Streaming-Tipps: In memoriam
Ein Jubiläum, zwei Todesfälle, drei Huldigungen: Filmempfehlungen aus aktuellem Anlass, mit uncoolen, banalen und cholerischen Helden.
Fest der Fremdscham: Pappa ante Portas

Nach dem Tod von Irm Hermann berichtete Fotograf Wolfang Tillmans von einem Shooting mit der Schauspielerin. Das Erste, was sie von ihm wissen wollte: „Haben Sie Hanna auch gefragt?“ Diese Bescheidenheit war eine der Besonderheiten von Hermann. Denn anders als Hanna Schygulla war sie nie der Star in Fassbinders Filmen, sondern bekam oft nur winzige Rollen. Dass sie dann meist auch noch biestige Kleinbürgerinnen spielen musste, nervte sie verständlicherweise, aber biestige Kleinbürgerinnen spielen war eben auch das, was sie verdammt gut beherrschte. Während deutsche Schauspielerinnen im Feuilleton gerne als anmutige Wesen beschrieben und mit Kolleginnen aus Hollywood oder Frankreich verglichen werden, war Irm Hermann nicht nur betont uncool, sondern auch durch und durch deutsch.
Gerade ihre früheren Rollen waren häufig campy Karikaturen, die sie zwar etwas steif, kühl und künstlich verkörperte, jedoch immer mit einem Schimmer der Verletzlichkeit in den Augen. Besonders prägnant war auch ihre Art zu sprechen: ein immer etwas gestelzt klingendes, bayerisch gefärbtes Hochdeutsch mit großem Kultpotenzial.
Irm Hermanns komische Seite sah man dann häufiger, als sie keinen Bock mehr auf Fassbinders Spielchen hatte – etwa bei Regisseuren wie Christoph Marthaler, Hape Kerkeling, Christoph Schlingensief und natürlich bei Loriot, der in seinen beiden Kinofilmen preußische Piefigkeit und bürgerliche Höflichkeitsrituale zu einem reinen Fest der Fremdscham zerdehnte. In Pappa ante Portas (1991) hat sie zwar wieder nur eine sehr kleine Rolle, aber es ist eine ihrer schönsten. Der Film erzählt von einem Einkaufsdirektor im Vorruhestand, der seinem Umfeld unheimlich auf die Nerven geht. Hermann spielt Tante Hedwig, die mit ihrem Gatten ein Pärchen gibt, das so zwanghaft aufgesetzt wirkt, als wäre es der Fantasie eines gehässigen Singles entsprungen. Hedwigs Verliebtheit und gute Laune ist so falsch, dass man die Unzufriedenheit und Niedertracht spürt, die sie darunter zu begraben versucht. Es braucht nur ein „Du Guter“ von ihr, um die Genialität von Irm Hermann zu verstehen; ihre Begabung für Momente, in denen man sich als Zuschauer gleichzeitig gruselt und totlacht.
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Helden werden durch Fiktion: The 15:17 to Paris

Bei seinem Erscheinen sorgte Clint Eastwoods The 15:17 to Paris bei der Kritik für reichlich Überforderung. Zu einer Zeit, als man von dem mittlerweile 90-jährigen Regisseur offenbar nur noch klassische Alterswerke erwartete, ließ sich Eastwood auf ein ungewöhnliches Experiment ein. Wegen seines Faibles für zerrissene Alltagshelden überrascht es zwar erst einmal nicht, dass er sich auch hier wieder einem wahren Fall widmet: Der Film erzählt von drei jungen US-Soldaten, die in einem französischen Zug einen Terroranschlag vereiteln. Der Clou an dem Projekt ist jedoch, dass die Männer sich selbst spielen. Dabei tragen die mit der Kamera immer ein wenig fremdelnden Laiendarsteller eine Verwundbarkeit nach außen, die sich als ideal für einen Film über die Sehnsucht nach Anerkennung erweist.
Von den drei Männern interessiert sich Eastwood vor allem für Spencer, der einerseits so unauffällig normal ist, dass es in einem Hollywoodfilm schon seltsam wirkt, andererseits aber stets danach strebt, etwas Besonderes zu sein. Eastwood zeichnet den Weg Spencers vom Einzelkind und Problemschüler bis zum Soldaten nach, der im Militär seine Chance wittert, endlich einmal etwas Bedeutsames für die Gemeinschaft zu leisten. Dabei verzichtet der Film streckenweise komplett auf dramaturgische Zuspitzungen und widmet sich etwa ganz dem Interrail-Trip der etwas prolligen, aber nicht unsympathischen Jungs. Man besucht Bohème-Bars in einem Fantasie-Berlin, flirtet mit Landsfrauen auf dem Vaporetto oder sinniert über den Dächern von Venedig über den Sinn des Lebens.
Wenn Spencer dann am Ende verletzt auf einem Bahnsteig in Paris sitzt und sich verarzten lässt, fühlt sich dieser Moment auch eher banal als heroisch an. Die Heldenwerdung gönnt Eastwood seinen Protagonisten zwar, macht aber deutlich, dass sie erst durch eine nachträgliche Fiktionalisierung möglich ist: durch eine Fernsehzeremonie mit dem französischen Präsidenten Hollande, aber eben auch durch Eastwoods unterschätzten Film selbst.
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Das Winseln des Cholerikers: The King of Queens

Im Kern geht es in den neun Staffeln der Sitcom King of Queens um gescheiterte Emanzipationsversuche. Meist sind es die infantilen Männer, die mit unvernünftigen Ideen nach Abwechslung zu ihrem ambitionslosen Leben suchen, bevor sie am Ende jeder Folge wieder in ihre Schranken verwiesen werden. Was die Serie dabei auszeichnet, ist ihr Bewusstsein für familiäre Abhängigkeiten sowie ein Adlerauge für peinliche Momente.
Mehr noch als der naiv trottelige Kurierfahrer Doug Heffernan (Kevin James) und seine Frau Carrie (Leah Remini) – bei der man aufgrund ihres Aussehens und ihrer Bildung immer den Eindruck bekommt, sie wäre eigentlich zu Höherem berufen gewesen –, verkörpert Carries Vater diesen immer wieder im Keim erstickten Freiheitsdrang. Nachdem Arthur seine Wohnung abgefackelt hat, zieht er bei seiner Tochter ein und erweist sich sofort als Albtraum seines Schwiegersohns. Der kürzlich verstorbene Komiker Jerry Stiller, Vater von Ben, spielt diesen nörgelnden Sturkopf mit hochgezogenen Altherrenhosen, abenteuerlich gemusterten Pullundern, verschlagenem Blick und ungezügeltem Temperament.
Mit der ständigen Angst im Nacken, ins Altersheim abgeschoben zu werden, ist Arthur zwar die unmündigste Figur in King of Queens, begehrt aber auch am lautesten dagegen auf. Mal will er sich eine eigene Wohnung nehmen, mal versucht er es mit einem Job oder einer abstrusen Geschäftsidee, aber am Ende muss er doch immer wieder wie ein reumütiges Kind zu den Heffernans zurück. Arthur färbt sich die Haare rot und spielt noch den tyrannischen Patriarchen, der er einst war, weiß aber eigentlich, dass sich die Zeiten geändert haben. Schnell schlägt sein cholerisch forderndes Schreien deshalb immer wieder in ein unterwürfiges Winseln um. Sprunghaft, durchtrieben und wunderbar theatralisch spielt Stiller diesen unmöglichen Typen, der ganz nach Herbert Achterbuschs Motto „Du hast keine Chance, aber nutze sie“ lebt.
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