Streaming-Tipps: Im Höllenschlund

Ein blutjunger Dennis Hopper lässt sich von einer Meerjungfrau verführen, Vincent Price verliert selbst bei der Jagd auf Vampire nicht den Glauben an die Wissenschaft, und das Material eines Found-Footage-Films offenbart sich als eigentliches Monster. Drei Streaming-Empfehlungen zum Gruseln.


Fatal Attraction: Night Tide

Johnny Drake, ein Marinesoldat auf Landgang (gespielt vom blutjungen Dennis Hopper), schlendert durch die nächtlichen Straßen San Diegos, dann lockt ihn die Leuchtreklame eines Jazzclubs mit dem reizvollen Namen Blue Grotto ins Kellergewölbe hinab. Auf die dort spielende Band kann und will sich Johnny nicht so recht einlassen, denn sein Blick bleibt sofort an einer auratischen Schwarzhaarigen im weißen Seidenkleid (die leider nie zum Star avancierte Linda Lawson) kleben. Erste Annäherungsversuche werden von ihr wortkarg erwidert, dann kommt auch noch eine mysteriöse, leicht verschroben aussehende Dame zum Tisch, die sein love interest mit unverständlichen Worten belegt.

Eine Warnung, eine Drohung oder doch ein Fluch? Jedenfalls hastet die Angesprochene – anscheinend weiß sie, wer ihr da gegenüberstand – aus dem Lokal, irgendwie kriegt der ihr folgende Johnny es trotz seiner verdrucksten Art hin, dass sie ihn zwar nicht mit auf ihr Zimmer nimmt, doch am nächsten Tag dorthin zum Frühstück einlädt (irritierend: es wird gebratener Fisch aufgetischt, Johnny verzieht etwas betreten das Gesicht). Mora, die erratische Schönheit mit dem stechenden Blick und exotischen Akzent, arbeitet als Jahrmarktsattraktion auf der Uferpromenade, als „Mora the Mermaid“, wie er nun erfährt. Und schon bald mehren sich für Johnny die Zeichen, dass mit dieser Meerjungfrau etwas nicht stimmt: Moras Ex-Lover wurden tot ans Ufer gespült, ihr Schausteller-Chef macht Andeutungen, dass am antiken Mythos der Sirenen doch etwas Wahres dran sei, beim Tarot wird dem Verliebten der Gehenkte Mann aufgedeckt … Curtis Harrigtons Night Tide (1961) macht von Anfang an keinen Hehl daraus, dass sein Held so bereitwillig wie gradlinig auf die Tragödie zusteuert. Mora ist als Femme Fatale die fatal attraction in Reinform (jedoch ohne die typische diabolische Intriganz).

Dabei kann sich der Genrefilm nur schwer zwischen der hermetisch dunkelromantischen Gruselatmosphäre und seinen mehr der Welt zugewandten Modernismen entscheiden, etwa Hoppers Proto-New-Hollywood-Schauspiel und den glasklaren, quasi geerdeten Schwarzweißbildern. Auch mit Blick auf die Story fragt man sich, ob hier noch mythenbejahender Gruselhorror (wie etwa kurz zuvor Jacques Tourneurs Night of the Demon (1957)) zelebriert wird, oder schon ein ambivalentes Spiel mit konkurrierenden Realitätsebenen aufblitzt. Auf jeden Fall ist Night Tide so schlafwandlerisch, dass er auf sympathische Weise manchmal „vergisst“, dem Genrefreund auch den ein oder anderen Thrill zu geben. Die Bedrohung schwelt hier konstant vor sich hin, dringt aber nur selten an die Oberfläche. Im Showdown am unheilvollen Tag des Vollmondes duellieren sich dann die Liebenden in der Tiefe des Meeres miteinander.

Kostenfrei im Original zu sehen auf Nicolas Wending Refns Streamingplattform: BYNWR

 

Das monströse Material: Outer Space

In Sidney J. Furies kinetischem Psycho-Horror-Film The Entity (1982) sind es die eigenen vier Wände, in denen sich das Un-Heimliche abspielt. Je nachdem welcher Fährte der Story man folgen möchte, bedroht hier ein triebgesteuerter Poltergeist oder aber das strafbedürftige Unbewusste einer alleinerziehenden Mutter (Barbara Hershey) ihr Leben und das ihrer Kinder.

Das typisch amerikanische Vororthäuschen, in dem sich der Spuk fast ausschließlich abspielt, ist auch in Peter Tscherkasskys zum Klassiker avanciertem Found-Footage-Film Outer Space (1999) der Dreh- und Angelpunkt. Doch sind die Cinemascope-Bilder dieses knapp zehnminütigen Fiebertraums entgegen der Vorlage in eher verunklarendem Schwarzweiß gehalten und auf eigenartige Weise zittrig, unstet und raumlos. Man begreift schnell, was hier der wirkliche Ort des durchaus andersgearteten Terrors ist: nicht der Handlungsraum des Geisterhauses, sondern, viel grundsätzlicher, die Materialoberfläche des Films selbst.

Die ehemals unsichtbare Bedrohung des Home-Invasion-Films – sei sie nun übernatürlich oder allzu menschlich – springt uns hier also ganz sichtbar entgegen: Während im stylischen 1980er-Genrekino noch der Frauenkörper von unerklärlichen Kräften und zu wummerndem Elektro-Score durchs Zimmer geschleudert wurde, Möbel und Spiegel zerbarsten und Spezialeffekt-Blitze durchs Interieur zuckten, ist in Outer Space der 35mm-Streifen selbst ein zum Leben erwecktes Monstrum, ein Endgegner für die Heldin – und die Sehkonventionen. Das heißt auch: Was im illusionistischen Betrieb des Erzählkinos eigentlich außerhalb der Erfahrung liegen sollte, etwa die Perforationslöcher und die herzschlagartige Stereo-Lichttonspur, bekommt hier seinen eigenen Aktionsraum.

