der mittlerweile im Fernsehen angepriesen wird, ohne dass die beiden finanziell etwas davon hätten. Sie haben beim Vertragsschluss das berühmt-berüchtigte Kleingedruckte nicht gelesen (und die „ersten“ tausend Dollar sofort auf den Kopf gehauen).

Die Enttäuschungen der Stadt treiben sie nun ins legendenumwobene Land. Neben der Schatzkarte haben die beiden Goldgräber auch eine Wünschelrute im Gepäck, doch statt auf das mexican gold zu weisen, schlägt diese entweder in Richtung der felsigen Abhänge aus oder rotiert wie wild um die eigene Achse. Es ist, als wolle sich selbst dieses Ding über sie lustig machen. „I‘m just a wanderer of the wasteland, Singing ’bout my cowboy days gone by“, hatten die beiden vor geraumer Zeit bierselig und sich gegenseitig an die Schulter packend gesungen. Auch den jetzigen Landstrich durchqueren sie plan- und ergebnislos, die Verheißungen der good ol' days werden von der schroffen Wirklichkeit eingeholt.

Frei drehen

The Whole Shootin’ Match (1978) bläst aber keineswegs Trübsal. Im schmalen, gerade einmal eine Handvoll abendfüllende Kinofilme umfassenden Œuvre des texanischen Independent-Filmemachers Eagle Pennell liegt eine wie dokumentarisch aufgeschnappte Alltagsmelancholie dicht bei der ihr eigenen Komik. Und so präsentieren uns die eher registrierenden, ihren Formwillen kaum ausstellenden Bilder auch gerne Drehbuchpointen, deren Absurdität die Realität zwar nur selten in dieser Fülle schreibt, aber wohl doch bereithält.

In der Mubi-Videothek ist neben dem ersten Langfilm The Whole Shootin’ Match noch der ein Jahr zuvor entstandene Hell of a Note (1977) zu sehen, der bereits im Kleinen alles enthält, was Pennells Filmkosmos ausmacht. Zunächst ist da die bedingungslose Anteilnahme an den kleinen und großen Sorgen, an dieser von den Figuren gefühlten Schwere, die sie von sich und den anderen zu entfremden droht. Und dann ist da wiederum auch diese Lust, mit der eben jene Figuren in eskalierende Situation verfrachtet werden. Dort können sie ganz bei sich selbst sein; zumindest darstellerisch „frei drehen“. Dieses Austoben erinnert hier und da an das uneitle Kino von John Cassavetes, dem ungleich bekannteren Porträtisten des amerikanischen Individualismus. Nur haben wir es in Pennells eng abgestecktem Südstaatenkosmos nicht mit Künstlertypen aus der Mittelschicht zu tun. Wir schauen vielmehr unverbesserlichen Slackern und sehnsuchtsvollen Hausfrauen dabei zu, wie sie jeden Dollar umdrehen. Eine weniger beengte Existenz ist in weiter Ferne, die Realität manchmal wie ein schlechter Traum.

My Home Is My Castle

In einer vollendet schrägen Traumsequenz in The Whole Shootin‘ Match antizipiert Frank, was Lloyd und ihm bei der besagten Aktion mit dem Schrubber widerfahren wird. Da man ihnen nach der hastigen Unterschrift nie einen Vertrag zusandte und auch das Büro von damals deprimierend leerstehend anmutet, statten sie dem Hochstapler kurzerhand in den Produktionshallen einen Besuch ab. Hier bekommen sie es mit finster dreinblickenden Anwaltstypen und einem hünenhaften Rausschmeißer zu tun. Dann erwacht Frank verdattert vorm Fernseher, Gott sei Dank... Direkt im Anschluss die Realität: Die spielt sich im Grunde identisch ab, auch inszenatorisch fast nicht unterscheidbar, nur der Rausschmeißer ist etwas kleiner geraten.

Der Rest des Films ist geerdeter. Es gibt Momente von großer, sich spontan bahnbrechender Emotionalität, die einen auch deshalb so unmittelbar erfassen, da sie von Brutalitäten eingerahmt sind – psychischen wie physischen. Frank, der klein gewachsene Fremdgeher, der sein lichtes Haupthaar meist unter dem Cowboyhut verbirgt, kommt nach einer abenteuerlichen Partynacht nach Hause zurück, in sein „castle“, wie er meint. In der Küche steht seine Frau Paulette (Doris Hargrave) und bereitet Icecream zu. Sie war wiederum in der Nacht – es gab kurz zuvor einem Ehekrach – bei Franks verhasstem Schwager Olan. Der macht ihr schon länger Avancen, denen sie in einem schwachen Moment nun fast nachgegeben hätte.

Doch anstatt dass sich Frank und Paulette mal wieder in die Haare bekommen, liegt sich das Paar nun in den Armen. Er schwört, halb weinend, ein besserer Mensch, ein guter Ehemann und Vater ihres gemeinsamen Sohnes, zu werden. Sie setzt ihre Hoffnungen voll in die Liebe Jesu (von dem Frank, wie eigentlich Pennells gesamtes Südstaatenensemble, überhaupt nichts wissen will: „pie in the sky“). Dieser Augenblick der Innigkeit strahlt hier so stark aus dem Bildkader heraus, dass nicht einmal das karierte Hemd des zwischenzeitig rechts ins Bild hineinragenden Mikrofonträgers sie schmälern kann.

A Bunch of Fools

Anstatt anzuhalten, versuchen die Figuren von The Whole Shootin' Match und A Hell of a Note auch bei Gegenwind voranzukommen. In Bewegung bleiben heißt auch: Autorenfahren und dabei labern. Hier ist dieses sowieso schon sehr amerikanische Kino besonders amerikanisch. Pennells zweiter Langspielfilm, Last Night at the Alamo (1983), setzt folgerichtig in einem Auto ein und lebt auch sonst von der innerlichen wie auch ausagierten Rastlosigkeit seiner Protagonist*innen. Hier ist es das letzte Zusammenkommen im Alamo, einer Fort-ähnlichen Bar in Austin, das den Rahmen für eskalierende Suff- und alberne Cowboy-Performances bietet (man findet den Film in den Untiefen des Internets).

Die drei betont kerligen Gelegenheitsarbeiter in A Hell of a Note landen ebenfalls in ihrer Stammkneipe, nachdem sie ihren Dachdeckerjob hingeschmissen und dem Auftraggeber aufs Dach gepisst haben. Hier wollen sie sich volllaufen lassen, mit den drei gerade reinschneienden Frauen flirten, sich Witze und alte Geschichten erzählen. Doch dann taucht die Ehefrau von einem der drei auf, verzweifelt über das rücksichtslose Verhalten ihres Angetrauten, der wieder nichts nach Hause bringen wird. Wie in The Whole Shootin' Match ist es die Frauenfigur, die den Laden am Laufen zu halten versucht. Sie ist sich ihrer prekären Lage, ja der ihrer ganzen Umwelt, deutlich bewusster als der Mann, leidet dadurch aber auch mehr. Die Männer machen sich lieber selbst etwas vor, und es ihren Lieben – ob sie es wollen oder nicht – dadurch schwer. Eagle Pennells Kino hat Verständnis für sie alle.

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