Wie schon in The Entity eskaliert die Situation prompt, nachdem Barbara Hershey das Haus betreten hat. Der nun folgende Augen-, Ohren- und Materialexzess verdankt sich bei Outer Space einer extrem kleinteiligen Filmstreifenbearbeitung – Bild für Bild in einer Dunkelkammer –, die eher dem bildhauerischen Modellieren als der herkömmlichen Kinematografie gleicht (eine eigene Kamera braucht es dafür etwa nicht). Was dabei herauskommt, ist kein bloßes Recycling- oder Hommage-Kino, sondern vor allem ein Meta-Konstrukt, das seine Verfahren ausstellt, dabei aber rätseln lässt, wie sie wohl zustande kamen. Bildüberlappungen, stroboskopartige Schnittfrequenzen, partielle Belichtungen und allerlei weiteres Bild- und Tonchaos zerhacken und desorientieren das Figur-Raum-Gefüge; oft zittert Hersheys angstbesetztes Gesicht geisterhaft gleich mehrfach im Bildkader umher. Man weiß dabei manchmal nicht, wie lange man noch hinsehen kann. Zum Glück baut Outer Space aber nicht auf bloße Reizüberflutung, sondern spielt mit unvorhersehbaren Wechseln zwischen Bilderflut und ihrem Abebben hin zu beruhigender Stille. So auch am Ende, als wäre alles nur ein schlechter Traum gewesen.

Ausleihbar für 2,99€ bei mubi.com.

 

Mit Knoblauch gegen Viren: The Last Man on Earth

Ein Endzeit-, Zombie-, Vampir- und Virus-Film, darüber hinaus ein amerikanisch-italienisch koproduziertes Vincent-Price-Vehikel: Der in wohlkadrierten Cinemascope-Schwarzweißbildern gedrehte The Last Man on Earth (1964) von Sidney Salkow und Ubaldo Ragona kann sich schlecht entscheiden, was nun für Robert Morgan, adrett gekleideter Bio-Wissenschaftler und letzter Mensch auf Erden, die finale Bedrohung sein soll. Auf der einen Seite hämmern hirnlos und verwahrlost wirkende Horden nachts an sein verbarrikadiertes Haus, als wären sie Zombies. Andererseits kann Morgan die nachtaktiven Monster halbwegs durch Knoblauchkränze und Spiegel abhalten, also ganz wie bei der klassischen Vampirfigur. In einem längeren Flashback wird dann noch eine pandemische Virusinfektion (!) ins Spiel gebracht – manchmal ist vom Bazillus die Rede, der Film nimmt es auch hier nicht allzu genau.

Jedenfalls stirbt die Weltbevölkerung Schritt für Schritt aus, erst erblinden die Infizierten, dann folgt rasch der Tod, wiederum begleitet von martialischen Lastwagenabtransporten durch Gasmasken-Gestalten. Auch Morgans Familie überlebt die Katastrophe nicht, er kann nur rat- und machtlos zusehen. Seine Tochter endet in einer Art Höllenschlund, in einer lodernden Grube an den Hängen der nächtlichen Stadtsilhouette. Noch in dieser postapokalyptischen Einöde glaubt Morgan an die Wissenschaft; der Wille zur rationalen Erklärung bleibt mit der Anwesenheit klassischer Horrorfilm-Antagonisten unversöhnt (sicher gipfelt das in Morgans Hypothese, dass der Virus eine Knoblauchallergie hervorrufe …). Letztlich begibt sich The Last Man on Earth, übrigens die erste Adaption von Richard Mathesons I Am Legend, aber doch lieber in die irreal-phantastischen Gefilde. Die Sphäre der Virusforschung kann er sich bezeichnenderweise kaum anders vorstellen als im Bild eines tristen Laborraums mit einigen Mikroskopen und übergroßen Reagenzgläsern.

Prices Vorliebe für geschliffen vorgetragene Monologe kostet der Film dabei aus. Bevor das Ein-Mann-Stück handlungstechnisch andere Wege einschlägt, begleiten wir Morgan dabei, wie er es sich in der Welt eingerichtet hat, Vorkehrungen für neuerliche Zombieangriffe trifft, alte Familien-Super8-Filmchen schaut. Dabei redet er gern in Gedanken mit sich selbst – und mit dem Publikum. Es ist eine einnehmende Leinwandpräsenz, wie man sie vom Old-Schooler Price etwa auch aus den Poe-Adaptionen Roger Cormans kennt. Wenn der Film hiervon einmal absieht, geben Franco Delli Collis atmosphärische Bilder von verlassenen Orten, in denen sich die Katastrophe minimalistisch durch vereinzelt herumliegende Leichen andeutet, stilistisch schon den Blick in eine andere Zeit frei. Man fühlt sich hier und da an George A. Romeros Low-Budget-Meilenstein Night of the Living Dead erinnert; ein Film, der vier Jahre nach The Last Man on Earth den US-amerikanischen Horrorfilm revolutionieren sollte. Eine Price-Performance wäre dort nur noch ein Fremdkörper gewesen.

Im Original zu sehen auf Amazon Prime.

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